Sonntag, 7. August 2016

Wie Harvey Keitel seinen Kühlschrank vor Tarantino schützte

"Meine besten Rollen sind die, bei denen ich dieses gewisse Bauchgefühl schon beim Lesen verspürt habe", sagt Harvey Keitel. Der 77-jährige New Yorker Schauspieler, der beim Filmfestival von Locarno gerade einen Ehren-Leoparden fürs Lebenswerk erhielt, muss in unserem Gespräch nicht lange nachdenken, welche Filme das waren. "Mit Scorsese drehte ich 1967 schon seinen Abschlussfilm von der Filmschule, ‚Who’s That Knoking on My Door‘", erinnert sich Keitel. "Damals hatten wir kein Geld und drehten in Scorseses Elternhaus. Sein Vater war vielleicht erstaunt, als er von der Arbeit heimkam, und ich lag gerade für eine Szene mit einem Mädchen im Bett. In seinem Bett!"
Harvey Keitel in Locarno (Foto: Katharina Sartena)
Das starke Bauchgefühl für Scorseses Talent hatte Keitel dann spätestens bei "Taxi Driver" verspürt. "Ein grandioser Film, er reflektiert das New York, in dem ich aufwuchs. Die Stimmung erzeugt bei mir bis heute Gänsehaut". Noch so ein Film, der Keitel gepackt hat, was Jane Campions "Das Piano". Und natürlich: Seine Auftritte in den Filmen von Quentin Tarantino, vor allem in dessen Erstling "Reservoir Dogs" (1992). "Ich bekam das Script über Umwege in die Hände und wusste sofort: Dieser Mann hat Talent. Wir verstanden uns auf Anhieb, nur musste ich bei unseren Meetings meist meinen Kühlschrank bewachen, weil Tarantino damals überhaupt keine Kohle hatte und mir regelmäßig den Kühlschrank leer aß", lacht Keitel.
Der in Brooklyn geborene und bis heute dort lebende Schauspieler hat mit vielen großen Regisseuren gearbeitet und dabei auch jede Menge Kult-Charaktere erschaffen. "Man weiß leider vorher nie, in welche Sphären so eine Kultfigur aufsteigen kann", berichtet er. Immer schon war Keitels Karriere eine Art Hybrid zwischen Hollywood-Kunst und europäischem Arthaus. "Meinen ersten Film in Europa drehte ich mit Bertrand Tavernier, an der Seite von Romy Schneider"; erinnert er sich an "Death Watch - Der gekaufte Tod" von 1980. Besonderen Stellenwert misst er seinem "Bad Lieutenant" bei, als den ihn Abel Ferrara 1992 inszenierte. "Zunächst landete Abels Script direkt in der Mülltonne, denn es waren nur 23 Seiten voller großer Buchstaben, die rein gar nichts über den Sinn aussagten. Aber ich habe das Script dann aus dem Müll gefischt, um die Story fertig zu lesen. Zum Glück, denn erst am Ende begriff ich, was das für eine tolle Story war".
Es ist daher auch kein Zufall, dass es Ferrara höchstpersönlich war, der Keitel in Locarno den Ehrenleoparden überreichte.
Für alle, die es Harvey Keitel gleichtun möchten und eine Karriere in Hollywood anstreben, hat er einen ernst gemeinten Rat: "Geht nicht nach Hollywood und bettelt dort, in ihre Kreise aufgenommen zu werden", sagt er. "Denn Hollywood wird zu Euch kommen, sobald ihr Euer eigenes Ding dreht. Habt Selbstvertrauen und macht etwas Einzigartiges, dann wird Hollywood ganz von selbst vor der Türe stehen. Und ganz nebenbei könnt Ihr Hollywood so auch ein Stückchen besser machen und es erziehen, indem ihr Eure Kunst dorthin bringt, anstatt sich anzubiedern".

Matthias Greuling, Locarno


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