Donnerstag, 31. Oktober 2013

Von Garrel bis Farhadi: Die VIENNALE-Höhepunkte für die zweite Festivalwoche

"La jalousie" (Foto: Viennale)
LA JALOUSIE
Regie: Philippe Garrel
Der für seine spröden Filme bekannte Philippe Garrel zeigt mit „La jalousie“ (Die Eifersucht) einen Film voller Anmut, voller neuer Ideen, oder zumindest voller dramaturgischer Reife. „La jalousie“ ist ein zwar kurzes, aber famoses Schwarz-weiß-Abstrakt über das (Miss-)Trauen in der Liebe, das ebenso unspröde wie geerdet daherkommt: Garrels Sohn Louis spielt einen Kindsvater, dessen neue Freundin ihn betrügt, auch, weil sie selbst ihrer rasenden Eifersucht ihm gegenüber Luft machen will. Es ist ein französischer Film, wie er im Lehrbuch stehen könnte, mit Beziehungsgesprächen in der Küche, mit langen Einstellungen, mit intensiven Blicken und mit unprätentiösen Pariser Stadtansichten. Und doch fern jeder Konvention: „La jalousie“ erinnert über weite Strecken an die Filme der Nouvelle Vague, nicht an den sich danach daraus gebildeten Stil französischer Beziehungsdramen. Garrel ist visuell und dramaturgisch radikaler, das macht den Reiz dieser großen Arbeit aus.
31.10., 21.00, Gartenbau
4.11., 23.30, Urania


LE PASSÉ 
Regie: Asghar Farhadi
Ahmad (Ali Mosaffa) kehrt nach vier Jahren aus dem Iran nach Paris zurück, um seine Scheidung mit Marie (Bérenice Bejo) zu unterzeichnen. Marie lebt mit ihren beiden Töchtern sowie ihrem neuen Freund Samir (Tahar Rahim) und dessen Sohn in einem gemeinsamen Haus. Samir ist zwar noch verheiratet, aber seine Frau liegt im Koma. Kurz vor der Unterzeichnung der Scheidungspapiere eröffnet Marie Ahmad, dass sie von Samir schwanger ist. Regisseur Asghar Farhadi hat wie schon in „A Separation“ eine Scheidungssituation zum Ausgangspunkt seiner Erzählung gemacht; wieder kreisen seine Figuren um die Fragen nach Wahrheit und Lüge, die einen Keil in ihre zwischenmenschlichen Beziehungen treiben.
1.11., 18.00, Gartenbau
3.11., 13.30, Stadtkino im Künstlerhaus


MICHAEL KOHLHAAS
Regie: Arnaud des Pallières

Frankreich im 16. Jahrhundert: Der Pferdehändler Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) ist in den Wäldern unterwegs, als er von ein paar Leuten aufgehalten wird, die ihm zum Durchqueren des Landstrichs eines Barons Geld abverlangen. Kohlhaas hat nicht genug dabei und hinterlässt seine Pferde als Pfand. Als er später herausfindet, dass der Baron nicht berechtigt war, Geld zu verlangen, will er die Pferde zurück - und bekommt sie völlig misshandelt übergeben. Arnaud des Pallières hat Heinrich von Kleists Literaturklassiker in düsteren Bildern inszeniert.
1.11., 20.30, Gartenbau
2.11., 11.00, Urania


CAMILLE CLAUDEL 1915
Regie: Bruno Dumont

Die französische Bildhauerin Camille Claudel (Juliette Binoche) fristet 1915 ein trauriges Dasein in der Nervenheilanstalt von Montdevergues in Südfrankreich, wohin sie ihre Mutter und ihr Bruder verbannt haben. Sie leidet unter der ständigen Angst, vergiftet zu werden, und auch die Gedanken an ihren Mentor und Liebhaber Auguste Rodin lindern ihre Situation nicht. Camille beschließt, aus der Anstalt zu verschwinden. Bruno Dumont gibt Juliette Binoche viel Raum, die innere Verzweiflung der Künstlerin auf die Leinwand zu bringen.
5.11., 20.30, Gartenbau
6.11., 11.00, Gartenbau


