Montag, 27. Mai 2013

Cannes feiert Kechiche und Léa Seydoux mit der Goldenen Palme

In Frankreich gibt es seit Wochen hitzige Debatten. In Paris gehen Hunderttausende auf die Straßen. In jedem Bus und in jeder U-Bahn, beim Bäcker, in der Kirche und natürlich im Café diskutieren die Menschen derzeit nur ein Thema: Die Homo-Ehe, vom Kabinett Hollande beschlossen, sie darf und kann so nicht kommen. Sagen die einen. Oder eben: Die Homo-Ehe, sie MUSS kommen dürfen. Sagen die anderen.
Kechiche mit seinen beiden Darstellerinnen. Foto: Alexander Tuma
Was das mit dem Filmfestival von Cannes zu tun hat, wenn im Staate der „Egalité“ die Wogen hochgehen? Bei den 66. Filmfestspielen wurde soeben der Film „La vie d’Adèle“ von Abdellatif Kechiche mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Es geht darin um die Liebe zwischen zwei Frauen, mit Sexszenen, die man lange nicht so explizit gesehen hat. Kein flammendes Plädoyer für die gleichgeschlechtliche Liebe, sondern eine ungemein sinnliche Filmerfahrung.
Die Goldene Palme, erstmals also eine politisch motivierte Auszeichnung, wie das die Berlinale so gern tut? Bei genauerer Betrachtung hält dieses Urteil nicht stand.
Steven Spielberg, dem Jury-Präsidenten, hatte man eigentlich nicht zugetraut, dass er diese Palme verleihen würde. Spielberg gilt als Konservativer, was sich in seinen durchwegs prüden Filmen widerspiegelt. Doch bei der Preisverleihung am Sonntag stieg ihm keinerlei Schamesröte ins Gesicht.
„La vie d’Adèle“ folgt der 18-jährigen Adele (Adèle Exarchopoulos), für die es eigentlich klar ist, dass Mädchen mit Burschen ausgehen – bis sie die extrovertierte Emma (Léa Seydoux) kennen lernt, die ihr beibringt, die eigenen Bedürfnisse zu erforschen. „Es ist die Geschichte einer absoluten Liebe zwischen zwei Frauen“, sagt Kechiche.
Wer frühere Arbeiten von Kechiche kennt, etwa „Couscous mit Fisch“ oder den wunderbaren „L’esquive“, der weiß, mit welcher Unmittelbarkeit sich der Filmemacher auf seine Themen stürzt. Er rückt seinen Protagonisten stets nah zu Leibe, um auch wirklich keine Regung in deren Gesichtern zu verpassen. Kechiche erzählt über diese kleinen Details ganz große Geschichten. Die drei Stunden von „La vie d’Adèle“ vergehen wie im Flug; es ist einer dieser Filme, bei denen man möchte, dass sie niemals aufhören.

Das sexuelle Erwachen ist wieder ein großes Thema im Kino, besonders in Frankreich, wo das Lolita-Tum wie nirgends sonst traditionell ganz ohne Scham zelebriert wird. Auch François Ozon hat im Wettbewerb einen Film gezeigt, der sich damit befasst: In „Jeune & Jolie“ folgt er einer 17-Jährigen (Marine Vacth), die sich freiwillig prostituiert, um sexuelle Erfahrungen zu sammeln. Der Film erregte keine Empörung, wohl aber Ozons Aussage, dass „viele Frauen darüber phantasieren, sich zu prostituieren. Begehrt und benutzt zu werden ist in der Sexualität nichts Neues. Es gibt eine Art von Passivität, nach der Frauen suchen“. Diese Aussagen zogen einen regelrechten Shitstorm in der französischen Presse nach sich. Ozon entschuldigte sich, er sei wohl missverstanden worden.

In Cannes steht dennoch die Filmkunst über dem Politikum, das zeigten die weiteren Preise. Der zweite Film, der sich mit Homosexualität befasste, Steven Soderberghs „Behind the Candelabra“ über den schwulen Las-Vegas-Star Liberace (Michael Douglas) und seinen Lover (Matt Damon), erwies sich als grandios gespieltes, sonst aber recht konventionelles TV-Movie, und blieb ohne Preis. Also keine Tendenz zu einem Polit-Plädoyer.
Der große Preis des Festivals ging an die Brüder Joel und Ethan Coen für „Inside Llewyn Davis“, eine stimmige und launige Auseinandersetzung mit der Folk-Musikszene im New York der 60er Jahre. Als besten Darsteller kürte man den 76-jährige Bruce Dern (Vater von Laura Dern), der in Alexander Paynes Schwarzweiß-Drama „Nebraska“ die Rolle eines zerstreuten Vaters spielt. Als beste Schauspielerin wurde Bérénice Bejo für Asghar Farhadis Ehedrama „Le passé“ ausgezeichnet, bester Regisseur wurde der Mexianer Amat Escalante für seinen Film „Heli“. Der Preis der Jury ging nach Japan an Kore-Eda Hirokazu für „Like Father, Like Son“. Jia Zhangke wurde zurecht mit dem Preis für das beste Drehbuch zu „A Touch of Sin“ ausgezeichnet, ein Film, der die wachsende Gewaltbereitschaft im modernen China nicht beim Regime, sondern bei den Menschen selbst verortet.
Spielberg und seine Jury (der auch Christoph Waltz angehörte) haben sich auf die Filmkunst konzentriert, und es ist bloß Zufall, dass der beste Film dieses sonst durchschnittlichen Wettbewerbs zufällig mit dem Thema Homo-Ehe korreliert. Am Ende bleibt Cannes nämlich das, was es immer war: Ein Festival, das den Film feiert, ein Glamour-Schaulauf, der mit Politik und gesellschaftlichen Tendenzen wenig zu tun haben will. Anders gesagt: In Cannes wird gerne das gefeiert, wogegen man in Paris auf die Straße geht.

