Freitag, 20. Mai 2016

The Neon Demon: Ultraschöner Horrortrip

Nicolas Winding Refn gehört zu den jüngeren Filmemachern, deren Entdeckung Cannes sich auf die Fahnen heften darf. 2011 lief hier sein fabelhafter Film "Drive", der ihn als kompromisslosen Regisseur einführte, der stark auf die Stilisierung seiner Bilder achtet. Ihm scheint die Form seiner Arbeiten mindestens genauso wichtig wie ihr Inhalt, manchmal vielleicht sogar eine Spur wichtiger.
Elle Fanning mit Nicolas Winding Refn (Foto: Katharina Sartena)
Das ist auch bei seinem neuen Film "The Neon Demon" der Fall, der heuer wieder im Wettbewerb läuft, nachdem Refn 2013 mit "Only God Forgives" hier auf radikale Abneigung stieß. Doch der Däne lässt sich von schlechter Kritik nicht beirren, sondern geht seinen Weg eines gelackten Genrekinos unbeirrt weiter.
In "Neon Demon" folgt Refn dem blutjungen Model Jesse (Elle Fanning), das von der Provinz nach Los Angeles kommt, in der Hoffnung, die große Karriere machen zu können. Doch bald schon bemerkt sie, dass es nicht alle Menschen, die ihr schön tun, auch gut mit ihr meinen. Ein Allerweltsplot eigentlich, den man jede Woche in den Topmodel-Shows der Privatsender in zig Varianten erlebt, jedoch wäre Nicolas Winding Refn nicht der, der er ist, würde er dem ausgelutschten Sujet nicht ein paar exquisite Seiten abringen können.
"The Neon Demon" ist darob als ultrastylishe Fleischbeschau einerseits und als elegant gefilmter Horrortrip andererseits vor allem darauf aus, genau das zu zelebrieren, worauf es in der Modelwelt ankommt: Das Abbild von Schönheit. In diesem Fall ist Elle Fanning, die jüngere Schwester von Dakota Fanning, ins Rampenlicht gerückt worden; sie spielt ihre 16-jährige Jesse zunächst mit so viel "Ich bin ein scheues Reh"-Anteil, dass man wirklich Mitleid mit ihr bekommt. "Die Kamera liebt sie einfach", sagt Winding Refn. "Elle Fanning sieht aus wie einer dieser unglaublich glamourösen Stummfilmstars und ist zugleich eine der talentiertesten Nachwuchstalente, die Hollywood hat. Sie kann sich vor der Kamera verändern wie kaum jemand sonst".
Refn wollte schon seit vielen Jahren einen Film über die Schönheit drehen. "Vor allem deshalb, weil ich in meinem Leben ständig davon umgeben bin", meint er, der schon Werbefilme für Gucci, H&M oder Hennessey gedreht hat. "Schönheit ist längst zu einer Währung geworden, die immer weiter steigt, und scheinbar niemals fällt", so der Regisseur. "Die Zeitspanne der Schönheit ist jedoch limitiert, nicht aber unsere Obsession mit ihr. Eine Obsession, die viele Menschen auch in den Wahnsinn treiben kann". Refn illustriert das mit dem Bild des Narziss aus der griechischen Mythologie, der so schön war, dass er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte.

Um den Überblick über seine bis ins kleinste Detail perfekt durchkomponierten Bilder zu behalten, entschied sich Refn dafür, den Film in chronologischer Reihenfolge zu drehen. "Etwas, das es im Filmbetrieb eigentlich gar nicht gibt, weil es viel zu teuer ist", so Refn. "Aber ich mache das bei all meinen Filmen so, weil ich die Angst mag, bis zum Ende des Drehs nicht zu wissen, ob mein Film so wird, wie ich ihn mir vorgestellt habe". Zugleich müsse sich auch die Crew extrem engagieren. "Jeder muss 100 Prozent geben, weil es sich dann um einen organischen Entwicklungsprozess handelt, in dem der Film entsteht. Das kann toll und fürchterlich gleichermaßen sein: Vor allem, weil jeder Tag Änderungen bringen kann".
Matthias Greuling, Cannes
Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen.

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