Matthias Greuling

Mittwoch, 30. Oktober 2013

Viennale-Premiere für Götz Spielmanns OKTOBER NOVEMBER

"Oktober November" (Foto: Viennale)
Gleich zu Beginn von „Oktober November“ gibt es einen Augenblick, der die Türen zu diesem feinsinnigen Familiendrama aufstößt: Die junge Schauspielerin Sonja Berger (Nora von Waldstätten) sitzt mit einem Kollegen in einem noblen Berliner Restaurant; beide besprechen bevorstehende gemeinsame Dreharbeiten, und irgendwann, als das Gespräch intimer wird, springt Regisseur Götz Spielmann über die Achse und setzt kurz die Logik filmszenischer Auflösung außer Kraft.
Was man bei Filmstudenten als gravierenden Fehler werten würde, benutzt Spielmann geschickt, um den Bruch in der Persönlichkeit Sonjas (und im weiteren Verlauf den Bruch in ihrer gesamten Familie) zu symbolisieren. Dieser kleine Schnitt ist der Zugang zu dieser emotional aufgeladenen Geschichte: Sie erzählt von einem alten Vater (Peter Simonischek), der mürrisch geworden ist, in seinem Dorfgasthof im tiefsten Niederösterreich. Davon, wie seine Tochter Sonja es nach draußen, in die große weite (Schein-)Welt trieb, nach Berlin, wo sie als Schauspielerin in mittelmäßigen TV-Filmen mitwirkt, die ihr ihre gesamte Energie rauben. Sonja hat es „zu etwas gebracht“, aber sie selbst spürt, dass das eine Lüge ist. Ihre Schwester Verena (Ursula Strauss) hat einen anderen, den gegenteiligen Lebensweg eingeschlagen; sie ist zuhause beim Vater geblieben, hat ihm im Wirtshaus assistiert und wird mit der Enge, die ihr die beschränkte Entfaltungsmöglichkeit am Land vorschreibt, nicht fer
tig. Zwei Gegenpole, zwei Lebensentwürfe, die in „Oktober November“ aufeinander treffen, als Sonja in das kleine Dorf, ihre Heimat, zurückkehrt. Der Vater hat einen Herzanfall, sein Arzt (Sebastian Koch) verordnet ihm Bettruhe. Die Familie steht plötzlich seltsam geeint vor dem späteren Totenbett des Patriarchen. Die Tage und Wochen des Wartens, bevor er aus dem Leben scheidet, entspinnen sich zu einerseits nervenaufreibenden Aufarbeitungen der familiären Vergangenheit, andererseits zu einer in den Protagonisten wachsenden Selbstreflexion über eigene Versäumnisse und schmerzhafte Eingeständnisse des eigenen Scheiterns.
Mit großer Sorgfalt hält Götz Spielmann seine Erzählung möglichst simpel. Doch bald entwickelt sich die wachsende Agonie aller Beteiligten zu einer äußerst komplexen und vielschichtigen Auseinandersetzung mit familiären Banden und Zusammenhalt, mit Verdrängung und mit dem Tod. Die wunderbaren Bilder einer herbstlichen Landschaft, getaucht in sanfte Sonnenstrahlen, die Kameramann Martin Gschlacht mit großer Präzision fotografierte, strahlen zugleich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus, je nachdem, in welcher Verfassung dieser Film betrachtet wird; „Oktober November“ ist kein intellektuelles Kino, sondern eines, das die Sinne anspricht; Wenn das hervorragend agierende Ensemble in ihren Figuren zueinander findet, dann bleibt doch ein großer Rest aus beklemmender Leere in ihren Seelen. Diese Leere kann nur füllen, was man Heimat nennt: Kein Ort, sondern ein Seelenzustand, in dem es nur ums Spüren geht. Und um das Gespürt werden.
Matthias Greuling

31.10., 18.00, Gartenbau
3.11., 13.30, Urania

Dienstag, 29. Oktober 2013

NIGHT MOVES: Die über Leichen gehen / Kelly Reichardt bei der VIENNALE

"Night Moves" (Foto: Viennale)
"Night Moves“ heißt ein Boot, in diesem Film von Kelly Reichardt. Es wird vollgestopft mit einer hochexplosiven Mischung aus Ammoniumnitrat-Dünger und Treibstoff, hernach an der Wand eines Staudamms platziert und in die Luft gejagt. Der Damm bricht, es ist Nacht, niemand soll zu Schaden kommen. Und doch ist es am nächsten Tag Gewissheit: Ein Camper wird vermisst, bald darauf seine Leiche geborgen.
Die Schiffsbombe, sie ist das Werk dreier Umweltaktivisten, die nicht mehr länger zusehen wollen, wie die Amerikaner mit ihren Ressourcen umgehen: Der hydroelektrische Damm, den sie zerstören, erzeugt den Strom, der in Millionen All-American Homes tagtäglich für die permanent laufenden Riesen-Flatscreens verschwendet wird und für die Springbrunnen in den hübsch und kitschig zurecht gemachten Gärten.
Sehr früh in diesem asketisch und doch facettenreich gestalteten Film wird klar, dass die Aktivisten Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) nicht mit der Schuld leben werden können, die sie sich mit ihrer Aktion aufgeladen haben: Dena ist die Schwachstelle im Trio, mit ihr bricht schließlich der emotionale Damm aus Verlogenheit und Tatsachen-Negierung, mit fatalen Folgen für sie.
Kelly Reichardt, die besonders in ihrem letzten Film „Meeks Cutoff“ mit ihrer sparsamen, aber dafür umso effektiveren Inszenierungsweise gefiel, hat in „Night Moves“ ihren Stil perfektioniert. Erneut ging sie für ihre Geschichte von einer Landschaft und ihrer Eigentümlichkeit aus, diesmal aber ist es nicht die Prärie, sondern ein rurales Gebiet, irgendwo im US-Bundesstaat Oregon. Da, wo die Farmer Broccoli und Kürbisse anbauen und von der Welt nicht viel wissen: Für einen Blick ins Internet müssen sie in die Stadt fahren, zur öffentlichen Bibliothek, wo ein Computer steht. Das Setting ist urtümlich, aber doch bedrückend: Die Naturverbundenheit auch dieser Menschen endet beim Dünger, den sie von den großen Nahrungsmittelkonzernen per Vertrag aufgedrückt bekommen, um die Perspektive einer konventionellen Landwirtschaft mit stetig wachsendem Ertrag zu erfüllen.
Das ist zwar niemals Thema in „Night Moves“, jedoch schleicht sich diese Zustandsbeschreibung unserer absurd gewordenen Komfortwelt zwischen Naturausbeutung und Ertragssteigerung in jede Einstellung ein. Reichardt benutzt für das Thema die Charakteristika eines Suspense-Thrillers der alten Schule: Leicht pulsierende Sounds begleiten die Aktivisten vor und nach der Tat; das Unheilvolle liegt in der Luft. Niemals kommen sie zur Ruhe, in dieser von absoluter Ruhe geprägten ländlichen Gegend. Zu schwer wiegt bei Dena das Gewissen, etwas Unrechtes mit Unrecht bekämpft zu haben, und zu kaltschnäuzig ist Joshs Reaktion darauf. Er will für eine große Sache kämpfen, und da gibt es eben Kollateralschäden.
Beachtlich ist, wie mühelos Reichardt auf der Klaviatur des Spannungskinos spielt, ohne je bemüht zu wirken, und zugleich dem ausgetretenen Pfad einer klassischen Thriller-Inszenierung ausweicht. Es geht um große, hehre Ziele, um politisch motivierten Aktionismus, der von illegalen Taten befeuert wird; es geht um die Konsequenzen einer tödlichen Tat und um die Kälte, mit der sie ausgeführt wird. Prinzipientreue ist in „Night Moves“ nicht nur Motor und unbedingte positivistische Lebenseinstellung; sie ist auch ein Zustand, der ins Verderben führt.

