Donald Rumsfeld darf reden. Viel reden. In
Errol Morris’ Doku „The Unknown Known“ feiert sich der ehemalige US-Verteidigungsminister
als Kriegsheld und Retter Amerikas, und das, obwohl Morris („The Fog of War“)
für seine durchaus kritischen Arbeiten bekannt ist. Diesmal aber will er, dass
sich das Objekt seiner Untersuchungen selbst entlarvt: Rumsfeld spricht über seine
Jahre im Weißen Haus, über politische Gegner, über Vietnam und Nixon, über
Irak-Krieg und Bush, über 9/11 und die Folterungen in Abu Ghraib - und verzieht
dabei keine Mine. Völlig ungerührt kommentiert er die von ihm selbst erdachten
und mitgetragenen Angriffe gegen die Menschlichkeit, kommentiert den modernen
Imperialismus Amerikas, als sei er in Stein gemeißelt.
Errol Morris (Foto: Berlinale) |
„The Unknown Known“ ist eine Doku auf einem
gefährlichen Scheideweg, die einem der Hauptprotagonisten der Kriege der
jüngeren Vergangenheit eine Bühne bietet. Ob das Propaganda oder die von Morris
intendierte Selbstentlarvung ist, muss jeder Zuschauer für sich selbst
entscheiden – für Berlinale-Chef Dieter Kosslick jedenfalls war es Grund genug,
den Film ins Programm zu nehmen, obwohl er bereits beim vergangenen Festival
von Venedig seine Premiere hatte.
Die „Wiener Zeitung“ sprach mit Regisseur
Morris über Rumsfeld und den Film.
Mr. Morris, was hat Sie an der
Auseinandersetzung mit Donald Rumsfeld am meisten überrascht?
ERROL MORRIS: Das Fehlen jeglicher
Reflexion über das, was er getan hat. Der saß da im Oval Office im Weißen Haus
als Chief of Staff von Präsident Gerald Ford. Wir schaffen Südvietnam ab, der
Krieg ist eine Groteske: 58.000 Amerikaner sind tot. 1,5 Millionen Vietnamesen
sind tot. Südostasien liegt in Trümmern. Ich frage Rumsfeld: Was haben Sie
daraus gelernt? Er antwortet: „Manche Dinge funktionieren, andere eben nicht“. Was
soll man groß sagen, wenn das die Tiefe seiner Einsicht ist?
Szenenfoto aus "The Unknown Known" (Foto: Berlinale) |
Was war die Bedingung an Sie, dass
Rumsfeld sich überhaupt vor Ihre Kamera setzte?
Mir war wichtig, dass er keinerlei
Kontrolle über den Schnitt hatte. Ich traf ihn zu einer zweitägigen
Interview-Sitzung, denn ich dachte: Wenn wir zuerst einen Vertrag aushandeln
für diesen Film, dann wird es den Film nie geben. Ich sagte, lassen Sie uns das
versuchen, und hinterher zeigte ich ihm das Material. Wenn er es mochte, dann
sollten die Gespräche fortgeführt werden. Und er mochte das Material. Die
Bedingung war allerdings, dass nur er selbst im Film als Interviewpartner
vorkam. Aber das war ohnehin mein Konzept. Es gibt ja tausende Filme, in denen
Leute über eine Figur sprechen, aber nur sehr wenige, in denen diese eine Figur
vorkommt, um über sich selbst zu sprechen. Und zwar nur diese.
Glauben Sie, Rumsfeld machte auch
deshalb mit, weil er so sein eigenes Vermächtnis aufgezeichnet wusste?
Ja, das war sicher ein Aspekt für ihn. Vielleicht
dachte er, nach dem Film würde man ihn in einem anderen Licht sehen. Es ist
wirklich schwierig zu sagen, warum er zustimmte.
Vielleicht, weil er dachte, er könne
sich dadurch an das Image annähern, das er gerne für sich gehabt hätte?
Rumsfeld, der Schattenpräsident.
Es ist doch interessant: Rumsfeld war nie
Präsident oder Vizepräsident der USA, während sein Wegbegleiter Dick Cheney
sehr wohl Vize wurde. Aber: Beide zusammen haben die Welt zweimal regiert:
Während Präsident Ford und in Bushs erster Amtszeit. Das ist doch was.
Zeigte Rumsfeld in den Gesprächen jemals
Eifersucht auf Cheney?
Nicht wirklich, aber man spürt, dass sie da
ist. Es gibt diesen Moment im Film, in dem ich ihn frage, ob er seinen Job als
Verteidigungsminister unter Bush Dick Cheney zu verdanken hat. Rumsfeld sagt
nur: George Bush Senior hätte er es wohl nicht zu verdanken. Und dann setzte er
diesen scheußlichen Grinser auf.
Was ist eigentlich ihre persönliche
Meinung zu Rumsfeld, und haben Sie sich gestattet, diese Meinung zu haben,
während Sie den Film drehten?
Man hat eine Meinung, und es ist nicht die
Frage, ob man diese Meinung zulässt. Ich habe nicht wirklich eine solche
Kontrolle über mich selbst. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich die Politik
von George W. Bush abstoßend fand, um es einmal höflich zu formulieren. Ich mag
es nicht mehr, mit Leuten darüber zu streiten, ob diese Kriege gerechtfertigt
waren oder nicht. Meine Antwort darauf ist simpel: Wir hätten niemals in den
Krieg ziehen dürfen. Punkt. Man zieht nicht in einen Krieg, nicht einmal aus
humanitären Gründen, wenn man keine Vorstellung davon hat, was einen erwartet,
und wogegen man eigentlich kämpft.
War es frustrierend, dass Rumsfeld Ihnen
in den Interviews nicht einmal einen Zusammenbruch lieferte, nach dem Motto:
Wir haben alles falsch gemacht?
Ich war dauergefrustet. Als ich ihn auf die
Folter-Memos aus Abu Ghraib ansprach, meinte er nur, er hätte sie nie gelesen.
Ich rief: „Wirklich?“ Das war von mir nicht gespielt, das war echtes Entsetzen.
Das ist einer der wirklichen Schandflecke der US-Geschichte, für die ich mich
unglaublich schäme, und Rumsfeld hatte die Aufzeichnungen dazu nicht mal
gelesen? Hallo?
Wie sehen Sie die heutige US-Politik?
Ich habe Obama gewählt, zweimal. Hat es
etwas gebracht? Ich weiß nicht. Bin ich enttäuscht. Definitiv. Aber würde ich lieber
Mitt Romney im Weißen Haus sehen? Nicht wirklich. Ich erinnere mich an einen
Wahlwerbesticker für Obama, der vor seiner Wiederwahl erschien. Darauf stand:
„Obama 2012. Oder haben Sie eine bessere Idee?“ Das trifft es ziemlich gut.
Interview: Matthias Greuling, Berlin
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