Samstag, 21. Mai 2016

Sonia Braga: Die schöne Mieterin

In Cannes hat im Wettbewerb ein kleiner Film aus Brasilien für viel Aufsehen gesorgt: "Aquarius" von Kleber Mendonca Filho, einem Debütanten im Wettbewerb um die Goldene Palme, werden für die Preisverleihung am Sonntag Außenseiterchancen eingeräumt. Filho erzählt von der 65-jährigen pensionierten Musikkritikerin Clara (Sonia Braga), die in Recife in einem alten Wohnkomplex mit Meerblick namens "Aquarius" lebt. Doch alle Apartments im Haus wurden bereits von einer Firma aufgekauft, die mit dem Haus bestimmte Pläne haben. Clara weigert sich standhaft, die Wohnung aufzugeben, für die sie ein Wohnrecht bis zu ihrem Lebensende hat. Ein kalter Krieg zwischen ihr und den Eigentümern beginnt.

Sonia Braga (Foto: Katharina Sartena)


"Aquarius" sagt in seiner Schlichtheit sehr viel über die brasilianische Gesellschaft aus und reflektiert auf subtile Weise, wie mit Immobilienspekulation in Brasilien, speziell in Recife, nicht nur Politik gemacht wird, zu der immer auch der Geruch der Korruption gehört, sondern wie man auch auf einer psychologischen Ebene mit alten Mietern verfährt. "Es gab hier vor der Rezession eine regelrechte Ralley, wenn es darum ging, alte Häuser aufzukaufen und sie abzureißen", erzählt Regisseur Kleber Mendonca Filho. Der 47-Jährige erzählt auch, wie sehr man Mieter und auch Eigentümer unter Druck gesetzt hat, "bis sie letztlich ausgezogen sind. Man hat die Häuser abgerissen, ein neues drauf gebaut und teuer verkauft. Ich wollte in meinem Film zeigen, wie dieser Vorgang mit einem persönlichen Schicksal verknüpft sein kann".

Ganz nebenbei ist "Aquarius" dadurch auch eine metaphorische Szenensammlung vom Handeln moderner Großkonzerne, die längst mit psychologischen Mitteln agieren, um ihre Ziele zu erreichen. "Clara gerät zunehmend unter Druck, und beginnt bald, an ihrem Verstand zu zweifeln. Da sieht man, wie weit psychologische Einschüchterung gehen kann".
Sonia Braga spielt diese Clara sehr überzeugend, weshalb ihr hier in Cannes auch Chancen auf den Darstellerpreis ausgerechnet werden. Die brasilianische Schauspielerin, die durch Telenovelas berühmt wurde und in den 80er Jahren in Hollywood mit Regisseuren wie Clint Eastwood oder Robert Redford drehte, war Fihlos Wunschbesetzung für die Rolle. "Sonia Braga kann mit ihrer unglaublichen Präsenz einer Figur wie Clara Leben einhauchen, weil sie versteht, wie wichtig es ist, sich auf eben diese Präsenz zu konzentrieren. Alles im Film dreht sich um Clara, und diese Last muss eine Schauspielerin erst einmal tragen können".

Dass Braga in ihrer Jugend auch als Sexsymbol des brasilianischen Films galt, war für den Regisseur nicht ausschlaggebend. "So habe ich sie nie gesehen. Für mich ist sie mehr ein Symbol für ewige Schönheit. Jeder in Brasilien kennt ihr Gesicht, sie ist Teil unserer Kultur. Und diesen Umstand wollte ich in meinem Film feiern".

Matthias Greuling, Cannes

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