Donnerstag, 13. Februar 2014

Errol Morris: "Wir hätten nie in den Krieg ziehen dürfen" - The Unknown Known bei der Berlinale

Donald Rumsfeld darf reden. Viel reden. In Errol Morris’ Doku „The Unknown Known“ feiert sich der ehemalige US-Verteidigungsminister als Kriegsheld und Retter Amerikas, und das, obwohl Morris („The Fog of War“) für seine durchaus kritischen Arbeiten bekannt ist. Diesmal aber will er, dass sich das Objekt seiner Untersuchungen selbst entlarvt: Rumsfeld spricht über seine Jahre im Weißen Haus, über politische Gegner, über Vietnam und Nixon, über Irak-Krieg und Bush, über 9/11 und die Folterungen in Abu Ghraib - und verzieht dabei keine Mine. Völlig ungerührt kommentiert er die von ihm selbst erdachten und mitgetragenen Angriffe gegen die Menschlichkeit, kommentiert den modernen Imperialismus Amerikas, als sei er in Stein gemeißelt.
Errol Morris (Foto: Berlinale)
„The Unknown Known“ ist eine Doku auf einem gefährlichen Scheideweg, die einem der Hauptprotagonisten der Kriege der jüngeren Vergangenheit eine Bühne bietet. Ob das Propaganda oder die von Morris intendierte Selbstentlarvung ist, muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden – für Berlinale-Chef Dieter Kosslick jedenfalls war es Grund genug, den Film ins Programm zu nehmen, obwohl er bereits beim vergangenen Festival von Venedig seine Premiere hatte.
Die „Wiener Zeitung“ sprach mit Regisseur Morris über Rumsfeld und den Film.

Mr. Morris, was hat Sie an der Auseinandersetzung mit Donald Rumsfeld am meisten überrascht?
ERROL MORRIS: Das Fehlen jeglicher Reflexion über das, was er getan hat. Der saß da im Oval Office im Weißen Haus als Chief of Staff von Präsident Gerald Ford. Wir schaffen Südvietnam ab, der Krieg ist eine Groteske: 58.000 Amerikaner sind tot. 1,5 Millionen Vietnamesen sind tot. Südostasien liegt in Trümmern. Ich frage Rumsfeld: Was haben Sie daraus gelernt? Er antwortet: „Manche Dinge funktionieren, andere eben nicht“. Was soll man groß sagen, wenn das die Tiefe seiner Einsicht ist?

Szenenfoto aus "The Unknown Known" (Foto: Berlinale)
Was war die Bedingung an Sie, dass Rumsfeld sich überhaupt vor Ihre Kamera setzte?
Mir war wichtig, dass er keinerlei Kontrolle über den Schnitt hatte. Ich traf ihn zu einer zweitägigen Interview-Sitzung, denn ich dachte: Wenn wir zuerst einen Vertrag aushandeln für diesen Film, dann wird es den Film nie geben. Ich sagte, lassen Sie uns das versuchen, und hinterher zeigte ich ihm das Material. Wenn er es mochte, dann sollten die Gespräche fortgeführt werden. Und er mochte das Material. Die Bedingung war allerdings, dass nur er selbst im Film als Interviewpartner vorkam. Aber das war ohnehin mein Konzept. Es gibt ja tausende Filme, in denen Leute über eine Figur sprechen, aber nur sehr wenige, in denen diese eine Figur vorkommt, um über sich selbst zu sprechen. Und zwar nur diese.

Glauben Sie, Rumsfeld machte auch deshalb mit, weil er so sein eigenes Vermächtnis aufgezeichnet wusste?
Ja, das war sicher ein Aspekt für ihn. Vielleicht dachte er, nach dem Film würde man ihn in einem anderen Licht sehen. Es ist wirklich schwierig zu sagen, warum er zustimmte.

Vielleicht, weil er dachte, er könne sich dadurch an das Image annähern, das er gerne für sich gehabt hätte? Rumsfeld, der Schattenpräsident.
Es ist doch interessant: Rumsfeld war nie Präsident oder Vizepräsident der USA, während sein Wegbegleiter Dick Cheney sehr wohl Vize wurde. Aber: Beide zusammen haben die Welt zweimal regiert: Während Präsident Ford und in Bushs erster Amtszeit. Das ist doch was.

Zeigte Rumsfeld in den Gesprächen jemals Eifersucht auf Cheney?
Nicht wirklich, aber man spürt, dass sie da ist. Es gibt diesen Moment im Film, in dem ich ihn frage, ob er seinen Job als Verteidigungsminister unter Bush Dick Cheney zu verdanken hat. Rumsfeld sagt nur: George Bush Senior hätte er es wohl nicht zu verdanken. Und dann setzte er diesen scheußlichen Grinser auf.

Was ist eigentlich ihre persönliche Meinung zu Rumsfeld, und haben Sie sich gestattet, diese Meinung zu haben, während Sie den Film drehten?
Man hat eine Meinung, und es ist nicht die Frage, ob man diese Meinung zulässt. Ich habe nicht wirklich eine solche Kontrolle über mich selbst. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich die Politik von George W. Bush abstoßend fand, um es einmal höflich zu formulieren. Ich mag es nicht mehr, mit Leuten darüber zu streiten, ob diese Kriege gerechtfertigt waren oder nicht. Meine Antwort darauf ist simpel: Wir hätten niemals in den Krieg ziehen dürfen. Punkt. Man zieht nicht in einen Krieg, nicht einmal aus humanitären Gründen, wenn man keine Vorstellung davon hat, was einen erwartet, und wogegen man eigentlich kämpft.

War es frustrierend, dass Rumsfeld Ihnen in den Interviews nicht einmal einen Zusammenbruch lieferte, nach dem Motto: Wir haben alles falsch gemacht?
Ich war dauergefrustet. Als ich ihn auf die Folter-Memos aus Abu Ghraib ansprach, meinte er nur, er hätte sie nie gelesen. Ich rief: „Wirklich?“ Das war von mir nicht gespielt, das war echtes Entsetzen. Das ist einer der wirklichen Schandflecke der US-Geschichte, für die ich mich unglaublich schäme, und Rumsfeld hatte die Aufzeichnungen dazu nicht mal gelesen? Hallo?

Wie sehen Sie die heutige US-Politik?
Ich habe Obama gewählt, zweimal. Hat es etwas gebracht? Ich weiß nicht. Bin ich enttäuscht. Definitiv. Aber würde ich lieber Mitt Romney im Weißen Haus sehen? Nicht wirklich. Ich erinnere mich an einen Wahlwerbesticker für Obama, der vor seiner Wiederwahl erschien. Darauf stand: „Obama 2012. Oder haben Sie eine bessere Idee?“ Das trifft es ziemlich gut. 

Interview: Matthias Greuling, Berlin



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