Matthias Greuling, Cannes

Dieser Beitrag ist auch in "Die Furche" erschienen.

Samstag, 25. Mai 2013

Cannes 2013: Finale mit Polanski und Jarmusch

Mit den außergewöhnlichen Arbeiten zweier arrivierter Filmkünstler ist am Samstag der Wettbewerb um die Goldene Palme von Cannes komplettiert worden. Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“ erwies sich als vielschichtige Vampir-Farce, während Roman Polanski mit „Venus in Fur“ eine simple, aber umso geschicktere Heirat aus Theater und Kino herstellt. Beiden Regisseuren merkt man an, dass sie mit ihrem Kino die Welt nicht (mehr) verändern wollen; sie machen sich fast schon einen Jux daraus, mit den Spielformen des Kinos jovial und durchaus auch trivial umzugehen.

Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“ kam als letzter Film in den Wettbewerb von Cannes, sozusagen eine Nachreichung – in einen Wettbewerb, der bis zuletzt auf den großen Wurf warten ließ, den man in Cannes eigentlich erwartet (und auch immer wieder zu sehen bekam). Dieses Jahr kam er nicht.
"Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch (Foto: Festival de Cannes)
Jarmusch, dessen Ruf als Ausnahmeerscheinung im US-Independentkino von lange zurückliegenden Filmen wie „Stranger than Paradise“, „Down by Law“ oder „Night on Earth“ herrührt, findet mit der skurrilen Geschichte um ein Vampir-Pärchen zu alter Hochform zurück. Zwischen Detroit und Tanger, wo Jarmusch die Handlung ansiedelt, sind der Untergrund-Musiker und Gitarrensammler Adam (Tom Hiddleston) und seine Frau Eve (Tilda Swinton) stets darauf bedacht, ihren Konsum von Menschenblut aus sauberen Krankenhaus-Blutkonserven zu stillen. Man lebt ja schließlich im 21. Jahrhundert, da beißen Vampire keine Menschen mehr zu Tode! Bis Ava (Mia Wasikowska), die junge Schwester von Eve, auftaucht, die sich über einen Freund der Vampire hermacht. „You drank Ian! Get out of my house“, tobt Adam. Familienzank auf Vampirisch.  
Jarmusch inszeniert einen überaus leisen und langsamen Film; nichts hier ist dem vermeintlich zugrunde liegenden (Sub-)Genre des Vampirfilms geschuldet, alles ist ihm diametral entgegengesetzt erzählt, und selten – schon gar nicht im verstaubten „Twilight“ – gab es lässigere Blutsauger. Jarmusch durchsetzt den Film mit unzähligen Anspielungen auf die Film-, TV- und Literaturgeschichte. Wenn Eva ins Flugzeug steigt – sie fliegt mit der „Air Lumière“ – dann nennt sie sich gerne Daisy Buchanan, eine schöne Anspielung auf „Der große Gatsby“. Und weil Vampire ja hunderte Jahre alt werden, gibt es hier sogar einen kurzen Auftritt von John Hurt in der Rolle von Christopher Marlowe, der auf Shakespeare schimpfen darf, weil sämtliche Stücke natürlich von ihm selbst stammten.
Jarmschus „Only Lovers Left Alive“ ist ein leidenschaftliches Traktat über das Außenseitertum; die Vampire sind Metaphern für Ausbrecher aus einer kurzsichtig agierenden Gesellschaft. Der Film will Weitblick, eröffnet ihn aber – auch in seiner musikalischen Untermalung mit etlichen Vinyl-Raritäten – wirklich nur engmaschig eingeweihten Kennern. Und er ist ein Jux, wie auch jener von Polanski.
"Venus in Fur" von Roman Polanski (Foto: Festival de Cannes)
Polanski hat mit „Venus in Fur“ den überraschend launigen Schlusspunkt des sonst mediokren Wettbewerbs gesetzt. Es ist die Adaption von David Ives‘ Boulevard-Stück vom Broadway,  das wiederum auf Leopold von Sacher-Masochs „Venus im Pelz“ von 1870 basiert, das seinerzeit einen unglaublichen Skandal auslöste: Die Macht- und Unterwerfungsphantasien, die Masoch darin veröffentlichte, begründeten schließlich den Masochismus-Begriff.
Der Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) empfängt bei einem Casting widerwillig noch eine letzte Schauspielerin (Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner), um eine selbst verfasste Adaption des Masoch-Buches für die Bühne zu besetzen. Bislang waren alle Kandidatinnen ungeeignet, doch Vanda scheint nicht nur durch ihre perfekte Kenntnis der Rolle wie geschaffen für den Part. In einer ständig zwischen Rollenauslotung und Inszenierung pendelnden Leseprobe lassen sich sowohl Amalric als auch Seigner mehr und mehr in die Figuren der beiden sexuell aufgeladenen Protagonisten fallen, und Vanda kitzelt peu-a-peu Thomas‘ wahre Phantasien aus ihm heraus; Mehr und mehr vermischen sich die Bühnenrollen mit den Persönlichkeiten ihrer beiden Darsteller, und bald wird das Bühnenstück selbst zur sexuellen Obsession. Polanskis Regieeinfälle dazu reichen von der akzentuiert eingesetzten Musik bis hin zur Lichtstimmung auf der Bühne, die Vanda zur Verblüffung von Thomas stets der geprobten Szene anpasst. Kaminfeuer inklusive.
In einer Szene spielt Polanski dann gar auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs an: Vanda macht Thomas des Vorwurf, seine Adaption handle von Kindesmissbrauch. Thomas verteidigt sich: „Ist denn heute alles gleich Kindesmissbrauch? Gibt es gar keine Zwischentöne mehr?“ Bei Polanski klingt das wie Ironie, aber auch wie ein Stück verschämte Selbstkritik.
Wie schon in „Der Gott des Gemetzels“ wahrt Polanski bei der Adaption dieses Stücks ebenfalls die Einheit von Zeit und Ort: Ein Film, der in Echtzeit über eine Pariser Theaterbühne geht; Man mag „Venus in Fur“ schon ab der allerersten Einstellung, in der eine Kamera zu einem Unwetter über einen leeren Pariser Boulevard schwebt, bis sie schließlich die Türen zum Theater aufstößt. Ab diesem Moment beginnt das raffinierte, temporeiche und mit glänzenden Dialogen ausstaffierte Verführungs- und Obsessionsspiel, das bei Polanski gar nicht theaterhaft, sondern überraschend filmisch aussieht.
Ob die Späße der Kino-Altmeister auch auszeichnungswürdig sind? Man wird sehen, wie Steven Spielberg und seine Jury am Sonntag Abend entscheiden werden. Emmanuelle Seigner ist im Wechsel zwischen Schauspielerin und Bühnenfigur allerdings derart souverän, dass man ihr den Darstellerinnen-Preis gönnen würde. Für Jarmusch müsste man einen eigenen Preis erfinden: Jenen für die wohlschmeckendste Blutkonserve.
Matthias Greuling, Cannes
Dieser Beitrag ist auch auf wienerzeitung.at erschienen.