Matthias Greuling

30.10., 21.00, Gartenbau
2.11., 10.30, Gartenbau

Montag, 28. Oktober 2013

DAVID GORDON GREEN braucht keine Millionen-Budgets / VIENNALE / JOE / PRINCE AVALANCHE

David Gordon Green, 38, gehört zu Amerikas interessantesten jungen Filmemachern, der gekonnt zwischen den Genres wechselt und auch nicht vor Low-Budget-Filmen zurückschreckt. Er hat große Studio-Produktionen wie „Pineapple Express“ (2008) oder „Your Highness“ (2011) gedreht, aber auch Filme wie „George Washington“ (2000) oder „Prince Avalanche“ (2013) mit fast gar keinem Budget. Die Viennale zeigt nun Greens neueste Filme: Einerseits „Prince Avalanche“, für den Green 2013 bei der Berlinale mit dem Regie-Bären ausgezeichnet wurde, andererseits „Joe“, ein raues Drama mit Nicolas Cage als Ex-Knastbruder, der im September in Venedig Premiere hatte.
„Prince Avalanche“ ist der bemerkenswertere Film der beiden: Alvin (Paul Rudd) und Lance (Emile Hirsch) sind zwei typische Männer. Nur, dass sie in „Prince Avalanche“ über das Männersein ablästern, was das Zeug hält. Gemeinsam sind sie unterwegs, um Fahrbahnmarkierungen zu erneuern - was ihnen jede Menge Zeit für allerlei Blödheiten bietet. Ein Roadmovie voller skurrilem Humor und liebevoll drapierten poetischen Momenten.
Ich traf David Gordon Green zum Gespräch über diesen Film und über seine Vorliebe, mit wenig Budget zu arbeiten.
"Prince Avalanche" (Foto: Viennale)

Welches Männerbild wollten Sie in „Prince Avalanche“ entwerfen?
DAVID GORDON GREEN:
Die Figuren spiegeln zwei Seiten von mir wider, mit denen ich jeden Tag hadere. Als ich das Drehbuch schrieb, sollte es dieses Hadern mit allerlei Aspekten des Mann-Seins zeigen. Die Idee dazu hatte ich im Februar 2012, im Juni waren wir bereits mit dem Film fertig. Gedreht haben wir nur 16 Tage.

Wieso diese Eile?
Ich habe „Prince Avalanche“ im Eiltempo gedreht, weil das meinem Naturell sehr nahe kommt. Ich komme dann nicht in Versuchung, entscheidungsschwach zu werden, sondern habe gar keine Zeit zu Trödeln. Ich muss rasche Entscheidungen erzwingen, das hilft mir bei der Arbeit.

Welche Vorteile bringt ein kleines Budget mit sich?
Wir hatten die Freiheit eines sehr kleinen Budgets, sodass niemand auf die Idee kam, uns dabei über die Schultern zu schauen. Am Beginn stand wirklich nur die Idee, dass ich zusammen mit Paul und Emile einen Film mache. Das Budget war so gering, dass es in die Kategorie „Tu damit, was du willst“ gehörte. Was für ein Spaß! Bei einem großen Budget musst du hingegen immer endlose Debatten mit den Geldgebern führen.

