Samstag, 17. Februar 2018

Wes Anderson und die Hunde

Des Menschen liebste Vierbeiner stehen im Zentrum von Wes Andersons neuem Animationsfilm, der am Donnerstag die 68. Berlinale eröffnet hat - übrigens der erste Animationsfilm, dem eine solche Ehre zuteil wurde. Die Berlinale gibt sich dieser Tage leichtfüßig und beschwingt wie lange nicht, am roten Teppich scherzten Stars wie Bill Murray, Jeff Goldblum, Tilda Swinton oder Greta Gerwig um die Wette, und das trotz eisiger Minusgrade. Mittendrin Dieter Kosslick, der bei seiner vorletzten Berlinale (er wird 2019 abtreten) entspannter denn je wirkt, und das trotz des eisigen Gegenwindes der Filmbranche, die kürzlich einen Neustart der Berlinale forderte, um dem erstarrten Kosslick-System zu entkommen.
Wes Anderson (Foto: Katharina Sartena)

Aber davon wird nicht mehr gesprochen, zumindest nicht öffentlich, denn jetzt ist erst einmal Filmzeit in Berlin, da dreht sich alles nur um die laufenden Bilder und darum, das Kino zu feiern. „Das Kino ist ein Fest“, gibt Regisseur Tom Tykwer die Devise aus, der heuer den Jury-Vorsitz in Berlin innehat. Und genau so will er seine Jurytätigkeit auch verstanden wissen: Als eine Feier für das Kino, das Geschichtenerzählen auf der großen Leinwand. 
Greta Gerwig mit Tilda Swinton (Foto: Katharina Sartena)

Wes Anderson liefert dazu scheinbar den perfekten Eröffnungsfilm, eine spaßige Turbulenz, in der, nun ja, auch viel Ernst steckt: Weil die Hunde im Japan der Zukunft ihre Herrchen mit gefährlichen Grippeviren verseuchen, beschließt die Regierung, sie allesamt auf eine abgelegene Insel, die als Mülldeponie genutzt wird, zu verbannen. Das lassen sich die Köter natürlich auch nicht so ohne weiteres gefallen, und versuchen den Ausbruch.
Jeff Goldblum (Foto: Katharina Sartena)

Andersons japanische Hunde-Fabel ist amüsant, manchmal auch albern, immer aber mit dem ernsten Unterton durchsetzt, dass wir uns gefälligst überlegen sollten, wie wir miteinander umgehen und als was wir uns eigentlich sehen. Moralische Einsichten, die allerdings so harmlos daherkommen, dass es schon fast ein Kinderfilm sein könnte. Seinen schrägen Humor hat sich Anderson beibehalten, daneben zollt er auch seiner Liebe zum japanischen Kino Tribut und zitiert munter von Kurosawa bis Hayao Miyazaki.
Insgesamt ein launiger Eröffnungsfilm einer Filmschau, die ins Kreuzfeuer geraten ist, weil es hier schon seit Jahren den Trend zur Provinzialisierung gibt - und man inzwischen den Anschluss an die großen Konkurrenten wie Cannes und Venedig verloren hat. Die zeigen nämlich in jüngster Vergangenheit die prestigeträchtigeren Filme.
Bryan Cranston, Bill Murray und Tilda Swinton (Foto: Katharina Sartena)


Der Partylaune tat dies am Eröffnungsabend keinen Abbruch: Bei all den Ehrengästen und Hunderten Fans vor dem Berlinale-Palast hatte man keineswegs den Eindruck, die Berlinale wäre bereits „auf den Hund gekommen“.

Matthias Greuling, Berlin

Österreichische Filme bei der Berlinale 2018

Die Berlinale ist eröffnet, zeigte zum Auftakt mit „Isle of Dogs“ Wes Andersons neuesten Animationsfilm und brachte Stars wie Tilda Swinton, Bill Murray oder Jeff Goldblum nach Berlin. Sie alle leihen den animierten Hunden in „Isle of Dogs“ ihre Stimmen. Der Film erzählt in typischer Anderson-Manier schräg und skurril von einer japanischen Stadt, in der alle Hunde auf die Müllhalde verbannt werden, was diese natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wes Andersons Fans kommen auf ihre Kosten, all jene, die Probleme mit seinem Universum haben, haben diese wohl weiterhin. Anderson entwirft ein spaßiges Kindermärchen, aber ein zutiefst politisches, das auch von unser aller Zusammenleben handelt und zeitgemäße Fragen aufwirft.
"Waldheims Walzer" von Ruth Beckermann (Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion)