VIDEO: Bernardo Bertolucci im Cannes-Interview

Er war der Regisseur von Skandalfilmen und Meisterwerken: Bernardo Bertolucci, 72, hat Filme wie "1900", "Der letzte Tango in Paris" oder "Prima della Revoluzione" gedreht, und jetzt erscheint sein episches Drama "Der letzte Kaiser" in einer neu gestalteten 3D-Fassung. In Cannes stellte Bertolucci den Film voller Enthusiasmus vor. Ein neues Projekt hat er auch schon im Kopf und im August wird er als Jury-Präsident beim Filmfestival von Venedig fungieren. Bertolucci, der seit einer misslungenen Rückenoperation im Rollstuhl sitzt, empfängt uns gut gelaunt zu einem kurzen Gespräch im Hotel Carlton in Cannes.
 
 
Herr Bertolucci, war es Ihre Idee, "Der letzte Kaiser" als 3D-Version herauszubringen?
Bernardo Bertolucci: Nein, es waren die Produzenten, die auf mich zukamen. Aber ich bin ein großer Fan von 3D-Filmen. Ich wollte ja schon meinen letzten Film ‚Io e te‘ in 3D drehen, aber damals kam das Budget dafür nicht zustande. Außerdem improvisiere ich sehr gerne beim Drehen, und das lässt das 3D-Equipment einfach nicht zu. Es ist zu unflexibel, und jede Einstellung muss millimetergenau geplant werden. Aber ich bin überzeugt davon, dass 3D dem Kino wirklich etwas Neues bringt, wenn man es richtig einsetzt. Die Illusion von Tiefe kann eine weitere Erzählebene sein, die es bisher so nicht gab.
 
Sie haben am Wochenende der Cannes-Premiere von "Der letzte Kaiser 3D" beigewohnt. Wie war das denn für Sie?
Es war toll zu sehen, dass der Film 25 Jahre nach seinem Entstehen wieder zurück auf die Leinwand kommt. An dem Abend, als der Film in Cannes in einem Zeltkino Premiere hatte, regnete es so stark, dass man die ganze Zeit über das Prasseln an der Saaldecke hören konnte. Das hat überraschend gut zu den dramatischen Momenten des Films gepasst. Wir waren dadurch beinahe schon in der vierten Dimension, man spürte den Film regelrecht.
 
Sind Filme wie "Der letzte Kaiser" heute aus der Mode gekommen? Es gibt kaum noch Epen dieses Ausmaßes…
"Der letzte Kaiser" war noch einer dieser großen, epischen Filme, bei denen es Massenszenen mit tausenden Statisten gab. Heute weiß man in Hollywood nicht mehr, wie man große Epen erzählt. Ein Produzent aus Amerika hat mir nach der Premiere gesagt: Ich mag den Film, weil er mich an die Gründe erinnert, weshalb ich überhaupt Filme machen wollte. Der Umstand, dass der Film heute als Klassiker gilt, macht mich sehr froh. Aber es macht mich natürlich auch ein bisschen älter (lacht).
 
