Donnerstag, 14. Februar 2013

Berlinale 2013: Vom Ende der Kompromisslosen

Viel ist dieser Tage in Berlin von der Provokation zu hören. Vom Ungestümen, das dem Weltkino zur Zeit abgeht, weil es auf so viele (nicht allzu neue) Umstände Rücksicht nehmen muss. Auf Budget, auf Moral, auf Zensur oder auf politische Situationen. Immer schwerer ist es, Kunstfilme zu finanzieren, hört man allerorts. Und wer einen Koproduzenten gefunden hat, bekommt von ihm zumeist nicht nur Geld, sondern auch an eigene Wünsche orientierte Änderungsvorschläge. Beim Berliner „Coproduction Market“, der zum zehnten Mal stattfindet, pitchen Filmemacher ihre Projekte vor potenziellen Produzenten und Finanziers. Es ist ein gutes und notwendiges Forum, denn es braucht wieder Innovation ohne Restriktion.
Die Berlinale bemüht sich, diesem Anspruch gerecht zu werden, allerdings nicht ganz mit Erfolg. Auch die kompromissloseste Arbeit muss keine gelungene sein, wie man das im diesjährigen Wettbewerb feststellt. Wong Kar-wais Eröffnungsfilm „The Grandmaster“ (außer Konkurrenz) ist ein 120-minütiger Kampfsportunterricht quer durch die Vielfalt asiatischer Körperverrenkungen – mehr aber auch nicht. Zwar fotografiert Wong Kar-wai (er ist heuer auch Jurypräsident) die Kampfhandlungen in wunderbaren Bildern, aber hinter der immerzu brillanten visuellen Umsetzung macht sich in warmfarbenen Schauwerten schnell Leere und – für unsere Breiten – Unkenntnis der historischen Zusammenhänge breit.  Wong Kar-wai gilt als Kompromissloser, aber das ist nicht gleichbedeutend mit Qualität.
James Franco als Hugh Hefner in "Lovelace" (Foto: Berlinale)
Auch Ulrich Seidl gehört zu den Kompromisslosen. Man hat dem beliebten Provokateur nur allzu gerne die Bühne für den Abschluss seiner „Paradies“-Trilogie geboten, doch sein Film „Hoffnung“ über eine 13-jähriges Mädchen, das sich im Diät-Camp für dicke Teenager in ihren 50-jährigen Arzt verliebt, ist in Berlin überwiegend als der schwächste der drei Teile der Trilogie bezeichnet worden.
„Paradies: Hoffnung“ ist der kürzeste Film der Trilogie, aber auch in den 90 Minuten seiner Laufzeit gibt es immer wieder repetitive Elemente, die – wie schon bei den Vorgängerfilmen – vor allem von der ursprünglichen Struktur des Projekts herrühren: Seidl wollte aus allen drei Geschichten einen Episodenfilm machen, doch die Fülle seines Materials verleitete ihn dazu, es mit drei Filmen in Spielfilmlänge zu versuchen. Mit dem Nachteil einer schwerfälligen Struktur, die am besten in „Glaube“ funktioniert, sonst aber etliche dramaturgische Leerstellen aufweist. Umgekehrt könnte man sagen: Das Spiel mit der Erwartungshaltung nach einem „Skandalfilm“ hat gefruchtet, zumindest, was die Aufmerksamkeit für den österreichischen Film betrifft, den Berlinale-Chef Dieter Kosslick als „mutig und durchaus in der Lage, mehr Selbstvertrauen zu haben“, bezeichnet.
Seidl hat mit „Paradies: Hoffnung“ nicht enttäuscht, aber eben auch nicht überrascht. Als Künstler muss er das nicht, solange er seinen eigenen unkorrumpierbaren Weg geht, aber ein Festival wie die Berlinale braucht Überraschungen.