Nicht weniger zeitgemäß, dafür gar nicht spaßig, ist Ruth Beckermanns neuer Film, der einen Reigen österreichischer Beiträge bei der Berlinale eröffnet. Es ist eine Politaffäre ungemeinen Ausmaßes gewesen, der das politische Österreich nachhaltig verändert hatte. Die Kandidatur von Kurt Waldheim für das Bundespräsidentenamt im Jahr 1986 und die Frage nach seiner Verantwortung als ehemaliges Mitglied der SA ging als Politbeben in die Geschichte ein. Die Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann hat in ihrer Doku „Waldheims Walzer“ nun analysiert, wie die Prozedur ins Rollen kam; Beckermann verwendet ausschließlich Videomaterial aus dem ersten Halbjahr 1986, zumeist aus ORF-Archiven, manches auch mit eigener Hand gedreht, um die mediale Dynamik des Falls Waldheim aufzuschlüsseln. Der Film hat heute, Samstag, bei der Berlinale in der Nebenreihe Forum seine Weltpremiere, eine Sektion, die dem innovativen, unkonventionellen Kino gewidmet ist. Beckermanns Film kommt zu einer Zeit, in der man in der internationalen Politik von „alternativen Fakten“ spricht und die Presse als „Lügenpresse“ verunglimpft wird. Das macht „Waldheims Walzer“ ungemein und ungeheuerlich zeitgemäß. „Ich stelle von Beginn an klar, dass es sich um einen Film aus der Position einer Aktivistin von damals handelt“, schildert Beckermann ihre Beweggründe. „Ich denke, es ist eine Funktion des Kinos, Stellung zu beziehen und transparent zu machen, aus welcher Perspektive man die Dinge betrachtet. Im Gegensatz zum Fernsehen, das die Dinge nivelliert oder zu den sozialen Medien, die in der eigenen Blase agieren. Es macht die Kraft des Kinos aus, widerständig zu sein und gleichzeitig klarzustellen, aus welcher Richtung die Autorin dieses Material aufbereitet“.
Ebenfalls im Forum läuft Ludwig Wüsts experimentelles Drama „Aufbruch“, in der der Regisseur selbst an der Seite von Claudia Martini zu sehen ist; beide spielen ein getrenntes Paar, das sich erneut begegnet. Mit „L’animale“ von Katharina Mückstein ist eine Jugendstudie in der Sektion „Panorama“ zu sehen, in der die Regisseurin Burschen und Mädchen beim Erwachsenwerden beobachtet. Auch einige Koproduktionen sind in Berlin zu sehen: In „The Interpreter“ (Regie: Martin Sulik), der gemeinsam mit der Slowakei entstand, geht ein alter Mann (Jirí Menzel) auf die Suche nach dem einstigen SS-Hinrichter seiner Eltern, findet aber nur dessen 70-jährigen Sohn (Peter Simonischek), der mit Alkoholproblemen zu kämpfen hat. „Styx“ von Wolfgang Fischer, eine Koproduktion mit Deutschland, zeigt Susanne Wolff als toughe 40erin, die sich auf einem Segelturn im Meer finden will, dafür aber nach einem Sturm mitten in die Wirren eines kenternden Bootes mit 100 Ertrinkenden gerät, und entscheiden muss, welche Verhaltensweise nun die richtige ist.

Mit Spannung erwartet wird vor allem von der deutschen Presse die französisch-deutsch-österreichische Produktion „3 Tage in Quiberon“ (Regie: Emily Atef), die von einer Begegnung zweier Journalisten mit Romy Schneider erzählt, als diese Anfang 1981 zur Reha im französischen Kurort Quiberon eingecheckt hatte. Interview und Fotos zeichnen das Bild einer lebensfrohen, aber kaputten Legende, und in der schwarzweißen Verfilmung dieser Begegnung schlüpft Marie Bäumer in die Rolle der Schneider - mit optisch verblüffender Ähnlichkeit zum Original. Ob sie auch inhaltlich authentisch ist, wird sich zeigen: Premiere ist am Montag im Wettbewerb um den Goldenen Bären. 

Matthias Greuling, Berlin

Berlinale 2018: Is’ doch prima!

Dieter Kosslick ist beleidigt. Er will in seiner Funktion als Berlinale-Chef „nicht mehr so viele Witze reißen, denn die Spaßbremsen mögen das ja nicht“, ätzte er bei der Programmvorstellung der diesjährigen Berlinale, die heute, Donnerstag, eröffnet wird. Die „Spaßbremsen“, das ist eine Vielzahl von Leuten. Da sind einmal die 79 Regisseurinnen und Regisseure, die im November in einem offenen Brief an die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) appelierten, bei der Neuausschreibung des Berlinale-Chefpostens, der 2019 vakant wird, Transparenz walten zu lassen. Das sind außerdem diejenigen, die fordern, dass Kosslick, nach 17 Jahren im Amt, lieber gar keine Berlinale-Tätigkeit mehr ausüben soll, auch nicht die eines neu zu schaffenden „Präsidenten“. Und dann sind da noch die Leute in den eigenen Reihen, die Kosslick mit seinem charmant-untergriffigen Humor sogar der Belästigung bezichtig haben. 
Cecile de France mit Dieter Kosslick (Foto: Katharina Sartena)

