Dienstag, 17. Mai 2016

Cannes mit Jarmusch, Arnold und Assayas

Es gehört zum Wesen eines Festivals von der Größenordnung wie Cannes, dass die sich hier immer wieder der Weltöffentlichkeit aussetzenden Filmkünstler nicht immer nur Meisterwerke abliefern können. Aber es ist möglich. Weshalb Cannes bei der Programmauswahl gerne auf die eigenen Ziehsöhne zurückgreift. Große Namen garantieren nicht nur große Aufmerksamkeit, sondern auch die Fortschreibung der Filmgeschichte.
Adam Driver, Golshifteh Farahani, Jim Jarmusch (Foto: Katharina Sartena)

Jim Jarmusch zum Beispiel. Der porträtiert in „Paterson“ einen Busfahrer namens Paterson, dessen Bus die Destination Paterson, New Jersey anfährt. Ein Jarmusch-Joke voller Ironie, der die Routine des Lebens unterstreicht: „Paterson“ erzählt die immer gleiche, wochentägliche Bustour, die sich nach Feierabend fortsetzt: Der obligatorische Gang mit dem Hund endet in einer Bar. Als Kontrast stellt Jarmusch seinem Helden eine Ehefrau zur Seite, deren stetiger Wunsch nach Veränderung sich letztlich in der Ausgestaltung der gemeinsamen Wohnung in Variationen schwarzweißer Vorhänge und Dekorationen erschöpft. In der Hauptrolle zeigt Jarmusch Adam Driver („Star Wars Episode VII“) als wunderbar lakonischen Busfahrer mit Hang zur Poesie in einem Stück über das Leben und seine manchmal unerfüllten Sehnsüchte. Ein gelungener Film, geschmeidig, gemächlich und nachdenklich, wie man es von Jarmusch nicht nur kennt, sondern auch schätzt. Aber kein Hauptwerk.
Ebensowenig wie Andrea Arnolds allzu langatmig geratene Sinnsuche einer jungen Frau (Sasha Lane), die sich auf einen Trip quer durch Amerika begibt, um zu sich zu finden. „American Honey“ ist die Geschichte eines Teenagers, der ausreißt und sich einer Gruppe junger Leute anschließt, die mit einem Van von Bundesstaat zu Bundesstaat reist und vom Verkauf von Zeitschriftenabos lebt. Arnold („Fish Tank“) erzählt dieses an sich recht dröge Ausbruchsszenario aus den Augen einer Protagonistin, die selbst darin noch Romantik vermutet, wo andere längst den Stumpfsinn sehen. „American Honey“ lässt wie alle Filme Arnolds kaum Emotion oder Verklärtheit zu, zugleich aber schafft er die Distanz zur Hauptfigur ab und klebt in dichten 1:1,33-Bildern - dem alten 4:3 Fernsehformat - an der Protagonistin.
Olivier Assayas, auch so ein Cannes-Veteran, der heuer zum vierten Mal im Wettbewerb vertreten ist, kümmert sich in seinem neuen Film „Personal Shopper“ hingegen mit einer gewissen Distanz um seine Hauptdarstellerin Kristen Stewart, mit der er 2014 schon „Clouds of Sils Maria“ drehte. Diesmal darf Stewart eine junge Frau spielen, die nicht nur den Tod ihres Zwillingsbruders verarbeiten muss, der denselben Herzfehler hatte wie sie, sondern auch noch die Wünsche ihrer prominenten Arbeitgeberin (Nora von Walstätten), eines Superstars, zufriedenstellend erfüllen soll - vom teuren Chanel-Kleid bis zu den extra aus London nach Paris gekarrten Accessoires. Weil die junge Frau auch Stimmen aus dem Jenseits hört und seltsame, anonyme Stalker-SMS erhält, wächst „Personal Shopper“ bald über das gewöhnliche Drama hinaus und gerät zu einer mysteriösen Geisterstunde, die man nicht mögen muss, aber kann. Aber auch Assayas zeigt sich nicht in der Form seines Lebens, genau wie Jarmusch oder Arnold.
Kommen wir also zu den wirklich erfreulichen Filmen an der Croisette, die nicht nur begeistern, sondern auch konsensfähige Palmenkandidaten sind. Als da wäre: „Toni Erdmann“ von Maren Ade. Die deutsch-österreichische Koproduktion hat Cannes im Sturm erobert, nachdem es bei Pressevorstellungen und der offiziellen Premiere mehrfach zu Szenenapplaus und Standing Ovations gekommen war. Das großteils in Rumänien gedrehte kleine Filmwunder liest sich in der Beschreibung eher nach einem grässlich misslungenen Euro-Pudding-Stückwerk: Ines (Hüller) ist Mitarbeiterin bei einer Unternehmensberatung in Bukarest, wo man den Kunden die unangenehmen Arbeiten abnimmt: Sollen 200 Stellen gestrichen werden, so spricht man von „Outsourcing“, und diesen Job müssen Ines und ihr Team erledigen. Kündigungen überlassen große Firmen nämlich heutzutage grundsätzlich den anderen. Und Ines ist in dieser Position zwar Profi, aber alles andere als glücklich. Das merkt auch ihr Vater Winfried (Simonischek), ein Spaßvogel der alten Schule, der einem gern ein Furzkissen unters Gesäß legt. Winfried besucht seine Tochter in Bukarest und sieht dort zu, wie sie unter dem Stress ihrer Arbeit leidet. Bald schon tritt er mit Perücke und falschen Zähnen als Geschäftsmann Toni Erdmann auf und mischt sich so ins Leben seiner Tochter, die davon alles andere als begeistert scheint. 

Die Umsetzung dieser seltsamen Geschichte gelingt Maren Ade auf geradezu famose Weise: Es geht in „Toni Erdmann“ nicht nur um das Lebensglück, sondern auch darum, im Korsett scheinbarer Verpflichtungen der Arbeitswelt festzustecken, bis einem die Luft wegbleibt. Maren Ade, in Berlin 2009 für „Alle anderen“ prämiert, zeigt in ihrem dritten Spielfilm, welch famose Beobachterin sie ist: Ihr Film funktioniert als Drama genauso wie als Komödie, hat eine freche, fast frivole Seite im Umgang mit Konventionen. Sandra Hüller und Peter Simonischek spielen ein Gespann aus Vater und Tochter, das man mit den Begriffen Verve und Nonchalance noch immer nicht ausreichend charakterisiert hätte. Die beiden geben in 162 Minuten Film eine ganz und gar finessenreiche, hintergründige Performance. Obwohl in den kommenden Tagen noch die Filme von den Brüdern Dardenne, von Sean Penn und Pedro Almodovar, Paul Verhoeven und Asghar Farhadi anstehen: „Toni Erdmann“ wird am kommenden Sonntag hier einen der Hauptpreise gewinnen, alles andere wäre nicht nur: eine Riesenüberraschung. Sondern auch: Unfair.

Matthias Greuling, Cannes

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen