Bis zur Halbzeit präsentierte das Filmfestival Venedig große Namen und spannende Filme von Wenders, Ozon und Tom Ford.
Von Matthias Greuling, Venedig
Wenn jemand wie Wim Wenders seinen bereits vierten Film in 3D vorstellt, dann hat das eine Aussagekraft von besonderer Bedeutung: Zugleich sagt der Regisseur: „3D ist leider zum Scheitern verurteilt“. Und zwar deshalb, weil Hollywood diese Seh- und Projektionstechnik „für die falschen Geschichten eingesetzt hat“. Wender begann bei „Pina“ (2011) an 3D zu glauben, und zwar „in einer Form, die sich für ein anspruchsvolles Erzählen eignete, nicht für Spektakelkino, das den Zuschauer schnell ermüdet“. Weshalb der 71-jährige deutsche Regisseur ein Verfechter von 3D bleibt. „Aber es wird wohl wieder zur Fußnote der Filmgeschichte werden, denn die großen Studios ziehen sich bereits aus dem Geschäft mit 3D zurück“, weiß Wenders. „Immer weniger Leute wollen das sehen“.
Wim Wenders (Foto: K. Sartena) |
Wir sind in Venedig, bei den 73. Filmfestspielen, und Wim Wenders hat hier im Wettbewerb um den Goldenen Löwen seinen ebenso fordernden wie eleganten, spröden wie faszinierenden Beitrag „Les Beaux Jours d’Aranjuez“ vorgestellt, in dem zwei Schauspieler, die von einem fiktiven Autor erfunden werden, auf der Terrasse eines Sommeranwesens 90 Minuten über die Liebe sprechen, manchmal auch philosophieren. Und wo eine Jukebox ebenso eine Hauptrolle hat wie Nick Cave einen kurzen Auftritt, das Ganze verfasst von Wenders’ Freund und fünfmaligem Kollaborateur Peter Handke.
„Peter und ich kommunizieren selten Angesicht zu Angesicht“, verrät Wenders im Gespräch, „das meiste läuft über schriftliche Kommunikation. Peter ist ein großer Freund handgeschriebener Briefe“. Genau in dieser Façon ist auch „Les Beaux Jours d’Aranjuez“ abgefasst, es ist tief in die Materie eintauchendes Kino voller brillanter (französischer) Dialoge und großartig einfacher 3D-Bilder, genau da, wo man dachte, das Medium würde sich dafür gar nicht lohnen. Aber gerade hier, im Dialog zweier Menschen, macht die Tiefenwahrnehmung endlich wirklich Sinn - sie ist die wahrhaftige Entsprechung zu Wenders’ und Handkes Gedankenwelt. Sie reflektiert eine unbedingte Natürlichkeit im Sehen auf uns und um uns.
Ganz andere Pfade der Erzählkunst beschreitet François Ozon in seinem neuen Film „Frantz“, ein Post-Weltkriegsdrama, das Anfang der 1920er Jahre spielt. Ein junger Franzose (Pierre Niney) sucht die deutschen Eltern und die Verlobte (Paula Beer) des im Krieg gefallenen Frantz auf und verschafft den Angehörigen Kraft mit seinen Erzählungen über die Freundschaft, die er und Frantz vor dem Krieg hegten. Jedoch gesellt sich zu dem vorwiegend in schwarz-weiß gedrehten Drama bald ein seltsam nebulöser Unterton hinzu, der fast hitchcockhafte Züge aufweist und dessen Wendung zur Filmmittte für Überraschungen sorgt. Ozon nennt als Inspiration für den Film unter anderem auch Hanekes „Das weiße Band“. Einerseits, weil beide Filme - ganz auf ihre Weise - die aufkeimenden Extremismen des frühen 20. Jahrhunderts aufarbeiten, andererseits, „weil meine Produzenten erst dann von meinem Plan überzeugt waren, in Schwarzweiß zu drehen, als sie erkannten, dass Haneke damit großen Erfolg hatte“. Jedenfalls ist „Frantz“ spannendes, hervorragend gespieltes Ozon-Kino in Reinkultur: Dieser Franzose wusste immer schon, wie man mit scheinbar simplen dramaturgischen Tricks packende Geschichten erzählt, die Niveau und Unterhaltung gleichermaßen bieten.
Tom Ford wiederum zeigt in seiner zweiten Regiearbeit „Nocturnal Animals“, dass der Modeschöpfer auch außerhalb seines Metiers das Inszenieren beherrscht. Er erzählt von einer Galeristin (Amy Adams), die das Roman-Manuskript ihres Ex-Mannes erhält und in dessen Geschichte über eine Familie, bei der Frau und Tochter im Urlaub entführt und getötet werden, hineinkippt. Sie erfährt dadurch einige unbequeme Wahrheiten aus ihrer eigenen Vergangenheit. Fords Verfilmung des Romans „Tony & Susan“ von Austin Wright handelt auch von verpassten Chancen und gießt diese Wehmut in edle Bilder, nichts anderes hätte man von einem Designer erwartet.
Außerhalb des Wettbewerbs war sich Ulrich Seidl der Gunst von Kritik und Publikum sicher wie selten zuvor: Mit seiner Doku „Safari“ über die Daseinsberechtigung von touristischer Großwildjagd in Afrika erntete er viel Beifall und gute Kritiken. Nur wenige Zuschauer verließen das Kino bei der Premiere an der Stelle, als einem Zebra und einer Giraffe das Fell abgezogen wird, der Rest blieb aber bis zum Schluss. Seidl hat im Übrigen hier vor zwei Jahren das katholische Italien arg brüskiert, als bei „Paradies: Glaube“ eine derbe Onanie-Szene mit einem Christuskreuz zu einer Anzeige führte. Venedig ist offensichtlich ein guter Boden für religiös motivierte Filme, das sieht man auch heuer: Paolo Sorrentino zeigte seine neue TV-Serie „The Young Pope“ über den ersten fiktiven US-Papst, gespielt von Jude Law. Als streng gläubigen Verfechter ultrakonservativer Christen lud man Mel Gibson ein, sein Kriegsdrama „Hacksaw Ridge“ zu zeigen. Der Hollywoodstar gelobte in Venedig, jeden Tag artig zu beten. Und „Jesus VR - The Story of Christ“ ist nach Vorstellung der Produzenten der erste Virtual-Reality-Spielfilm, bei dem man als Zuschauer das Gefühl hat, bei Geburt und Tod von Jesus Christus direkt dabei zu sein. Es ist zweifelhaft, ob so die Zukunft des Kinos aussehen sollte.
Aber Venedig hat auch andere Seiten: Am Dienstag hat hier eine Doku über den angeblich bekanntesten männlichen Pornostar Premiere: „Rocco“ folgt der Karriereleiter des „Italian Stallion“ Rocco Siffredi. Er ist die Antwort auf alles, was man diesen harten Zeiten Aufrechtes entgegenzusetzen vermag.
(Auch in der WZ erschienen)
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