Ändert sich Ihr Zugang zu einem Stoff mit der Höhe des Budgets?
Ich gehe an meine Filmprojekte immer auf die gleiche Weise heran, egal, ob es sich um eine sauteure Komödie handelt oder um ein Drama mit einem Mikro-Budget. Selbst bei einem Film wie „Pineapple Express“, der rund 30 Millionen Dollar gekostet hat, versuchte ich, daraus einen Film zu machen, der aussieht, als habe er 50 Millionen gekostet. Der Film zeigt Verfolgungsjagden und Explosionen, entstand aber mit dem Budget einer Komödie. Wann immer man also versucht, mit einem Komödien-Budget einen Actionfilm zu drehen, ist Einfallsreichtum gefragt, damit das Ding dann wirklich so teuer aussieht, ohne dass es eine Lawine kostet. Ich verwende da dieselben Tricks, die ich auch bei einem Film wie „George Washington“, der 50.000 Dollar kostete, angewandt habe: Man muss gut organisiert sein und natürlich auch um einige Gefallen im Freundeskreis bitten. Nicht anders war das bei „Your Highness“. Der kostete 50 Millionen, sah aber aus, als hätten wir 100 Millionen ausgegeben. Ich will gar keine komfortable Situation, was das Budget angeht. Denn das würde mich nervös machen.

Kleinere Budgets bedeuten also, dass Sie entspannter arbeiten?
Das stimmt nicht ganz. Es ist nur ein anderes Stresslevel, wenn man wenig Budget hat. Der Druck bei einem Low-Budget-Film wie „Prince Avalanche“ ist: In dem Film gibt es zwei Typen. Wenn die Zuschauer diese zwei Typen nicht mögen, dann fällt der Film durch.

Interview: Matthias Greuling

Video-Mitschnitt des Interviews: http://tinyurl.com/davidgordongreen

Prince Avalanche
29.10., 23.30, Stadtkino im Künstlerhaus
29.10., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus
 

Joe
29.10., 20.30, Gartenbau
2.11., 13.00, Gartenbau

François Ozon: Sex, aber nicht sexy / JEUNE & JOLIE / VIENNALE

Der Film beginnt mit einem Blick durchs Fernglas: Es zeigt ein Mädchen, 16 Jahre alt, das am Strand liegt und sich in der Sonne räkelt. Dann nimmt es sein Bikini-Top ab. Der Spechtler ist der ein paar Jahre jüngere Bruder des Mädchens, beide machen mit den Eltern Sommerurlaub im Süden Frankreichs. Isabelle feiert dort auch ihren 17. Geburtstag und ihre Entjungferung (durch einen deutschen Burschen). Ihrem Bruder gegenüber kommentiert sie diese für sie wenig lustvolle Erfahrung nur knapp: „Erledigt“.
François Ozon hat in seinem neuen Film „Jeune & Jolie“ den Titel zum Programm gemacht: Das vorerst laue Sommermärchen ist durchsetzt von sexuellen Anspielungen und Phantasien seiner Protagonisten. Dabei steht zunächst noch die eigene Lust im Vordergrund, bald aber wird für Isabelle aus dem Sexualtrieb die wohlkalkulierte Lizenz zum Gelddrucken. Denn
Ozon hat mit Marine Vacth ein französisches Model in der Hauptrolle besetzt, das ausdrucksstark und wortkarg genau jenes Bild der fragilen Kindfrau mit dem Schmollmund und den großen Augen verkörpert, das die Laufstege gerne vermitteln. Der perfekte Körper dient hier aber nicht als Schauwert: Zwar ist „Jeune & Jolie“ voller Szenen mit Verführung, Nacktheit und Sex, aber sexy ist dieser Film nie. Ozon umschifft gekonnt jede Konvention, die Erotik produzieren könnte.
Insgesamt aber ist „Jeune & Jolie“ vor allem ein Film, der (französische) Klischees bemüht. Es ist, als würde Ozon (auch mit dem kurzen Auftritt von Charlotte Rampling) gern sich selbst reproduzieren, weil er schon so oft Bilder über Perfektion und über das Streben nach der reinen Schönheit gemacht hat. Jetzt, da man Ozons Handschrift schon deutlich kennt, wirken diese selbstreferenzierenden Klischees Fehl am Platz, auch wenn Ozon niemals expliziter von seinem Lieblingsthema erzählt hat: Dem oft schmerzlichen Prozess des Erwachsenwerdens.
"Jeune & jolie" (Foto: Viennale)
Ozon zeigt seine noch nicht volljährige Hauptfigur nach dem Sommerurlaub in ihrer sonstigen Lebensumgebung (ein bürgerliches Umfeld in Paris), aus der sie regelmäßig ausbricht: Als selbstständig organisierte Prostituierte verdient sie gerade bei ihren älteren Kunden Unmengen an Geld. Erstaunlich, wie dieses Mädchen, das sich im Job Léa nennt, den Sex zur strategischen Machtausübung nutzt, obwohl ihr erstes Mal erst so kurz zurück liegt. Als sie auffliegt, versteht ihre Mutter die Welt nicht mehr. Was ist in der Erziehung bloß schief gelaufen? Aber das ist ein falscher Denkansatz, wenn man Léa verstehen will: Als Léa blendet Isabelle aus, was man ihr in ihrer wohlbehüteten Kindheit beigebracht hat.