Die bekommt es leider auch nicht aus Deutschland. Der deutsche Film bei der Berlinale hat einen beinahe noch schlechteren Stand als der heimische in Österreich. Das deutsche Feuilleton ist bekannt für seine lautstark (und zurecht) geäußerte Skepsis gegenüber deutschen Wettbewerbsbeiträgen. Thomas Arslans „Gold“ mit Nina Hoss in der Hauptrolle ist wieder so ein Problemfall des neuen deutschen Innovationsdrangs. Es geht um eine Gruppe von Deutschen, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika auswandern und dort am Klondike nach Gold suchen wollen, zu einer Zeit, als die Nuggets noch hühnereigroß waren und den mittlerweile zerstörten Mythos vom kapitalistischen Amerika festigten. Es wird viel geritten in diesem Film und dabei auf der Tonspur nervtötendes Gitarrenwummern abgelegt. Arslan beschreibt die Reise der Goldgeilen, nicht etwa die Goldsuche an sich. Der Weg zum Klondike ist beschwerlich, und in der Gruppe gibt es Spannungen – doch all das inszeniert Arslan mit plakativen, sehr konstruiert aneinandergereihten Szenen, der man in Spiel, Dekor und Duktus die Künstlichkeit ansieht. Der Weg ist das Ziel? Nein, eher der Schlaf.
Auch international ist es mit der Innovationsfreude, der Provokation, der Frische nicht weit her: Gus van Sant verfilmte mit „Promised Land“ einen Öko-Thriller von und mit Matt Damon, der durchwegs einnehmend, aber auch sehr vorhersehbar wirkt. Frederik Bond scheitert an seinem konfusen All-Star-Sammelsurium „The Necessary Death of Charlie Countryman“ – da nützt auch die Mitwirkung von Shia LaBeouf, Til Schweiger oder Mads Mikkelsen nichts.
Nur abseits des Wettbewerbs tut sich so manche Experimentierfreude auf: Sex in allen Spielformen ist hier das große Thema – als gäbe es keine anderen Erregungen als nackte Haut und entsprechend schlüpfrige Dialoge. Schauspieler Joseph Gordon-Levitt hat mit seinem Regiedebüt „Don Jon’s Addiction“ sich selbst in der Rolle eines Porno-Süchtigen vortrefflich besetzt; der Film macht keinen Bogen um fleischliche Provokation, und auch, wenn Vieles hier noch nach Anfängerfehlern aussieht, so ist „Don Jon’s Addiction“ zumindest in Ansätzen, was man erregt und sexy nennen darf. Rein künstlerisch natürlich.
Eine sexuelle Provokation führt auch Sara Forestier in Jacques Doillons „Love Battles“ vor, in dem sie mit viel Körpereinsatz und der perversen Lust am Schlagen und Geschlagen werden zum Höhepunkt kommt. In „Lovelace“ von Rob Epstein und Jeffrey Friedman wiederum ist Amanda Seyfried als die bekannte 70er-Jahre-Pornoqueen Linda Lovelace im „Einsatz“ und wird von James Franco in der Rolle des jungen Hugh Hefner hofiert. Franco wiederum hat als Regisseur mit „Interior: Leather Bar“ die dereinst aus dem 80er-Jahre-Thriller „Cruising“ entfernten Schwulenszenen nachgestellt, die ihrer expliziten Machart zum Opfer fielen.
Sex kann also noch immer ein bisschen provozieren. Die erhofften, riskanten Impulse für das Weltkino bringen aber auch diese Filme nicht. Wer will schon riskieren? Investoren sicher nicht. Denn die haben noch immer ganz weiche Knie von der Krise. Schon beim Sparbuch lernen wir: Wer auf Nummer Sicher geht, behält sein Geld. Aber reich wird er nicht. Das gilt auch für die Filmkunst.
Matthias Greuling, Berlin
(Dieser Text erschien in einer modifizierten Fassung auch in der "Wiener Zeitung")

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