Spüren Sie immer noch die Leidenschaft fürs Filmemachen?
Ja, ich fühle mich noch sehr jung, was meine Gedanken betrifft. Ich bereite ein neues Projekt vor, oder besser gesagt, ich forme gerade einige Ideen dafür zurecht. Seit ich nicht mehr gehen kann und auf den Rollstuhl angewiesen bin, sind neue Projekte allerdings schwieriger geworden. Anfangs konnte ich mit dieser Situation gar nicht umgehen, und dachte: Jetzt ist es vorbei. Jetzt wirst du nie mehr einen Film machen können. Man kann im Rollstuhl ja nicht wirklich durch die Kamera schauen. Erst, als ich meine Situation akzeptiert hatte, war ich in der Lage, "Io et te" zu machen, der im Vorjahr erschienen ist.
 
Können Sie einen Film aus Ihrem Schaffen nennen, den Sie selbst besonders gerne sehen?
Ich schaue mir meine Filme niemals an. Wenn Sie mich über meine Filme fragen, kann ich nur aus der eigenen Erinnerung antworten. Manchmal kommt es vor, dass ich Filme verwechsle. Aber ich schaue sie nicht an. Ich würde nur die Fehler finden und außerdem finde ich es gut, wenn man eine gewisse Distanz zum eigenen Werk hat.

Welche Erinnerungen haben Sie noch an "Der letzte Tango in Paris"?
Der Film war 1972 ein Riesenskandal! Ich habe das nie verstanden. Ich wurde in Italien zu zwei Monaten Haft verurteilt. Das war für mich fast wie eine Auszeichnung! Aber die Zeiten damals waren anders. Ich selbst war manchmal meiner Zeit voraus, aber noch viel öfter hinkte ich der Zeit hinterher. Überhaupt heute, wo alles so schnelllebig geworden ist.

Im August werden Sie Jury-Präsident beim 70. Filmfestival von Venedig sein. Was reizt Sie daran?
Ich hoffe, dort viele neue Talente zu entdecken, die mir zeigen, was sie können. Es ist sehr schwierig, die heutige Zeit adäquat einzufangen und auf die Leinwand zu bringen. Deshalb freue ich mich so sehr auf diese Aufgabe und all die Filme. Und ich glaube nach wie vor an die Jugend. Nur sie kann unsere Welt verändern, davon bin ich überzeugt.
 
Interview: Matthias Greuling, Cannes
 
Dieser Beitrag ist auch auf wienerzeitung.at erschienen
 

Sonntag, 19. Mai 2013

Joel & Ethan Coen mit starkem "Inside Llewyn Davis" in Cannes

Wenn in Cannes ein neuer Film der Brüder Joel und Ethan Coen gezeigt wird, sind die Kinosäle überfüllt wie selten. Das mag auch am miserablen, stürmischen Regenwetter gelegen haben, der die Kritiker ins Kino trieb, aber letztlich will jeder schlicht dabei sein, wenn die Coens ihre jetzt schon famose Filmografie mit viel Verve weiterschreiben.

"Inside Llewyn Davis" (Foto: Festival de Cannes)

Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht: „Inside Llewyn Davis“ heißt das neue Opus, in dem die Coens in das New York der frühen 60er Jahre eintauchen; es ist die Zeit, in der in den Clubs von Greenwich Village Legenden wie Bob Dylan aus der lebhaften Folk-Musikszene geboren wurden. Der Film folgt dem Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac), der mit viel Inbrunst und Leidenschaft an seiner Musikkarriere arbeitet, dem aber letztlich trotz seiner wunderbaren Songs und der Qualität seines Könnens der Aufstieg aus den Hinterhof-Clubs verwehrt bleibt.
Die Odyssee, die Davis im Laufe des Films durchlebt, ist voller Rückschläge und enttäuschter Hoffnungen. Das reicht von der Zurückweisung durch seine Ex-Freundin (Carey Mulligan) über wenig Hoffnung verbreitende Vorsingen bei Konzertveranstaltern bis hin zu einer den ganzen Film dramaturgisch begleitenden entlaufenen Katze. Ja, bei den Coens darf trotz der Misere auch gelacht werden:  „Inside Llewyn Davis“ ist vielleicht der schönste Katzenfilm aller Zeiten.
Joel und Ethan Coen finden für die rauchige Atmosphäre in den Clubs den richtigen desaturierten Look, arbeiten in Bildsprache und Rhythmus angenehm zurückhaltend, ohne dabei ihre Handschrift zu verwässern. Es gibt famose Songs und außerdem einige Szenen, die Kultstatus erlangen könnten, darunter eine gemeinsame Jam-Session zwischen Isaac und seinem Musikerkollegen im Film, gespielt von Justin Timberlake.
Neu ist, dass die Regisseure hier nicht alles dem subtilen, schwarzen und sarkastischen Humor unterordnen, der ihre Filme kennzeichnet. Sie sind in der Lage, in voller Ernsthaftigkeit zu inszenieren und dabei durchaus metaphernschwanger den größten Trumpf dieser Geschichte des Scheiterns auszuspielen: Die Erkenntnis, dass Talent und Leidenschaft zwar Bedingung, aber keineswegs Garant für eine große Karriere sind. Irgendwo am Wegesrand muss sich Glück und Berechnung hinzugesellen. Und: Man sollte wissen, wo man hingehört. Die Katze im Film macht es vor.
Matthias Greuling, Cannes

Dieser Beitrag ist auch auf WZ-Online erschienen.

