Montag, 10. August 2015

Michael Cimino: "Filme sind wie Frauen: Jede ist anders" - Locarno 2015

Darauf, dass Michael Cimino 1980 mit "Heaven’s Gate" ein finanzielles Desaster erlebte, an dem das Studio United Artists fast zerbrach, soll man den 76-jährigen US-Regisseur besser nicht ansprechen, wird uns im Vorfeld des Interviews geraten. Cimino, diese fast tragische Figur des US-Independentkinos, ist dadurch unsterblich geworden, aber eigentlich sollte man ihn nicht mit einem Flop identifizieren (der "Heaven’s Gate" zudem gar nicht ist; der Film erhielt 2012 - spät, aber doch - verdiente Anerkennung: einen Goldenen Löwen in Venedig) - schließlich hat der Mann für "Deer Hunter" (1978) zwei Oscars für die beste Regie und den besten Film zuhause stehen, insgesamt fünf Oscars heimste dieses dreistündige Drama um im Vietnam gefangene US-Soldaten, die zu russischem Roulette gezwungen werden, damals ein.
Foto: Katharina Sartena

Als Cimino den Raum betritt, wird es still: Der kleine, schmächtige Mann ist dank etlicher offensichtlicher Eingriffe zu einer alterslosen Kunstfigur geworden, mit falschen Haaren, prallen Lippen und gelifteten Wangen. Man reicht ihm ein Wasser, und ein Kellner bringt einen Krug voller Eiswürfel. "Wir Amerikaner lieben Eis", sagt Cimino, und bricht dadurch eben jenes.
Cimino gibt sich locker und erzählt mit dem Schmunzeln eines jungen Schulbuben von der Frühzeit seines Schaffens. Er berichtet, wie Clint Eastwood ihm das Drehbuch zu "Thunderbolt & Lightfoot", seiner ersten Regiearbeit von 1974, abkaufen wollte. "Er wollte das Buch selbst inszenieren, aber ich sagte: Ich verkaufe nicht", so Cimino. "Schließlich schlug er mir vor, drei Probetage lang zu drehen, und wenn er mit dem Material nicht zufrieden wäre, würde er mich auf dem Regiestuhl ersetzen". Eastwood war zufrieden, und Cimino war durch den Film als junger, aufstrebender Regisseur bekannt geworden. Neben Eastwood stand auch Jeff Bridges bei dem Film vor der Kamera. "Bridges hatte nur eine einzige Funktion", so Cimino. "Er sollte Eastwood zum Lachen bringen. Und er tat es. Es gab vor diesem Film keine Filmszene, in der man Eastwood lachen sah".
Foto: Katharina Sartena

"Deer Hunter" wurde in Locarno zu Ciminos Ehren auf der Piazza Grande aufgeführt, zuvor erhielt der Regisseur einen goldenen Ehren-Leoparden für sein Schaffen. "Der sieht aber nicht aus wie ein Leopard, sondern eher wie ein Hühnchen", befand Cimino und bedankte sich.
1996 drehte er seinen achten und bis dato letzten Film als Regisseur, "The Sunchaser" mit Woody Harrelson. Seither war Cimino, der es nach dem Flop von "Heaven’s Gate" sehr schwer hatte, neue Projekte in Angriff zu nehmen, immer wieder als Drehbuchautor tätig und schrieb auch einen Roman. "Dabei fällt mir das Regieführen unglaublich leicht", betont Cimino fast wehmütig. "Was wirklich schwierig ist, ist das Schreiben. Man sitzt vor einem weißen Blatt Papier und soll es mit Leben füllen".
Das Schreiben, eine Qual? "Durchaus. Es ist immer unterschiedlich, manchmal schreibe ich nur eine Seite pro Tag, manchmal fünf. An den meisten Tagen steht eine fette Null auf meiner Liste. Das sind die schlimmsten Tage", so Cimino. "Ich habe allerdings keinerlei Rituale beim Schreiben. Entweder es kommt, oder eben nicht". Dabei sei vor allem wichtig, sich dem Thema völlig hinzugeben. "Jedes Projekt ist anders. Ich will es einmal so sagen: Sie haben in Ihrem Leben doch sicher mehrere Frauen kennen gelernt. Jede davon ist anders, oder? Es gibt keine, die so ist, wie die andere. Genau so ist das auch beim Filmemachen".
Matthias Greuling, Locarno