Matthias Greuling

29.10., 18.00, Gartenbau
30.10., 11.00, Gartenbau
5.11., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus

Die Siegerfilme aus Venedig und Locarno bei der VIENNALE

Die Viennale zeigt in ihrem Programm dieses Jahr die Siegerfilme von den Festivals Venedig ("Sacro Gra") und Locarno ("Historia de la meva mort"):
"SACRO GRA" (Foto: Viennale)

SACRO GRA
Regie: Gianfranco Rosi
 „Sacro GRA“ von Gianfranco Rosi, ein Dokumentarfilm über die Anwohner der römischen Ringstraße – ein Leben an der Autobahn – gewann 2013 den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig. Die Doku findet allerlei Lebensrealität, die man vom italienischen Kino kaum mehr gewöhnt ist: Dort ist oft alles schrill, laut, opulent und betont lebensbejahend; doch das Land steckt in einer Krise, und das fängt Rosi mit seiner Kamera – bewusst oder unbewusst – mit ein: Ein Kaleidoskop der Befindlichkeiten einer Nation, die es sich eigentlich nicht mehr leisten kann, mit stolz geschwellter Brust ihren Patriotismus zur Schau zu stellen.
29.10., 18.00, Gartenbau
30.10., 11.00, Gartenbau
5.11., 6.30, Stadtkino im Künstlerhaus


HISTORIA DE LA MEVA MORT
Regie: Albert Serra

 Der katalanische Regisseur Albert Serra nahm im August - selbst überrascht - den Hauptpreis des Filmfestivals von Locarno entgegen, für sein 150 Minuten langes, zähes Werk „Historia de la meva mort“ („Geschichte meines Todes“). Hier begibt sich Casanova auf seine letzte große Reise, gezeigt wird ein von Fresssucht gezeichneter alter Mann, der sich zwischen Unvernunft und Senilität aufmacht, um den Grafen Dracula zu treffen. Ein wirres und zugleich unendlich träges Spiel aus monotonen Sequenzen; es ist - unter der Prämisse der ausgegebenen Festival-Devise vom Obsiegen des Kunstkinos - ein würdiger Preisträger.
28.10., 18.00, Metro
30.10., 17.30, Gartenbau


Matthias Greuling

Sonntag, 27. Oktober 2013

VIENNALE: Jackie Stewart und Roman Polanski feiern das WEEKEND OF A CHAMPION

"Weekend of a Champion" (Foto: Viennale)
Renn-Filme sind derzeit sehr in Mode, das zeigt der Erfolg des gerade in den Kinos laufenden Dramas „Rush“, das die Rivalität zwischen Niki Lauda und James Hunt während der WM 1976 verhandelt. Auch Regisseur Frank Simon spürt alten Rennfahrer-Legenden nach, allerdings in einer besonderen Konstellation. Seine Doku „Weekend of a Champion“ stellte er beim Filmfestival in Cannes im Mai dieses Jahres vor. In dem Film spielt Roman Polanski eine entscheidende Rolle: 1971 besuchte der Motorsportfan Polanski den damaligen Formel-1-Champion Jackie Stewart für ein Wochenende beim Grand Prix von Monte Carlo. Polanski war mit seiner Kamera damals backstage bei allen wichtigen Events dabei und warf so einen detaillierten Blick hinter die Kulissen des Formel-1-Zirkus der 70er Jahre. 40 Jahre später treffen sich Polanski und Stewart erneut – vor der Kamera von Frank Simon. Sie reflektieren über die damalige Zeit und wohin sich die Faszination für Autorennen entwickelt hat.
„Ich war damals mit Jackie befreundet und wollte einen Film über diese Freundschaft drehen“, sagt Polanski. „Jackie Stewart ist noch dazu ein begnadeter Techniker, der einem die kompliziertesten Dinge über die Formel 1 auf eine verständliche Weise näherbringen kann. Außerdem finde ich es faszinierend, wie er seine ganz persönlichen Fahrer-Geheimnisse verrät“.
Als Polanskis Doku 1972 bei der Berlinale uraufgeführt wurde, waren On-Board-Kameras, wie sie heute in der Formel-1 Standard sind, noch unbekannt. Polanski aber experimentierte schon damals mit der Technik: „Das waren seinerzeit noch einzigartige Aufnahmen, die keiner hatte. Heute ist das ja nichts Besonderes mehr, aber damals hatten wir echt einen Knüller“.
Jackie Stewart sah sich während seiner Karriere als Unterhalter für das Publikum. „Weekend of a Champion“ zeigt ihn daher auch als wagemutigen Mann, der davon überzeugt war, dass die Zuschauer von der Formel-1 vor allem Blut und Gewalt erwarteten. „Er war so eine Art Rockstar“, sagt Polanski. „Aber er war auch sehr diszipliniert und ein Champion der Sicherheit. Damals waren die Sicherheitsstandards bei den Rennen nicht so hoch wie heute. Ein Fahrer hatte statistisch gesehen in einer fünfjährigen Fahrerkarriere nur eine 30-prozentige Überlebenschance“.