Valeria Golino mit Regiedebüt in Cannes

Bis Mitte der 90er Jahre gehörte sie zu den gefragtesten europäischen Schauspielerinnen im US-Kino: Valeria Golino, 46, spielte in Filmen wie „Rain Man", „Hot Shots 2" oder „Leaving Las Vegas", ehe sich ihre Karriere wieder vermehrt in Europa abspielte. Jetzt hat die in Neapel aufgewachsene Tochter eines Italieners und einer Griechin ein neues Karriere-Kapitel aufgeschlagen und präsentierte in der Reihe „Un certain regard" in Cannes ihr überaus gelungenes Regiedebüt „Miele". Der Film, der um die „Camera d’Or" für das beste Erstlingswerk konkurriert, wird auch in Österreich zu sehen sein, ein Verleih hat sich bereits gefunden.

Valeria Golino (l.) mit Jasmine Trinca. Foto: Festival de Cannes
„Miele" erzählt von einer jungen Italienerin, die mit viel Demut und Nüchternheit einen belastenden und verbotenen Beruf ausübt: Irene (herausragend: Jasmine Trinca) gibt unheilbar Kranken Sterbehilfe. Mit einem Gift, das zum Einschläfern von Hunden dient, und das sorgfältig angerührt werden muss, damit es beim Menschen wirkt. Die Tragödie des freiwilligen Sterbens folgt dabei konkreten Regeln, die nicht gebrochen werden dürfen: Die Patienten müssen das Gift unbedingt selbst einnehmen, Angehörige dürfen es nicht verabreichen. Im Hintergrund läuft dabei jene Musik, die sich Irenes „Kunden" wünschen.

Golino findet für das schwierige und anstößige Thema in „Miele" genau die richtige Mischung aus Nähe und Distanz, wunderbar verkörpert von der kühlen und zugleich herzlich-emotional agierenden Jasmine Trinca. Es ist ein Regiedebüt von großer inszenatorischer Dichte, in dem die für viele italienische Produktionen typische Verkitschung der Gefühle ausbleibt. Nur am Ende setzt Golino dann doch noch einige Noten zu viel in dieser ansonsten so stimmigen Sinfonie über die scheinbare Diskrepanz zwischen Leiden und Lebenslust.

„Das Thema Sterbehilfe ist derzeit im Kino sehr gefragt", sagt Golino. „In Frankreich und Italien wird es stark diskutiert, auch in den Filmen, und letztlich ist selbst Hanekes ‚Amour‘ ein Beitrag dazu". Golino, die sowohl das Drehbuch verfasste als auch Regie führte, wollte selbst aber nicht im Film mitspielen. „Ich habe eine Zeit lang überlegt, ob ich eine Rolle für mich darin sehe. Aber ich habe mich dagegen entschieden, denn ich wollte voll auf den Job hinter der Kamera fokussieren". Insgesamt vier Jahre bereitete Golino den Film vor, „weil es vor allem sehr schwer war, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen", sagt sie. Das liege auch am Thema. „Niemand will sich gerne mit dem Sterben konfrontieren, deshalb ließen viele Produzenten die Finger von dem Projekt. Aber es ist wichtig und auch die Aufgabe des Kinos, unangenehme Themen zu verhandeln".

Matthias Greuling, Cannes

Freitag, 17. Mai 2013

The Bling Ring: Sofia Coppola steigt bei Paris Hilton ein

Vier Teenage-Girls und ein Bursch brechen in die Villen reicher Hollywood-Stars ein und baden dort unter den Augen von Überwachungskameras stundenlang im Luxus ihrer Idole, ehe sie mit den schönsten Klunkern, Designer-Schuhen und –Taschen sowie den gefundenen Drogen und Dollarscheinen wieder abhauen.

