Mittwoch, 18. Mai 2016

In Cannes regiert die alte Garde

Zur Festivalmitte geben sich in Cannes die Veteranen des Festivals die Klinke in die Hand. Pedro Almodovar folgt in seinem neuen Film „Julieta“ einer Frau, die nach vielen Jahren zufällig auf die Spuren ihrer Tochter gelangt, mit der sie sich einst überwarf. In Rückblenden und in einem düsteren, fast hitchcockartigen Ton rollt Almodovar diese Mutter-Tochter-Geschichte auf und schwelgt dabei gewohnt souverän in seiner liebsten Beschäftigung: Die knalligen Farben der 80er Jahre zum Leben zu erwecken und seine Bilder damit auszustaffieren. Es ist sicher nicht Almodovars bester Film, aber der spanische Regisseur zeigt, wie sehr ihm Filme über Frauen liegen.
Pedro Almodovar mit seinen Darstellerinnen aus "Julieta". Foto: Katharina Sartena


Auch Olivier Assayas erzählt in seinem Wettbewerbsbeitrag „Personal Shopper“ von Frauen. Kristen Stewart als die persönliche Einkaufsassistentin einer Prominenten (gespielt von der Österreicherin Nora von Waldstätten) kam in Cannes allerdings zu wenig Applaus: Sogar heftige Buh-Rufe mischten sich darunter. Grund könnte sein, dass Stewart im Film nicht nur bodenständige Einkäufe tätigt, sondern auch spirituelle Fähigkeiten hat: Sie kann etwa mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder in Kontakt treten. „Ich bin wirklich sehr sensibel für Energien“, erzählte Stewart in Cannes. „Ich glaube, ich werde von etwas getrieben, das ich nicht definieren kann.“ Das Publikum hat’s jedenfalls nicht goutiert. 
Auch ein Cannes-Veteran ist der philippinische Regisseur Brillante Mendoza, der hier schon etliche seiner verstörenden Werke gezeigt hat. Mit „Ma’Rosa“ kehrt er in den Wettbewerb zurück; ein schnörkelloser Film, der der Familie einer Gemischtwarenhändlerin in Manila folgt. Rosa hat zwecks Nebenerwerb in den Hinterzimmern ihres Shops eine kleine Drogendealerei aufgebaut. Als sie eines Tages verhaftet wird, versuchen Rosa und ihre Familie die als korrupt verschrieene philippinische Polizei dazu zu bewegen, sie doch nicht ins Gefängnis zu stecken.
Medoza inszeniert gewohnt dokumentarisch und nah dran an seinen Protagonisten; er zeigt eine bis ins Detail chaotische philippinische Gesellschaft, die nicht mehr funktionieren könnte, sobald man sie in Ordnung brächte.

Die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne schließlich bringen ihren zehnten Film „La fille inconnue“ („Das unbekannte Mädchen“) erneut in den Cannes-Wettbewerb - zweimal schon haben sie hier die Goldene Palme gewonnen, mit der dritten wird es aber vorerst nichts werden: Ihre Geschichte zirkelt um eine junge Ärztin, die nach Praxisschluss ein Läuten an ihrer Tür ignoriert. Am nächsten Tag konfrontiert sie die Polizei mit dem Tod einer jungen Frau, die ganz in der Nähe gefunden wurde. Die Dardennes animieren ihre Hauptdarstellerin Adèle Haenel zwar zu Höchstleistungen, können diesmal aber nicht überzeugen: Zu schwach konstruiert, zu dünn erscheint ihre Geschichte, die sich auch so mancher Klischees bedient.

Matthias Greuling, Cannes

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