Sonntag, 9. August 2015

Samstag, 8. August 2015

Edward Norton zwischen Jubel und Anspruch - Locarno 2015

Wenn jemand wie Edward Norton zu Erzählen beginnt, dann kann das dauern. Allerdings nicht, weil der smarte Schauspieler besonders viel zu erzählen hätte, sondern weil er sich sehr genau überlegt, was er antwortet. Norton gehört eher zu den besonnenen Typen. Das Schnelle, Oberflächliche, der Schmäh ist seine Sache nicht.
Die Nachdenklichkeit hat einen Grund: "Vieles in meinem Beruf hängt von den Umständen ab. Es gibt keine generellen Rezepte dafür, wie man eine Rolle spielt, sondern es sind immer die Rahmenbedingungen, die das definieren", meint Norton. "Sei das nun der Regisseur und seine Art zu inszenieren, sei es das Drehbuch oder sei es das Kostüm, in dem man steckt. Auch ein Stück Kleidung kann mir verraten, welchen Zugang ich zu der jeweiligen Rolle finden muss."
Foto: Katharina Sartena
Edward Norton sitzt vor einer Vielzahl an Journalisten und Schaulustigen in Locarno. Es ist Nachmittag und hat gut 35 Grad. Norton schwitzt nicht. Auch das ist, möglicherweise, Teil der Disziplin, die man als Schauspieler im internationalen Filmgeschäft braucht, um erfolgreich zu sein: Seine Schweißdrüsen zu kontrollieren, das gelingt nicht vielen an diesem Tag.
In Locarno erhielt Norton den Excellence Award eines Champagner-Herstellers. Ein Preis, der wie ein Trick für das Festival funktioniert: Ausgezeichnet werden nur hochverdiente Persönlichkeiten aus der Filmwelt, damit diese durch ihr Kommen ein bisschen Glamour ins Tessin mitbringen. Das Schweizer Filmfestival ringt seit jeher mit dem Image, zuallererst der Filmkunst ein Forum zu sein und die Welt der Stars gekonnt auszublenden. Doch auch in diesem Jahr hat es Carlo Chatrian, der künstlerische Leiter der Filmschau, geschafft, eine gut austarierte Mischung an Kunst und auch an breitenwirksamen Filmen zu bieten. Seine übergroße Bühne auf der Piazza Grande will schließlich Abwechslung, und Leute wie Norton vereinen auf geradezu magische Weise Anspruch und den Jubel der Massen.

Norton, der sein Debüt 1996 in "Primal Fear" gab und später mit Filmen wie "Fight Club", "25th Hour" oder zuletzt "Birdman" seinen Platz im Charakterfach Hollywoods fand, kennt den heiklen Balanceakt zwischen Popularität und Nischenprogramm. "Ich hatte das Glück, dass viele meiner Filme sowohl vom Publikum als auch von den Kritikern gemocht wurden. Viele trafen einfach den Zeitgeist. Man weiß beim Drehen allerdings meistens noch nicht, ob ein Film gelingt, aber bei manchen meiner Arbeiten hatte ich während der Filmerei schon das Gefühl, das wird was. Ich habe dieses Gefühl bei ‚Fight Club‘ gehabt und auch bei ‚Birdman‘, und beide Filme sind sehr gut gelaufen." Vielleicht ist das Instinkt.
Denn obwohl Norton sehr bedacht spricht, erweckt der 46-Jährige keineswegs den Eindruck, als gehe er verkopft an die Arbeit: "Ich habe eigentlich nie ein Problem damit gehabt, meine Rollen wieder abzulegen", erzählt er. "Das liegt daran, dass ich fast nie eine persönliche Beziehung zu meinen Figuren aufbaue. Im Gegenteil: Ich versuche, mich da wirklich rauszuhalten und so weit als möglich zurückzunehmen. Meine Figuren haben nichts von mir."
Das ist wohl auch ein Grund dafür, weshalb Norton in seinem Auftreten eher zu den unauffälligen Vertretern seiner Zunft zählt. Glänzen will dieser Mann nur auf der Leinwand, aber nicht privat. Allzu aufdringliche Fotografen nerven ihn. Im Mittelpunkt zu stehen, das müsste jemand wie Norton eigentlich gewöhnt sein, doch in Locarno wirkt das anders.
Gut möglich, dass Norton deshalb damit liebäugelt, in Zukunft mehr hinter die Kamera zu wechseln. Gerade ist seine zweite Regiearbeit "Motherless Brooklyn" im Entstehen. "Als Schauspieler schadet es nicht, wenn man einmal Regie geführt hat. Man versteht dann die Nöte des Regisseurs besser", sagt Norton in gewohnt überlegter Weise. Und legt dann doch noch einen kleinen Schmäh nach: "Ich habe dadurch gelernt, als Schauspieler nie wieder zu spät ans Set zu kommen."
Matthias Greuling, Locarno