Mit einem Wort: Kosslick steht im Eck, und er ist verbittert darüber. Zumal bei den Unterzeichnern des Briefes auch von Kosslick lange geförderte Filmemacher wie Fatih Akin („Aus dem Nichts“), Christian Petzold („Barbara“) und Maren Ade („Toni Erdmann“) dabei waren.
Ende Mai feiert Kosslick seinen 70. Geburtstag, und wäre somit ohnehin schon lange pensionsreif. Aber die Vertragsgestaltung und das Hängen am Job eines Kulturmanagers, der gerne und sehr medienwirksam die George Clooneys, Richard Geres, Meryl Streeps und Jane Fondas über den roten Teppich lobt, sind halt dann doch gute Argumente zum Bleiben gewesen. 
Das hatte aber auch zur Folge, dass die Berlinale ein wenig erstarrt ist in ihren Traditionen, denn wirkliche Innovationen in der Programmierung, mit neuen Filmreihen und ungewöhnlichen Zugängen, sucht man vergebens. Kosslicks Lieblings-Erfindung, die Filmreihe „kulinarisches Kino“, kann wohl kaum als ernster Beitrag zur Reflexion des Weltkinos verstanden werden, eher zum in Berlin zwischen Döner und Currywurst dringend notwendigen Umdenken in der Frage, was gut schmeckt und was nicht.
Kosslick übt sich trotz aller Kritik an seiner Person einstweilen in Zurückhaltung; er spricht lieber davon, wie wichtig das Kino ist, um sich selbst besser kennen zu lernen, anstatt auf die Vorwürfe seiner Gegner einzugehen. Auch das ist, aus seiner Sicht, eine berechtigte Reaktion: Schließlich war es Kosslick, der die Berlinale ab 2001 zu einem Festival mit klarer Ausrichtung gemacht hat: Hier zählt das politische, aufrührerische Kino, hier gewinnen Filme aus dem Iran, aus Ungarn oder aus der Türkei den Goldenen Bären, ganz einfach, weil Kosslick es für relevant hält, in die Nischen zu blicken und dort nach Juwelen zu suchen. Das ist immer seine große Qualität gewesen, und auch: Darüber nicht zu vergessen, dass die Besucher seiner Filmschau vor allem die großen Stars aus nächster Nähe sehen wollen. Durch seine Beziehungen konnte er sämtliche Weltstars nach Berlin holen, aber die Ausbeute wird immer schwächer: Heuer sind an großen Namen, die einer wirklich breiten Masse bekannt sind, nur wenige in der Stadt: Robert Pattinson kommt, ebenso Mia Wasikowska, dann Rupert Everett, Joaquin Phoenix, Peter Simonischek und Musiker Ed Sheeran, der der Premiere einer Musik-Doku über ihn beiwohnen will. Man sieht: Name Dropping fällt zusehends schwer, noch vor zehn Jahren wäre die Liste vier Mal so lang gewesen. 
Doch der Schwund an Stars  - und auch an erstklassigen Filmen - hat gar nicht so sehr mit der Berlinale (und schon gar nicht mit Kosslick) zu tun, sondern liegt auch an den drastischen Veränderungen in der Filmbranche: Die Streamingdienste Netflix und Amazon übernehmen rasend schnell die Funktion, die früher (Independent-)Studios innehatten, mit dem Unterschied, dass sie ihre Filme nach den Festival-Premieren gleich als Stream anbieten wollen, ohne Umweg über das Kino. Die Festivals sind zwar froh, dass Altmeister wie Woody Allen oder Jim Jarmusch mit Hilfe dieser Dienste weiterhin ihre Filme drehen können, aber es ist ein zweischneidiges Schwert: Filmfestivals, die das Kino zelebrieren - und die Berlinale gehört neben Cannes und Venedig dazu - tun nicht gut daran, diesen magischen Kinomythos gegen das Streamen von Filmen am Handy oder Tablet auszuspielen - das wäre gegen ihre Natur. Auch deshalb herrscht seit zwei, drei Jahren eine auffallende Flaute im Arthaus- und Kunstkino, weil die Festivals und die Streaminganbieter noch nicht den rechten Dialog zueinander gefunden haben dürften. 
Leidtragende ist im konkreten Fall die Berlinale, die zwischen den noch immer prestigeträchtigeren und zu wärmeren Jahreszeiten veranstalteten Festivals von Cannes und Venedig aufgerieben zu werden droht. Das Damoklesschwert, das über ihr schwebt, heißt: Provinzfestival.

Und doch darf man sich bei der 68. Ausgabe der Berlinale in diesem Jahr auf fein anmutendes Kino freuen: Etwa auf Wes Andersons Eröffnungsfilm, „Isle of Dogs“, einen Animationsfilm, in dem ein Hund eine zentrale Rolle spielt. Oder auf „3 Tage in Quiberon“ mit Marie Bäumer als Romy Schneider. Oder auf Cédric Kahns Drogendrama „La prière“ und Gus van Sants „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“. Kosslick würde sagen: Ist doch prima. Und ja, ist es. 

Matthias Greuling