Matthias Greuling

28.10., 20.30, Gartenbau
29.10., 11.00, Stadtkino im Künstlerhaus

SARA FORESTIER im Viennale-Interview / SUZANNE / MES SÉANCES DE LUTTE

Mit gleich zwei Filmen ist der französische Jungstar Sara Forestier, 26, heuer im Programm der Viennale vertreten: In „Suzanne“ von Katell Quillévéré ist sie als eine junge Frau zu sehen, die zwischen der Geborgenheit in ihrer liebevollen Familie und Freiheitsdrang pendelt. Eine Rolle, wie gemacht für Forestiers stets zwischen frech und liebenswürdig pendelnden Schauspiel-Stil, der sie im Alter von 15 in Abdellatif Kechiches Vorstadt-Drama „L’esquive“ schlagartig bekannt machte. Der zweite Film im Viennale-Line up ist „Mes séances de lutte“ von Jacques Doillon. Ein junges, namenloses Paar liebt und schlägt sich den Film hindurch, es verzehrt sich vor Leidenschaft und entbrennt in wüste Streitigkeiten. Im Hintergrund schwelen seelische Zerrüttungen und der Wunsch, ihnen ein Ventil zu geben. Forestier spielt in diesem von expliziter Körperlichkeit bestimmten Film besonders intensiv; eine Eigenschaft, die oft gewagte Rollen einbringt. Ich traf Sara Forestier in Cannes zum Interview.
Mit Sara Forestier in Cannes. (Foto: Greuling)

Frau Forestier, in „Suzanne“ spiele ich eine Figur, die sich durch eine große Absenz kennzeichnet. Sie steht etwas neben sich.
SARA FORESTIER:
Suzanne kann ihr Leben nicht wirklich auf die Reihe kriegen und lebt in einem geistig sehr melancholischen Zustand. Sie wartet auf etwas, das kann man in ihren Augen sehen. Sie wartet darauf, dass etwas kommt, das ihre Leere füllt. Als Schauspieler ist es unsere Aufgabe, sich in die jeweilige Figur hineinzudenken und dann diese Figur zu sein. Dann braucht die Kamera das nur mehr aufzuzeichnen. Der besondere Spaß an der Rolle in „Suzanne“ war, dass man sie in verschiedenen Alterstufen verfolgt und ich daher verschiedene Phasen ihrer femininen Entwicklung spielen musste. Als Teenager weint sie ganz anders als mit 30. Darin sieht man eine Entwicklung.

„Suzanne“ dreht sich um die beiden Pole Familie und Freiheit, zwischen denen durchaus ein großer Widerspruch liegen kann.

Eine Familie formt dich, und zwar zu einem großen Teil. Sie bestimmt, wer du später einmal sein wirst. Familien geben einem ein Band, und wenn jemand aus der Familie leidet, dann leidet die ganze Familie. Das ist ein beinahe schon animalischer Aspekt dieser Form des Zusammenlebens, der mir sehr gefällt.

„Mes séances de lutte“ ist ein sehr physischer Film. Der exzessive Einsatz von Körpersprache ist essentiell. Sie scheinen sehr gerne physische Figuren zu spielen. Wieviel Freiheit in der Ausgestaltung nehmen Sie sich, und wieviel steht im Drehbuch?

Nicht alles steht im Drehbuch. Ich denke lange über Figuren und die Struktur des Drehbuchs nach, dafür nehme ich mir sehr viel Zeit. Die Vorbereitung auf einen Film ist der wichtigste Teil für mich, denn da muss ich die Geschichte und die Figur kennen- und verstehen lernen. Man muss auf die Wellen aufspringen, die einem das Drehbuch bietet, denn tut man das nicht, versaut man den Film.

Wie konkret sieht eine Rollenvorbereitung bei Ihnen aus?
Je näher die Dreharbeiten rücken, desto tiefer tauche ich in meine Figuren ein: Ich probe dann schon im richtigen Kostüm, mit dem richtigen Make-up und der richtigen Frisur. Das hilft mir, in die Figur hineinzuwachsen. Ich habe einen sehr physischen Zugang zum Schauspiel. Wenn ich drehe, geht es eigentlich nur mehr um die richtigen Bewegungen vor der Kamera, denn alles andere habe ich verinnerlicht. Die Kleidung spielt für mich dabei fast die wichtigste Rolle: Denn sie bestimmt, wie sich eine Figur gibt, bewegt und fühlt. Und sie bringt dich dazu, deine Figur selbst glaubhaft zu finden. Denn das ist wichtig: Ich muss immer glauben, dass das, was ich vor der Kamera tue, der Wahrheit entspricht.

In Frankreich gehören Sie zu den bekanntesten jungen Schauspielerinnen. Wo sehen Sie Ihren Platz im Filmgeschäft?
Nur, weil ich ein paar Filme gedreht habe, die mich sehr bekannt gemacht haben in Frankreich, heißt das noch lange nicht, dass meine Selbstzweifel verschwunden sind. Es ist toll, wenn einen die Leute als Schauspielerin ernst nehmen. Aber die Beziehung zwischen mir und meiner Kunst ist ein sehr intimer Vorgang. Wenn ich zweifle, dann zweifle ich, egal, was die anderen sagen.

Ist der Zweifel vielleicht auch eine der wichtigsten Zustände für einen Schauspieler?
Ich glaube, dass die Leidenschaft und das Verlangen in meinem Beruf wichtiger sind als der Zweifel. Natürlich ist Zweifel wichtig, und man kann ihn auch nicht verhindern. Manchmal kann das ganz schön an einem nagen. Manchmal denke ich, was für eine beschissene Schauspielerin ich bin und dass ich den Beruf lieber aufgeben sollte. Doch wenn man wie ich eine ausgeprägte Leidenschaft für diesen Beruf hat, dann hilft einem das aus jedem Tief heraus.