Donnerstag, 6. August 2015

Locarno lockt die Stars: Edward Norton ist dem Ruf gefolgt

Bei drückender Hitze wurden am Mittwoch die 68. Filmfestspiele von Locarno eröffnet - mit Jonathan Demmes Film „Ricki and the Flash“. Darin spielt Meryl Streep eine Frau, die auszog, um als Rockstar Karriere zu machen, und später zu ihrer Familie zurückkehrt, um dadurch entstandene Beziehungs-Fehler auszumerzen. 

Edward Norton mit seiner Frau Shauna (Foto: Katharina Sartena)
Der Film ist wie gemacht für das Piazza-Publikum: Die 8000 anwesenden Gäste genossen die Vorstellung im ausverkauften, größten Open-Air-Kino Europas. Dass „Ricki and the Flash“ nicht allein mit der wunderbaren Meryl Streep aufwarten kann (was an sich schon Grund genug für einen Kinobesuch wäre), ist auch Kalkül der Filmemacher: In der zweiten weiblichen Hauptrolle ist nämlich Streeps Tochter Mamie Gummer zu sehen. Mutter und Tochter ergeben auf der Leinwand ein adrettes Gespann, die Dialogzeilen dazu stammen von „Juno“-Autorin Diablo Cody.

Piazza Grande (Foto: Katharina Sartena)
Nach Locarno hatten es Streep und Gummer allerdings leider nicht geschafft. Dafür gab sich ein anderer Weltstar die Ehre: Edward Norton erhielt an diesem Abend den Moet & Chandon Excellence Award, den der Champagner-Hersteller als einer der Hauptsponsoren des Festivals auslobt. Es ist der Versuch, dem Schweizer Festival am Lago Maggiore auch ein bisschen Hollywood-Glanz zu verschaffen - allein mit dem Filmprogramm, das der künstlerische Leiter Carlo Chatrian hier in seinem zweiten Jahr zusammengestellt hat, wäre dies freilich nicht möglich: Chatrian ist Verfechter der Filmkunst, der Wettbewerb zeigt darob hauptsächlich Arbeiten arrivierter und junger Autorenfilmer, darunter in diesem Jahr neue Werke von Otar Iosseliani, Athina Rachel Tsangari, Hong Sang-soo oder Chantal Akerman. „Unsere Filme sind unsere Stärke“, sagte Chatrian unisono mit Festivalpräsident Marco Solari, der zugleich auch der Tourismus-Chef der Region Tessin ist. Hier hat man Interesse am Hollywood-Flair, doch Verrat an der Idee der Filmschau kann man auch nicht begehen: Und so fährt Locarno, dieses kleinste aller A-Festivals, seit einigen Jahren einen Kurs zwischen viel Kunst und ein bisschen Glamour: Da sind einerseits die manchmal famosen, manchmal aber auch laschen Kunst-Experimente, andererseits die mal mehr, mal weniger publikumsträchtigen Stars: Doch auch bei deren Auswahl bleibt man sich relativ treu: Es ließe sich wohl nur schwer behaupten, Edward Norton sei ein Schauspieler des Mainstreams. „Kunst“ kommt nicht von „Kommerz“: Wahrscheinlich ist Norton gerade deshalb auch hier her gekommen.  

Matthias Greuling, Locarno