Auf „Safari“: Ulrich Seidl hat einen Film über Jagdtourismus in Afrika gedreht, der in Venedig uraufgeführt wird.
Von Matthias Greuling, Venedig
Sie schleichen durch die Wildnis, als wären sie selbst Tiere auf der Jagd nach Beute. Sie nehmen alles ins Visier, was sie hier in den Weiten Afrikas entdecken: Buschböcke, Impalas, Zebras, Gnus und sogar Giraffen. Der Jagdtrieb in ihnen ist angeschwollen bis zu seiner maximalen Ausprägung. Das Adrenalin schießt durch ihre Adern, zugleich müssen sie ihre Emotionen drosseln, denn sonst wittert das Tier, im Jagdjargon auch „Stück“ genannt, dass es auf der Abschlussliste steht. Das Gewehr wird aufgestützt auf eine Art Stativ, damit der Schuss sauber und gezielt trifft. Wir sind bei einer „Safari“ dabei, und genau diesen schlichten Titel wählt Regisseur Ulrich Seidl, um seinen „Urlaubsfilm über das Töten“, wie er ihn nennt, zu beschreiben. Der Film hatte soeben seine Weltpremiere außer Konkurrenz beim Filmfestival von Venedig.
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Ulrich Seidl (Foto: Katharina Sartena) |
Herr Seidl, was interessiert Sie an der Jagd?
Ulrich Seidl: Jagd wirft die Frage auf, warum Menschen auf Tiere schießen. Hinzu kommt die Komponente, dass ich in Afrika gedreht habe, wo findige Unternehmer diese Jagd auch Touristen aus aller Welt anbieten - man jagt hier, während man Urlaub macht - und diese Kombination hat mein Interesse geweckt. Jagen ist menschlich, es liegt offensichtlich in den Genen, zumindest bei Männern. Auf der anderen Seite hat die Jagd in der Öffentlichkeit ein sehr schlechtes Image. Man fragt sich, ob man das vertreten kann. All diese Aspekte fließen in diesen Film ein.
Kann man Jagd denn vertreten?
Das kann man nicht so einfach beantworten. Man muss zwischen der Jagd in heimischen Wäldern und der touristisch organisierten Großwildjagd unterscheiden. Ich bin in diesem Sinne kein ausgesprochener Jagdgegner, sondern hinterfrage, unter welchen Voraussetzungen findet die Jagd statt und zu welchem Zweck?
War es schwierig, die Protagonisten für diesen Film zu finden? Gerade, weil die Jagd ein solch umstrittenes Thema ist?
Ich finde immer die richtigen Protagonisten für meine Filme, meistens ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich sie habe und da gehört auch Geduld dazu. In diesem Fall war es besonders schwierig, da ich Menschen finden musste, die ich unverfälscht dabei zeigen durfte, dass sie zu ihrem Jagdurlaub in Afrika wirklich stehen. Für mich war wichtig, dass ich zu dem Thema keine vorgefasste Meinung hatte, denn es macht für mich keinen Sinn, einen Film zu beginnen, dessen Thema ich positiv oder negativ sehe. Ich gehe dem nach, bin selbst neugierig, und frage: Was passiert hier? So entstehen meine Filme. Im übrigen kann ich mir nicht vorstellen, jemals selbst zu jagen.
Sie „inszenieren“ selbst bei Dokumentarfilmen weite Teile Ihrer Bilder. Wie weit hat Ulrich Seidl den doch recht unkalkulierbaren Prozess des Anpirschens mitgeformt?
Ein bisschen Wahrheit ist bei mir schon dabei, nicht alles ist Inszenierung. Aber selbst, wenn die Kamera sich viel bewegt, wie in diesem Fall, nehme ich dennoch großen Einfluß auf sie. Mein Hauptinteresse galt hier den Menschen, die sich eine solche touristische Reise antun, und wie sie durch den Busch pirschen, auf der Suche nach wilden Tieren. Und wie sie sich benehmen, wenn sie ein Tier sehen. Was machen sie vor dem Schuss, wie reagieren sie danach?
