Donnerstag, 7. Februar 2013

Schauwert zum Vergessen: THE GRANDMASTER eröffnet die 63. Berlinale

Die Berlinale hat selten Glück bei der Wahl ihrer Eröffnungsfilme. Immer wieder zeigt sich hier, wie schwer die Konvergenz aus Anspruch, Kunst und Breitenwirksamkeit sein kann. Das war schon beim desaströsen Stalingrad-Kriegsfilm „Enemy at the Gates“ im Jahr 2001 so, beim laschen „Cold Mountain“ (2004) aber auch bei dem Abenteuerfilm „Man to Man“ (2005), bei „The International“ (2009) oder im Vorjahr bei dem theatralisch dahindümpelnden „Les Adieux à la reine“. Man könnte zahlreiche weitere Beispiele listen, bei denen die großen Namen ihrer Regisseure viel versprachen, letztlich aber wenig hielten. Es sind mittelmäßig interessante Geschichten, zumeist uninspiriert inszeniert.
Tony Leung in Wong Kar-wais "The Grandmaster" (Foto: Berlinale)
Vielleicht liegt das auch daran, dass der Eröffnungsfilm eines Festivals ein prinzipiell recht undankbarer Spielplatz für das Weltkino ist. Denn erst das, was danach kommt, bleibt im Gedächtnis, und wenn der Preisträger verkündet wird, ist der allererste Film der Filmschau längst vergessen, auch, weil das zumeist Beiträge sind, die außerhalb des Wettbewerbs programmiert werden; sie sollen ein gewisses Star-Potenzial für den Auftakt sicherstellen – und damit die heiß ersehnte Publicity in den Medien bringen. Zugleich aber sollen sie auch eine Art Aushängeschild für ein Festival und seine programmatische Ausrichtung sein, und dieser weit verzweigte Spagat gelingt nur selten. Es endet meist in einem Potpourri visueller Großleistungen ohne Esprit und ohne erzählerischer Relevanz.
Martial-Arts in Reinkultur: "The Grandmaster" (Foto: Berlinale)
So ist es auch in diesem Jahr, in dem zur 63. Berlinale Wong Kar-wais Kung-Fu-Epos „The Grandmaster“ auf dem Programm stand. Es ist wie so oft bei dieser Filmschau ein Mix aus Abenteuer, Historie, Kinomagie und Heldentum, die dieser Programmplatz zu fordern scheint – und ihn nie überzeugend einlösen kann. 20 Monate innerhalb von drei Jahren hat der Filmemacher aus Hongkong benötigt, um die Geschichte zweier chinesischer Kung-Fu-Meister, namentlich Ip Man (Tony Leung) und Gong Er (Zhang Ziyi), in Szene zu setzen, deren Wege sich 1936 am Vorabend der japanischen Invasion, kreuzen. „The Grandmaster“ ist ein 120-minütiger Kampfsportunterricht quer durch die Vielfalt asiatischer Körperverrenkungen – mehr aber auch nicht. Zwar fotografiert Wong Kar-wai die Kampfhandlungen in wunderbaren Bildern, aber hinter der immerzu brillanten visuellen Umsetzung macht sich schnell Leere und Langeweile breit. Könnte man die Einzelbilder dieses Films großformatig ausdrucken, sie ergäben eine wunderbar farbenprächtige Tapete aus Kampf- und Selbstbeherrschungsmotiven, allesamt gehüllt in eine schwerfällig wirkende Textur.
Dass das Ergebnis dieser zeitintensiven Zusammenarbeit zwar als opulenter, poetischer Martial-Art-Film durchgeht, sich aber zu Gunsten der Kämpferei niemals wirklich auf seine Story rund um Kriegswirren, Täuschung, Anerkennung und Liebe einlässt, macht ihn zu einer langatmigen Studie über die Kunst der Körperbeherrschung. Wong Kar-wai nutzt – weil er auch zeitgleich der Jury-Präsident dieser Berlinale ist – den Rummel um seine Person zur Vermarktung dieses außer Konkurrenz vorgestellten Gemäldes. Aber „The Grandmaster“ wird das Schicksal so vieler anderer Eröffnungsfilme teilen: Er ist schon während des Abspanns in Vergessenheit geraten.
Dabei hat sich Wong Kar-wai wirklich Mühe gegeben, der komplexen Materie des Kung-Fu-Kampfes gerecht zu werden: „Im Rahmen von etlichen Interviews mit Großmeistern bin ich auf demütige, bescheidene und sehr disziplinierte Menschen gestoßen, die ein Stück chinesischer Kultur prägen. Mir ist es ein großes Anliegen, diese Werte und die für viele wohl ungewöhnliche Lebensform einem internationalen Publikum zu präsentieren, Perspektiven zu bieten und Anreize für eine weitere Beschäftigung mit der Thematik zu liefern“, sagte er in Berlin. Allein:  In „The Grandmaster“ erschöpft sich dieses Anliegen leider bloß in warmfarbenen Schauwerten.
- Matthias Greuling

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