Samstag, 15. Februar 2014

Kein Gold für den Bären der Herzen – Die Berlinale-Preisträger 2014

Richard Linklater stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: Für seinen Film „Boyhood“ (ausführliche Kritik hier) erhielt er zwar hochverdient den Silbernen Bären als bester Regisseur, jedoch hatte man nach dem ersten Presse-Screening des Films nur mehr noch ihn auf der Liste für den Goldenen Bären, den Hauptpreis der 64. Berlinale. Aber die Jury hat ihre Eigenwilligkeit unterstrichen und mehrere Preise, darunter eben auch den Hauptpreis, an das asiatische Kino vergeben. Dort ist im Moment am meisten „los“, es ist ein boomender Kinomarkt und die Produktionen werden einerseits mehrheitsfähiger, andererseits zahlreicher und dadurch differenzierter.

"Bai ri yan huo" (Schwarze Kphle, dünnes Eis) von Yinan Diao. (Foto: Berlinale)
Der Goldene Bär geht an den chinesischen Krimi „Bai ri yan huo“ (Schwarze Kohle, dünnes Eis) von Yinan Diao. Zudem bekam der Film auch gleich noch den Preis für den besten Darsteller (Fan Liao). Die Crime-Story, die Elemente des Film Noir mit jenen des Mainstream-Kinos mischt, dreht sich um mehrere Morde und deren Aufklärung – und all das vor dem Hintergrund moralischer Fragen über Liebe, Rache und Sex. Es strengt an, sich den verschiedenen Strängen des Films zu widmen und darin ein Ganzes zu entdecken, zugleich macht „Bai ri yan huo“ auch Spaß und serviert einem entsprechend interessierten Publikum auch Mordszenen, die man so noch nie gesehen hat. Also für die, die so was mögen.

Und noch zwei Preise gingen nach Asien: Der Preis für die beste Kamera für Jian Zeng und das Drama „Tui Na“ (China), sowie der Schauspielerinnen-Preis an Haru Kuroki in „Chiisai Ouchi” (The Little House) von Yoji Yamada (Japan).

Der Verwunderung nicht genug, vergab die Jury rund um ihren Präsidenten, den Produzenten und Drehbuchautor James Schamus, den Alfred-Bauer-Preis für innovatives, zukunftsweisendes Kino ausgerechnet an Alain Resnais‘ Arbeit „Aimer, boire et chanter“. Der 92-jährige Regisseur zeigte damit allerdings mehr Stillstand als Innovation: Seit vielen Jahren sind seine Dramen theatralische Sprechstücke, zwar von hoher Qualität, aber weit entfernt vom Begriff „Zukunftsweisend“. „Aimer, boire et chanter“ macht da keine Ausnahme.

Neben Linklaters Regiepreis ist auch der große Preis der Jury als eine Art Trostpreis zu werten: Wes Anderson wurde für seinen stilistisch einfallsreichen, wenngleich auch stringent statischen Eröffnungsfilm „Grand Budapest Hotel“ in Abwesenheit ausgezeichnet. Viele hätten auch in ihm einen Bären-Kandidaten gesehen. Keinen vom Format von „Boyhood“ zwar, denn der hatte nun wirklich alle beglückt: Arthaus-Fans, Unterhaltungsliebhaber, Kunstkritiker, ja sogar fast die gesamte deutsche und österreichische Filmkritik.

Für das deutsche Kino gab es nur einen Preis, obwohl vier deutsche (und überwiegend durchschnittliche) Filme im Bewerb standen. „Kreuzweg“ bekam den Bären fürs beste Drehbuch, das die Geschwister Anna und Dietrich Brüggemann verfassten; sie erzählen eine in nur 14 Einstellungen gedrehte Geschichte, in der ein 14-jähriges Mädchen unter der streng und fanatisch religiösen Erziehung der Eltern leidet. Und weil es um die Pius-Bruderschaft geht, die kirchenintern als Ultra-Hardliner gilt, fand das auch die Ökumenische Jury gut und verlieh dem Film ihren Preis.

Der österreichische Wettbewerbsbeitrag „Macondo“ über das Schicksal eines tschetschenischen Flüchtlingsbuben in Wien-Simmering, inszeniert von Sudabeh Mortezai, begeisterte die Jury nicht und blieb ohne Preis. Sozialpolitische Stoffe, wie es sie bei den Berlinale-Preisträgern  immer wieder gibt, hatten in diesem Jahr keine Chance.

Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen – nicht immer muss man sperriges Sozial-Kino für preiswürdig befinden, nur weil der Film ein wichtiges Anliegen vertritt, die Qualität aber nicht entspricht. Obwohl genau das das Markenzeichen der letzten Dekade der Berlinale gewesen ist, hat man sich nun deutlich davon distanziert: Allerdings mit der Prämierung der falschen Filme. Denn Linklaters „Boyhood“ zeigte eindrucksvoll, dass sozial- und gesellschaftspolitisch relevantes Kino durchaus mit zugänglicher, aber zugleich sinnlich-anspruchsvoller Erzählung vereinbar ist. „Boyhood“ ist eindeutig der Goldene Bär der Herzen. 
Matthias Greuling, Berlin

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