Mittwoch, 11. Mai 2016

Woody Allen und "Café Society" eröffnen Cannes 69

Die Angst vorm Sterben treibt alle um. In Cannes gelten in diesem Jahr die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen aller Zeiten. 500 Polizisten mehr, permanente Militärpräsenz mit schwerer Bewaffnung, langwierige Taschenkontrollen beim Einlass ins Palais des Festivals - all das, weil in Frankreich seit den Terroranschlägen vom November noch immer der Ausnahmezustand gilt. Man fürchtet Anschläge, will vorbereitet sein.
Foto: Katharina Sartena

Auch das Filmprogramm ist nicht frei von Todesängsten. Woody Allen serviert Prophezeiungen in seinem neuen Film „Café Society“: „Ich wette, dass wir alle sterben werden, und eines Tages werde ich diese Wette gewinnen“, heißt es da an einer Stelle.
Doch „Café Society“ ist keineswegs ein deprimierendes Stück Kino, sondern - wie gewohnt von Allen - eine leicht-lockere Komödie über das Leben und die Liebe, mit einer Dosis verschrobenem jüdischen Humor (also nicht ohne Tiefgang), diesmal vor dem Hintergrund des glamourösen, stets in sonnenwarmes Licht getauchten Hollywood der 1930er Jahre. Es geht um einen mächtigen Agenten (Steve Carrell), der mit Studiogrößen wie William Fox oder Louis B. Mayer luncht oder diniert - und dessen Neffe (Jesse Eisenberg) vom Land einen Job bei ihm in L.A. sucht. Zugleich hat der Hollywood-Haudegen ein privates Problem: Er hat eine Ehefrau und eine Geliebte. Der Neffe wiederum macht einer jungen Dame (Kristen Stewart) den Hof, die in Hollywood von der großen Karriere träumt. Die Handlung verwickelt bald alle Beteiligten in eine verzwickte Situation.
„Café Society“ ist nicht Allens größter Wurf, aber eine glorreiche Hommage an die goldenen Zeiten Hollywoods ist er allemal - und dank seines hervorragenden Cast sind auch die von Allen weniger gelungen ausformulierten Szenen geglückt. Der Film ist wie gemacht für die Eröffnung (außer Konkurrenz) eines Filmfestivals wie jenes von Cannes. Denn es schreibt sich selbst auf die Fahnen der Tradition zu frönen, bringt seit Jahren auf den offiziellen Festivalplakaten Motive großer Diven und Schauspieler von einst oder wie in diesem Jahr eine Szene aus Godards Klassiker „Le mépris“. Wo also sonst ließe sich „good old Hollywood“ besser zelebrieren als an diesem Ort, der für das konservative Kino manchmal mehr übrig zu haben scheint als für das zeitgenössische.
Allen selbst ist mit seinen 80 Jahren nach 47 Filmen und 12 Cannes-Teilnahmen längst selbst Teil des Mythos Hollywood, auch, wenn er eigentlich mit Leib und Seele New Yorker geblieben ist. „Ich hatte allerdings nie etwas gegen Los Angeles und Hollywood“, sagte er in Cannes. „Es ist nur leider kein Ort, an dem ich leben könnte, weil es dort nur Sonnentage gibt und man für alles ein Auto braucht. Aber in New York, da gehe ich aus meinem Apartment und bin gleich mitten im Geschehen. Und es regnet hier sogar und schneit“. 
Eine Aussage, die typisch ist für Allen, den Misanthropen, dessen Filme immer auch mit der Endlichkeit kokettieren, nie aber tatsächlich in eine Moll-Tonart kippen. „Das ist vielleicht die Lösung“, sagt Allen, „wie wir mit der eigenen Sterblichkeit umgehen sollten. Wir sollten sie so weit wie möglich von uns wegschieben und verdrängen. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, eine tolle Szene mit Kristen Stewart und Jesse Eisenberg zu filmen, auf die wir am Ende des Tages stolz sein können“. 

Thema in Cannes war aber nicht nur Allens fortgeschrittenes Alter, sondern auch die Tatsache, dass er mit „Café Society“ erstmals „Amazon Studios“ als Produktionsfirma an Bord hat, die 15 Millionen Dollar Budget bereitstellte, nachdem er die letzten sechs Filme bei Sony Pictures Classics realisierte. „Amazon Studios“ ist ein neuer Player am Markt, das Versandhaus will vermehrt in Content investieren. Weshalb Allen auch gleich eine ganze Webserie für den Online-Händler umgesetzt hat, in der Allen neben Elaine May und Miley Cyrus auch selbst mitwirkt. Was er dazu schon verraten kann? „Der Schnitt ist fertig, das ganze sind sechs halbstündige Episoden, die Serie ist eine abgeschlossene Geschichte und einen Titel habe ich noch keinen“. Wird es weitere Online-Projekte geben? „Ich glaube nicht“, sagt Allen. Verständlich, denn: „Ich habe nicht einmal einen Computer. Und ich habe mein Leben lang noch nie eine E-Mail verschickt“. Der Faible für die gute, alte Zeit, den Allen in vielen seiner Filme zur Schau stellt, braucht kein neumodisches Schnickschnack. Dazu genügen ein paar von Allens alten Jazz-Platten, die auf dem Soundtrack knarzen.

Matthias Greuling, Cannes

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