"The Bling Ring" von Sofia Coppola. Foto: Festival de Cannes
Alles tatsächlich passiert, im schönen Los Angeles: Die Geschichte zu Sofia Coppolas neuem Film „The Bling Ring“, der die Nebenreihe „Un certain regard“ in Cannes eröffnete, hat Schlagzeilen gemacht, die Coppola zu diesem Film inspirierten. Er enthält Stars (und zugleich Freunde der Regisseurin), etwa Kirsten Dunst und Paris Hilton. Emma Watson ist hingegen nicht eine der bestohlenen Stars, sondern selbst Teil der Einbrecher-Gang. Filmfiguren übrigens, die an Oberflächlichkeit nicht zu überbieten sind und die beim Anblick eines Frauenschuhschranks ausflippen, als kämen sie aus einer Zalanado-Werbung.
Hatten die Protagonisten in Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“ wenigstens noch einen hehren Weltveränderungsgedanken (sie wollten wie moderne Robin Hoods die Reichen verunsichern, indem sie ihre Villen verwüsteten), so sind die Protagonisten in Coppolas „The Bling Ring“ nur mehr noch verzogene Teenies mit zwei funktionierenden Gehirnzellen. Die linke davon bewältigt die lebensnotwendigen Aufgaben (Essen, Schlafen), während die rechte in einer Art Dauerpartymodus die zutiefst oberflächliche Welt der Hollywood-Stars und It-Girls zu imitieren versucht und zum Verbrauch von Unmengen an Koks animiert.
Eine ganze Stunde in „The Bling Ring“ vergeht, ehe die Regisseurin erstmals ihren redundanten Duktus von der Einbrecher-Routine durchbricht. Denn bis dahin ist man, in immer derselben grellbunten Partystimmung, mindestens acht Mal bei Paris Hilton zu Gast und muss zusehen, wie sich die Gören durch ihre Kleiderschränke wühlen. Was dramaturgisch zunächst völlig Fehl am Platz erscheint, weil sich die Geschichte durch die ewigen Wiederholungen nicht und nicht vom Fleck bewegt, wird erst im Finale als durchaus überlegtes Regiekonzept sichtbar: Denn Coppola erzählt die Story genauso oberflächlich, wie es ihre Protagonisten im echten Leben sind – hier arbeitet die Regie mit denselben Belanglosigkeiten, die auch das Leben der Mädchen dominiert. Motto: Was wäre das für ein Leben ohne Chanel, Prada, Antidepressiva und den Machtrausch, den eine Waffe hervorruft?
Natürlich wird die Bande erwischt und muss sich vor Gericht verantworten – gerade hier (und wie schon im Vorgänger "Somewhere") übt sich Coppola in viel Zynismus über die Glitzerwelt, in der sie selbst groß geworden ist: Die Star-Einbrecher werden schließlich selbst zu Stars, weil die Medien sich auf solche bizarren Geschichten stürzen. Und die Mädels wissen damit professionell umzugehen – eigene Website inklusive.
Wer übrigens einmal daheim bei Paris Hilton vorbeischauen will, weiß nach „The Bling Ring“, wo das It-Girl seinen Hausschlüssel (mit Eiffelturm-Anhänger!) versteckt: Er liegt links unter der Türmatte.
Matthias Greuling, Cannes

Donnerstag, 16. Mai 2013

François Ozon und die Schönheit der Jugend // Cannes 2013

Der Film beginnt mit einem Blick durchs Fernglas: Es zeigt ein Mädchen, 16 Jahre alt, das am Strand liegt und sich in der Sonne räkelt. Dann nimmt es sein Bikini-Top ab. Der Spechtler ist der ein paar Jahre jüngere Bruder des Mädchens, beide machen mit den Eltern Sommerurlaub im Süden Frankreichs. Isabelle feiert dort auch ihren 17. Geburtstag, und ihre Entjungferung (durch einen deutschen Burschen). Ihrem Bruder gegenüber kommentiert sie diese für sie wenig lustvolle Erfahrung nur knapp: „Erledigt“.
"Young & Beautiful" von François Ozon. Foto: Festival de Cannes
François Ozon hat in seinem neuen Film „Young & Beautiful“, der in Cannes im Wettbewerb läuft, den Titel zum Programm gemacht: Das vorerst laue Sommermärchen ist durchsetzt von sexuellen Anspielungen und Phantasien seiner Protagonisten. Dabei steht zunächst noch die eigene Lust im Vordergrund, bald aber wird für Isabelle aus dem Sexualtrieb die wohlkalkulierte Lizenz zum Gelddrucken. Denn Ozon zeigt seine noch nicht volljährige Hauptfigur nach dem Sommerurlaub in ihrer sonstigen Lebensumgebung (ein bürgerliches Umfeld in Paris), aus der sie regelmäßig ausbricht: Als selbstständig organisierte Prostituierte verdient sie gerade bei ihren älteren Kunden Unmengen an Geld. Erstaunlich, wie dieses Mädchen, das sich im Job Léa nennt, den Sex zur strategischen Machtausübung nutzt, obwohl ihr erstes Mal erst so kurz zurück liegt. Als sie auffliegt, versteht ihre Mutter die Welt nicht mehr. Was ist in der Erziehung bloß schief gelaufen? Aber das ist ein falscher Denkansatz, wenn man Léa verstehen will: Als Léa blendet Isabelle aus, was man ihr in ihrer wohlbehüteten Kindheit beigebracht hat.
Ozon hat mit Marine Vacth ein französisches Model in der Hauptrolle besetzt, das ausdrucksstark und wortkarg genau jenes Bild der fragilen Kindfrau mit dem Schmollmund und den großen Augen verkörpert, das die Laufstege gerne vermitteln. Der perfekte Körper dient hier aber nicht als Schauwert: Zwar ist „Young & Beautiful“ voller Szenen mit Verführung, Nacktheit und Sex, aber sexy ist dieser Film nie. Ozon umschifft gekonnt jede Konvention, die Erotik produzieren könnte.
Insgesamt aber ist „Young & Beautiful“ vor allem ein Film, der (französische) Klischees bemüht. Es ist, als würde Ozon (auch mit dem kurzen Auftritt von Charlotte Rampling) gern sich selbst reproduzieren, weil er schon so oft Bilder über Perfektion und über das Streben nach der reinen Schönheit gemacht hat. Jetzt, da man Ozons Handschrift schon deutlich kennt, wirken diese selbstreferenzierenden Klischees Fehl am Platz, auch wenn Ozon niemals expliziter von seinem Lieblingsthema erzählt hat: Dem oft schmerzlichen Prozess des Erwachsenwerdens.
Matthias Greuling, Cannes