Sie geben in Ihren Rollen gerne viel von sich preis: Auch der Einsatz ihres Körpers in expliziten Sexszenen wie bei „Mes séances de lutte“ scheint sie nicht zu stören.

Wenn mich ein Projekt begeistert, dann fühle ich eine solche Euphorie bei der Arbeit, dass ich zu allem bereit bin für eine Rolle. Wenn ich merke, ich kann etwas zum Gelingen beitragen, das macht mich sehr glücklich.

Mit „L’esquive“ von Kechiche schafften Sie Ihren großen Durchbruch. Welche Erinnerungen haben Sie an den Film?
Der Film hat mein Leben verändert. Danach gab es für mich keine Pause mehr in meinem Job. Damals wurde das Schauspielen zu meinem Job. Kechiche ist ein unglaublicher Künstler, speziell für die Schauspieler. Er ist ein Genie, und dieses Wort gebrauche ich nicht sehr oft. Ich hatte damals, mit 15, verdammtes Glück, dass er mich besetzt hat. Von ihm habe ich gelernt, was wirkliches Schauspielen bedeutet und dass man davor keine Angst zu haben braucht. Kechiche konnte eine Szene zehn Mal hintereinander drehen, und trotzdem hat keiner von uns seine Spontaneität verloren. Das ist wie am Theater, wo man jeden Abend eine frische Vitalität finden kann, wenn man hochkonzentriert arbeitet. Das hat mir Kechiche beigebracht.

Haben Sie Vorbilder, in deren Fußstapfen Sie gerne treten würden?
Ja, aber damit bin ich vorsichtig: Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt selbst keine Spuren.

Interview: Matthias Greuling

„Suzanne“:
27.10., 15.00, Gartenbau
4.11., 21.00, Urania

„Mes séances de lutte“:
2.11., 21.00, Urania
3.11., 11.00, Metro

Samstag, 26. Oktober 2013

VIENNALE: Die Highlights des Wochenendes - von NEBRASKA bis DER LETZTE DER UNGERECHTEN

"Der letzte der Ungerechten" (Foto: Viennale)
Die spannendsten Filme des ersten Viennale-Wochenendes im Überblick


DER LETZTE DER UNGERECHTEN
Regie: Claude Lanzmann
Bei der Arbeit an „Shoah“ in den 1970er Jahren hat Claude Lanzmann ein langes Gespräch mit dem Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein (1905-1989) geführt. Im Zentrum stand Murmelsteins ambivalente Rolle als hochrangiger jüdischer Funktionär der von Eichmann kontrollierten Israelitischen Kultusgemeinde Wien in der NS-Zeit und als „Judenältester“ des Ghettos Theresienstadt. Dieses bislang unveröffentlichte Filmdokument wird von Lanzmann in den Kontext der Gegenwart gestellt; ein wichtiger Dokumentarfilm, auch für Viennale-Chef Hans Hurch: „Es ist ein großes Essay über einen widersprüchlichen, zutiefst beeindruckenden Menschen. Ursprünglich war das Material für Lanzmanns ,Shoa‘ gedacht, aber es hätte den Rahmen dieses Films gesprengt. Für mich ist ,Der Letzte der Ungerechten‘ die große, bedeutende Dokumentation des Jahres.“
Mit einer Spieldauer von 220 Minuten ist „Le Dernier des injustes“ (so lautet der französische Originaltitel) auch ein sehr langer Film – aber das passt zur Viennale 2013. Hurch: „Die Höhepunkte des Festivals dauern heuer sehr lang“.
Termine: 27.10., 17.00, Gartenbau, 28.10., 11.00, Gartenbau
 
NEBRASKA
Regie: Alexander Payne
Rentner Woody (hervorragend: Bruce Dern) hat ein Schreiben erhalten, in dem ihm verkündet wird, dass er eine Million Dollar gewonnen hat. Weil Bruce niemandem traut, beschließt er, sich das Geld höchstpersönlich abzuholen. Er macht sich zu Fuß auf den Weg - von Montana nach Nebraska. Bruce besitzt nämlich keinen Führerschein mehr, und seine Ehefrau Kate (June Squipp) will ihn auch nicht fahren. Woodys Sohn David (Will Forte) will dem Vater den Fußmarsch ausreden, doch der lässt sich nicht beirren.
Alexander Paynes schwarzweiß gedrehte Komödie steckt voller Tiefgründigkeiten. Er entwirft das durchwegs melancholische Bild eines alten Mannes, der zeitlebens ausgenutzt wurde und nun erneut kurz davor steht, enttäuscht zu werden. Payne geht es hauptsächlich nicht um Geld und Reichtum, sondern um eine Vater-Sohn-Beziehung.
Termine: 25.10., 20.30, Gartenbau, 5.11., 11.00, Gartenbau

THE DIRTIES
Regie: Matt Johnson

Für die beiden Highschool-Schüler Matt und Owen liegen alle Hoffnungen in ihrem neuesten Spielfilm „The Dirties“. Matt hofft, ein großer Regisseur zu werden, und Owen ist sein treuer Mitarbeiter. Doch die beiden sehen sich dem Spott ihrer Mitschüler ausgesetzt, die keine Gelegenheit auslassen, sie zu demütigen. Matt Johnsons Erstlingsfilm ist ein Plädoyer für die Kraft des Kinos und zeigt, dass Filme überlebenswichtig sein können.
Termine: 26.10., 20.30, Kino am Schwarzenbergplatz, 29.10., 13.00, Gartenbau


