Freitag, 15. Mai 2015

Yorgos Lanthimos, auf den Hund gekommen

Als völlig absurd könnte man Yorgos Lanthimos‘ neue Arbeit „The Lobster“ (dt. „Der Hummer“) bezeichnen, der in Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme antritt. Dabei ist das englischsprachige Filmdebüt des Griechen auch tief- und feinsinnig im Umgang mit seinem Thema: in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft ist das Single-Dasein verboten, und alle Menschen, deren Beziehung gerade gescheitert ist, werden angehalten, in ein speziell dafür vorgesehenes Hotel einzuchecken, wo sie innerhalb von 45 Tagen einen neuen, passenden Partner finden müssen. Gelingt das nicht, so werden sie unumkehrbar in Tiere verwandelt und in die Wildnis entlassen. Immerhin: Welches Tier sie werden, dürfen sie sich selbst aussuchen. „Die meisten nehmen Hunde“, sagt die Hotelchefin einmal. „Deshalb ist die ganze Welt voller Hunde“.

Rachel Weisz und Colin Farrell (Foto: Katharina Sartena)


Inmitten dieser skurrilen Geschichte findet sich unvermutet David (Colin Farrell) wieder, der als Mittvierziger nach einer Trennung nun kurz vor der Umwandlung zum Hummer steht. „Ein Hummer deshalb, weil die 100 Jahre alt werden“, rechtfertigt er seine Wahl. Ins Hotel kommt er mit seinem Hund, der einmal sein Bruder war. Der wird später eines brutalen Todes sterben.
Bei gemeinsamen Ausflügen mit den anderen Singles werden geflüchtete Singles gejagt: Mit Betäubungsgewehren. Jeder erlegte Single bringt einen zusätzlichen Tag im Hotel, also eine zusätzliche Chance, einen Partner zu finden. Irgendwann wird auch David die Zeit zu knapp, und er reißt aus. Jetzt ist er ein Flüchtling und trifft unterwegs auf andere Singles (darunter Léa Seydoux und Rachel Weisz). Doch auch in Freiheit, so lernt David schnell, gibt es mehr Regeln als ihm lieb sind.
Colin Farrell (Foto: Katharina Sartena)
Yorgos Lanthimos skurrile Partnerschafts-Suche ist spitzfindig ausgedachtes Metaphern-Kino zwischen Jux und Ernsthaftigkeit; „Wir haben diesen Film einfach beim Reden entwickelt“, sagt der Regisseur. „Wir sprachen über Beziehungen, Paare und Singles, fanden kleine Szenen, und so entstand Stück für Stück der Film“, so Lanthimos. „Wir zeigen in dem Film das menschliche Bedürfnis, in Beziehungen leben zu wollen, und welchen sozialen Stress es mitbringen kann, dieses Bedürfnis zu stillen. Es ist ein Film über die Liebe und ob sie wirklich echt sein kann“.
Dass Lanthimos in der Ausgestaltung seiner Szenen „maßlos übertrieben“ hat, weiß er selbst. „Das ist Absicht, obwohl ich eigentlich kein großer Anhänger von absurden Situationen im Kino bin. Ich wollte aber zeigen, wieviel Absurdität in der von uns gelebten Form der Liebe steckt.“
Szene aus "The Lobster" (Foto: Festival de Cannes)

„The Lobster“ trägt eine gewisse Form von Understatement vor sich her, weshalb skurrile Situationen noch zusätzlich überhöht wirken. Ein bisschen rätselhaft will Lanthimos auch sein, und ein bisschen larmoyant. Denn so richtig glücklich ist in „The Lobster“ niemand – auch die nicht, die sich in Partnerschaften befinden. Manchmal, da ist sich David sicher, ist der Hund doch der beste Freund des Menschen. Auch wenn er mal der eigene Bruder war. 

Matthias Greuling, Cannes

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