Dienstag, 14. Mai 2013

Cannes: Ein Festival zwischen Institution und Innovation

Mit Institutionen ist es ja genau andersrum wie mit Innovationen: Man kann sie so lange als solche bezeichnen, wie sie einem verlässlich das ewig Gleiche liefern. Das ist in der Welt von Finanzen, von Recht und Gesundheit womöglich der Weisheit letzter Schluss, denn genau dort braucht es Stabilität. Aber in der Kunst?
Die Ruhe vor dem Sturm auf der Croisette. Foto: Greuling
Das Filmfestival von Cannes steckt seit vielen Jahren in einer Zwickmühle zwischen Institutionszwang und Innovationsdrang fest, ohne dass seine mehr als ergrauten Chefs jemals den Ausbruch aus dieser Situation gefunden hätten: Gilles Jacob, der 83-jährige Präsident des Festivals, der dessen Geschicke seit 1977 lenkt, und sein künstlerischer Leiter Thierry Frémaux, 53, und seit 2001 in dieser Position, haben in ihren Festivalprogrammen der letzten Dekade konstant auf sichere Quotenbringer und den Arthaus-Mainstream gesetzt. Ja, sie haben diesen Begriff sogar erfunden, indem sie mit schöner Regelmäßigkeit die immer gleichen Regisseure in ihren Wettbewerb eingeladen haben und dabei auf innovative, frische Zugänge weitestgehend verzichteten. Die finden in der zeitgleich stattfindenden, aber vom Festival völlig entkoppelten Reihe „Quinzain des réalisateurs“ statt, in der auch Leute wie Haneke ihre ersten Cannes-Sporen verdienten. Irgendwann, wenn sie genug künstlerische Ausdauer bewiesen hatten, übernahm man sie in den Wettbewerb. Aber muss man Jacob und Frémaux das zum Vorwurf machen? Nein. Sie verteidigen nur den Mythos ihrer Institution.  
Am Programm der heute Abend beginnenden 66. Ausgabe des weltgrößten und berühmtesten Festivals ist das wieder überdeutlich abzulesen: Niemand hier ist wirklich ein Cannes-Neuling im Bewerb um die Goldene Palme, und auch außerhalb des Wettbewerbs bemüht sich Cannes um die größtmögliche Glamour-Show: Der Eröffnungsfilm kommt vom australischen Bombast-Könner Baz Luhrmann, der hier schon 2001 mit „Moulin Rouge“ die Sinne taumeln ließ: „Der große Gatsby“ heißt sein neues Werk, mit Leonardo DiCaprio, in 3D und mit jeder Menge Spektakel: Ein Bilderreigen nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald, der schon diese Woche in unseren Kinos anläuft und seine Premiere bereits vergangene Woche in New York hatte. Bei allen Sicherheitsgedanken, die Cannes bei Eröffnungsfilmen traditionell hegt (große Stars bedeuten flächendeckende Berichterstattung in den Medien)  ist das immerhin eine Art Novum: Bisher war es für Jacob und Frémaux nämlich unabdingbar, dass Filme, die in Cannes gezeigt werden, Weltpremieren zu sein hatten; doch für das Kommen von DiCaprio und Co. machte man diesmal eine Ausnahme – und geht somit auch in die Knie vor den US-Studios, die sich dem Diktat der rigorosen Cannes-Regeln offenbar nicht mehr unterwerfen wollen: Es ist ein Wechselspiel der Kräfte. Cannes braucht Hollywood, und Hollywood braucht Cannes. Nur dass es derzeit so aussieht, als hätte Cannes da etwas Boden verloren. Es ist wie in Beziehungen: einer liebt immer mehr – und ist am Ende der Verlierer.
 
Die Selbstverständlichkeit, mit der Cannes sein Programm füllt, läuft dem festivaleigenen Statut, neue Wege in der Filmkunst zu fördern, zuwider. Auch, wenn der „Cannes Regular“ Lars von Trier mit seinem Werk „Nymphomaniac“ überraschenderweise fehlt, weil er angeblich nicht rechtzeitig fertig wurde (böse Zungen behaupten, von Trier sei nach seinem Nazi-Sager 2010 noch immer „persona non grata“ in Cannes), stammen die meisten Filme von den üblichen Verdächtigen: Allein aus Frankreich sind acht Filme im Bewerb, darunter die neuen Arbeiten von Francois Ozon, Abdellatif Kechiche und Valeria Bruni-Tedeschi. Wieder mal an der Croisette sind die Coen-Brüder, Steven Soderbergh, James Gray, Roman Polanski oder Jim Jarmusch. Mag sein, dass unter ihren Arbeiten einige neue Meisterwerke alter Meister zu finden sein werden, jedoch stellt sich erneut heraus, was bereits im Vorjahr eines der drängendsten Probleme des Festivals war: Es ist – wie auch bei den Oscars – in Wahrheit eine Altherrenveranstaltung, die sich zum gemeinsamen Feiern ausgetretener Pfade versammelt. Vielleicht gilt das für Cannes im Speziellen und für das Filmschaffen im Allgemeinen: Im sich selbst perpetuierenden System der Dominanzen in einer hierarchisch wenig demokratischen Branche kann die Innovation nur störend wirken; denn sie stellt die Institution in Frage. Der Kunstbetrieb in Cannes deckt diese Tatsachen gerne mit viel Pomp und Glamour zu, damit man vor lauter Funkeln nicht mehr sieht, dass darunter leise fließt, was eigentlich brodeln sollte.
Matthias Greuling, Cannes