BAMBI
Regie: Sébastien Lifshitz

Bambi wurde 1935 in einem kleinen algerischen Dorf unter dem Namen Jean-Pierre Pruvot geboren. Sie wusste: Sie wollte irgendwann die Frau werden, die sie innerlich schon immer war. Eine  Vorstellung des berühmten Cabarets Carrousel de Paris in Algier ermutigte sie in den 50ern, nach Paris zu ziehen und dort auf den Varieté-Bühnen unter dem Künstlernamen „Bambi“ das Leben zu führen, das sie sich wünschte. Jean-Pierre heißt seitdem Marie-Pierre, ist heute 77 Jahre alt.  Regisseur Sébastien Lifshitz erzählt die Geschichte dieses Schicksals in seiner Doku „Bambi“ nach. Es geht um Zurückweisung, Unverständnis und Mut. Archivbilder und Fotos mischen sich mit glamourösen Auftritten auf der Bühne und im Film, dazu gesellen sich seltene private Aufnahmen. Lifshitz schildert auch den Wandel von Bambi zu einer transsexuellen Frau, die mit Hormonen experimentiert, um das zu sein, was sie sich erträumte. Und: Der Film zeigt auch die emotionale Begegnung Bambis mit ihrer großen Liebe.
Termine: 25.10., 18.30, Urania, 26.10., 23.00, Kino am Schwarzenbergplatz

E agora? lemb ra-me
Regie: Joaquim Pinto

Der Dokumentarfilm des portugiesischen Regisseurs Joaquim Pinto, geboren 1957, wurde in Locarno uraufgeführt. Mit dem autobiografischen Werk schuf Pinto, der seit 20 Jahren mit HIV und Hepatitis C infiziert ist, ein filmisches Tagebuch über seine Teilnahme an einer klinischen Studie mit toxischen, bewusstseinsverändernden Medikamenten. Dabei reflektiert er über die Zeit und seine Erinnerungen. Die Medizin, die er in seinen Körper bringt, nimmt immensen Einfluss auf diesen, wie auch auf seine Psyche. Die gravierendste Nebenwirkung beschreibt Pinto als eine Trägheit: Der Körper setzt nicht mehr automatisch die Signale aus dem Kopf um. Ein bedrückender Film, über unsere Welt und ein düsteres Tagebuch menschlichen Leids.
Termine: 26.10., 21.00, Urania, 27.10., 10.00, Metro

Matthias Greuling

Viennale 2013: Inside Llewyn Davis eröffnet das Festival

Zur Eröffnung gab es „Inside Llewyn Davis“ der Regiebrüder Joel und Ethan Coen. Die tauchen darin in das New York der frühen 60er Jahre ein; es ist die Zeit, in der in den Clubs von Greenwich Village Legenden wie Bob Dylan aus der lebhaften Folk-Musikszene geboren wurden. Der Film folgt dem Sänger Llewyn Davis (Oscar Isaac), der mit viel Inbrunst und Leidenschaft an seiner Musikkarriere arbeitet, dem aber letztlich trotz seiner  wunderbaren Songs und der Qualität seines Könnens der Aufstieg aus den Hinterhof-Clubs verwehrt bleibt.
"Inside Llewyn Davis" (Foto: Viennale)

Die Odyssee, die Davis im Laufe des Films durchlebt, ist voller Rückschläge und enttäuschter Hoffnungen. Das reicht von der Zurückweisung durch seine Ex-Freundin (Carey Mulligan) über wenig Hoffnung verbreitende Vorsingen bei Konzertveranstaltern bis hin zu einer den ganzen Film dramaturgisch begleitenden entlaufenen Katze. Ja, bei den Coens darf trotz der Misere auch gelacht werden: „Inside Llewyn Davis“ ist vielleicht der schönste Katzenfilm aller Zeiten.
Joel und Ethan Coen finden für die rauchige Atmosphäre in den Clubs den richtigen desaturierten Look, arbeiten in Bildsprache und Rhythmus angenehm zurückhaltend, ohne dabei ihre Handschrift zu verwässern. Es gibt famose Songs und außerdem einige Szenen, die Kultstatus erlangen könnten, darunter eine gemeinsame Jam-Session zwischen Isaac und seinem Musikerkollegen im Film, gespielt von Justin Timberlake.
Neu ist, dass die Regisseure hier nicht alles dem subtilen, schwarzen und sarkastischen Humor unterordnen, der ihre Filme kennzeichnet. Sie sind in der Lage, in voller Ernsthaftigkeit zu inszenieren und dabei durchaus metaphernschwanger den größten Trumpf dieser Geschichte des Scheiterns auszuspielen: Die Erkenntnis, dass Talent und Leidenschaft zwar Bedingung, aber keineswegs Garant für eine große Karriere sind. Irgendwo am Wegesrand muss sich Glück und Berechnung hinzugesellen. Und: Man sollte wissen, wo man hingehört. Die Katze im Film macht es vor.

Matthias Greuling