Freitag, 4. September 2015

Venedig im "Spotlight": Mark Ruffalo als investigativer Reporter

Den Pulitzer Preis haben sie schon bekommen für ihr Engagement, vielleicht gesellt sich ja noch der eine oder andere Golden Globe oder Oscar hinzu: Die Aufdeckerjournalisten des „Boston Globe“, die 2003 den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Massachusetts recherchiert hatten, erhielten damals den Pulitzerpreis, auch, weil sie im Rahmen eines Teams namens „Spotlight“ zusammenarbeiteten - eine eigens von der Zeitung zusammengestellte Truppe, die mit reichlich Budget ausgestattet wurde, um für brisante Geschichten auch Monate oder gar Jahre recherchieren zu können, wenn es sein musste. 
Stanley Tucci, Tom McCarthy, Mark Ruffalo (Foto: Katharina Sartena)
„Journalismus wie diesen findet man heute leider nicht mehr. Zumindest nicht in den Vereinigten Staaten. Echte Aufdeckerjournalisten sterben aus“, findet Mark Ruffalo. Der Schauspieler schlüpft in „Spotlight“ in die Rolle eines der Aufdecker-Reporter, die gegen die katholische Kirche zu Felde ziehen, um den Missbrauch von Kindern durch Priester öffentlich zu machen. „Dieses unglaubliche Verbrechen musste bekannt werden. Viele Journalisten haben sich damals gefragt: Wieso haben WIR nicht diese Geschichte gebracht? Obwohl viele in der Szene von den Missbrauchsvorwürfen wussten, hat sie lange Jahre niemand angerührt“, erzählt Regisseur Thomas McCarthy, der gemeinsam mit Josh Singer das Script zu „Spotlight“ verfasste. Ebenfalls als Journalisten sind Rachel McAdams und (als Teamleiter) Michael Keaton zu sehen, außerdem dabei sind Stanley Tucci als Anwalt und Liev Schreiber als „Globe“-Herausgeber. 
Mark Ruffalo (Foto: Katharina Sartena)
Für Mark Ruffalo gehört es zu den Grundfragen des Filmprojektes, zu hinterfragen, weshalb sich gerade der US-Journalismus nach 9/11 in einer substanziellen Krise befindet. Einerseits brechen die Auflagen ein, andererseits befinden sich viele Journalisten auf Linie mit den Mächtigen. „Das ist keine gute Zeit für die schreibende Zunft“, weiß Ruffalo, „Man erwartet heute, dass alles gratis im Netz steht und dass das von irgendwem gemacht wird, der davon nicht zu leben braucht“. Doch wertvolle Information, die unter die Oberfläche gehe, koste eben Geld - und vor allem Zeit.
„Spotlight“ zeigt in unspektakulärer, aber umso spannenderer Weise, wie komplex und aufregend, wie unverzichtbar und notwendig eine freie Presse ist, die die Macht der Recherche besitzt und nicht immerfort dem Diktat des Kapitalismus ausgesetzt ist. Diesbezüglich, das zeigt die Realität, träumt der Film leider ein Stück weit auch ein utopisches Märchen.
Stanley Tucci (Foto: Katharina Sartena)
Für die bevorstehende Awards Seaseon, bei der die Studios ihre besten Stücke zur Aufführung bringen, die sich für einen der zahllosen Preise eignen sollen, die in den nächsten Monaten vergeben werden, sind Michael Keaton, Rachel McAdams und Mark Ruffalo heiße Kandidaten. Und das Thema „sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche“ geht der Oscar-Jury sowieso runter wie Öl. Mit diesem Riecher für eine gute Story hätte es Regisseur McCarthy sicher auch zu einem Top-Journalisten gebracht.

Matthias Greuling, Venedig

Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen.

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