Montag, 13. Mai 2013

Festival de Cannes 2013: Eine Vorschau auf das Programm

Noch bestimmen eher betagte Touristen das Bild von Cannes. Wenn aber in dem einstigen kleinen Fischerdorf ab 15. Mai die Filmprofis aus aller Welt einfallen, verwandelt sich dieser Ort in das Mekka des Filmgeschäfts und wird für 10 Tage zur Pilgerstätte für die Fans von Superstars wie Leonardo DiCaprio, Emma Watson, Ryan Gosling oder Carey Mulligan. Täglich auf dem roten Teppich werden unter anderem Steven Spielberg, Christoph Waltz und Nicole Kidman zu sehen sein, denn sie gehören zur internationalen Jury, die über die insgesamt 19 Filme im Wettbewerb um die Goldene Palme abstimmen werden.
Cannes
Noch wird in Cannes allerorten geschraubt, gehämmert und gebohrt, denn das Palais des Festivals will auf Vordermann gebracht werden. Besonders sorgfältig geht man beim Auslegen des roten Teppichs vor, der mit einer Plastikfolie überzogen ist. Erst wenn am Mittwoch die ersten Stars darüber laufen, kommt die Folie weg.
Zur Eröffnung am Mittwoch läuft beim 66. Festival de Cannes Baz Luhrmanns 3D-Spektakel „Der große Gatsby“ – ein Bombast-Remake des Klassikers von 1974, basierend auf F. Scott Fitzgeralds berühmtem Roman. Der Film, der schon am Freitag regulär in den Kinos anläuft, hatte bereits seine Weltpremiere in New York, doch Cannes wollte nicht auf die Starinvasion für seinen Auftakt verzichten; und das, obwohl man in Cannes eigentlich auf Welturaufführungen besteht. Aber zu wichtig ist die Coverage der insgesamt 4000 anwesenden Journalisten am Starttag – Cannes will schließlich die unangefochtene Nummer eins unter den Filmfestivals bleiben. Das geht aber nur mit viel Pomp, Glamour und wilden Partys. Die werden meist entlang der Prachtstraße „La Croisette“ veranstaltet, in den noblen Hotels (vom Carlton bis zum Majestic) oder den vorgelagerten Stränden – bis jetzt sind dort aber nur viele Baustellen, und große LKW schaffen Ton- und Bühnenequipment heran.
Damit das Festival auch seinen Ruf als künstlerisch hochwertige Veranstaltung festigt, sind im Wettbewerb auch in diesem Jahr wieder etliche neue Werke arrivierter Filmemacher zu sehen: Allein aus Frankreich sind acht Filme im Bewerb, darunter die neuen Arbeiten von Francois Ozon, Abdellatif Kechiche und Valeria Bruni-Tedeschi. Stark vertreten ist auch das asiatische Kino mit Filmen von Jia Zhangke, Takashi Miike und Kore-Eda Hirokazu. Fehlen dürfen aber auch nicht die „Cannes Regulars“: Die Coen-Brüder stellen ihren Film „Inside Llewyn Davis“ über die New Yorker Folk Music-Szene der 60er Jahre vor, Steven Soderbergh zeigt seinen definitiv letzten Film vor der selbst verordneten Regie-Pause, „Behind the Candelabra“ mit Michael Douglas und Matt Damon. Von James Gray kommt das in den 1920ern angesiedelte Einwandererdrama „The Immigrant“ (mit Marion Cotillard), von Jim Jarmusch „Only Lovers Left Alive“. Mit dem Bangkok Crime-Thriller „Only God Forgives” kehrt der Däne Nicolas Winding Refn in den Wettbewerb zurück, nachdem er hier schon den Regiepreis für “Drive” abstaubte – sein Hauptdarsteller heißt erneut Ryan Gosling. Altmeister Roman Polanski wird nicht nur sein neuestes Werk „La Venus a la Fourrure“ präsentieren, sondern auch eine Doku über Formel-1-Legende Jackie Stewart. Die Nebenreihe „Un certain regard“ wird mit Sofia Coppolas „The Bling Ring“ eröffnet, in dem Teenager in die Villen gut betuchter Hollywood-Stars einsteigen. Emma Watson spielt eine der Einbrecherinnen, keinen bestohlenen Star, wohlgemerkt.
Derweil strahlt in Cannes noch die Sonne vom azurblauen Himmel, doch für den Beginn des Festivals wurde eine Schlechtwetterfront vorhergesagt, die sich über mehrere Tage halten soll. Was wiederum ein Deja-vu zum Vorjahr ergäbe: Damals fand die Premiere des späteren Cannes-Siegers „Amour“ von Michael Haneke bei Platzregen und Sturmgewitter statt. Vielleicht ein gutes künstlerisches Omen für jene Filme, deren Premieren heuer ins Wasser fallen werden: Sie haben mitunter – siehe „Amour“ –  eine große Karriere vor sich.
Matthias Greuling
Das Filmfestival von Cannes beginnt am 15. Mai. Offizielle Seite: www.festival-cannes.fr