Interessant ist jedenfalls der Umgang mit Sprache: Das Tier ist in der Jägersprache ein „Stück“, das nicht blutet, sondern „schweißt“.
Ich kannte einen Teil dieser Jägersprache, aber mich hat es auch verwundert. Wie kann man das interpretieren? Warum gibt es diese Sprache? Die Antwort kann nur sein: Man schafft zu einem Tier, das man erlegen will, eine Distanz, damit es keinerlei emotionale Verbindung geben kann. Das Tier ist eben kein Zebra oder keine Giraffe, sondern ein Stück. Das lässt einen schon nachdenklich werden. Und auch die Tatsache, auf die wir während der Arbeit an den englischen Untertiteln für den Film draufgekommen sind: Im Englischen gibt es keine vergleichbare Jägersprache. Man kennt das nur im deutschen Sprachraum.
Wo verorten Sie „Safari“ auf Ihrem künstlerischen Weg? Denn der Film ist nur vordergründig ein Film über eine Safari. In Wahrheit geht es doch ums Menschsein.
Am Anfang einer neuen Arbeit habe ich nie vor, mit einer genauen Vorstellung da hineinzugehen. Ich habe lediglich ein mehr oder weniger eingegrenztes Thema, und ich mache daraus einen Film, im Zuge dessen ich mich mit den Protagonisten zu einem gewissen Punkt entwickle. Also, ich gehe nicht her und fasse den Plan, einen metaphorischen Film über das Menschsein zu machen. Es ergibt sich eher. Deshalb kann ich den Film auch nicht einordnen. Ähnlich erging es mir bei „Im Keller“. Die Jagd als Thema symbolisiert hier aber sehr gut, wo wir als Menschheit heute stehen, nämlich an einem Punkt, an dem sichtbar wird, dass wir uns selbst irgendwann einmal abschaffen werden, so hat es den Anschein. Weil wir alles rücksichtslos ausbeuten und zerstören.
„Safari“ ist in seiner Weltsicht viel universeller, als es etwa „Im Keller“ war. Noch dazu, weil die Jagd Ihnen hier auch als Metapher dient.
Sie haben recht, denn man kann das weiterdenken und eine andere Form von Ausbeutung sehen: Wenn man die Jagd verurteilt, was berechtigt ist, dann muss man auch die Massentierhaltung verurteilen. Wer ein Verbot der Jagd fordert, muss auch diese Massentierhaltung verbieten. Aber davon will niemand etwas hören, weil man ja selbst auch in den Supermarkt geht und sich das vakuumverpackte Fleisch kauft, ohne wirklich zu sehen, dass das auch ein mal ein lebendiges Wesen war, das geschlachtet wurde.
In „Safari“ dient das Töten allerdings als Touristenattraktion.
Der Jagdtourismus ist ein Wirtschaftszweig, genau wie der Tourismus an sich. Es ist ein Geschäft. Europäer zahlen einen Preis, damit sie diese Jagd geboten bekommen und ihre Zeit dort verbringen. Die Herstellung der Trophäen ist außerdem auch noch mal ein Wirtschaftszweig, denn ein Gnu, das man erlegt hat, will präpariert werden, und da gibt es je nach Tierart Preislisten, was das kostet. Das kann leicht ein paar Tausend Euro ausmachen. Da gibt es wirklich große Unternehmen, die so etwas machen und in die ganze Welt verschicken.
Noch ein Wort zur Politik: Ihr Film „Im Keller“ hat eine Befindlichkeit vorweggenommen, die heute, im Wahljahr 2016 zur Realität geworden ist. Sehen Sie das auch so?
Ich sehe das anders. Der berühmt gewordene Nazi-Keller mit dem Hitler-Bild und den darunter feiernden Männern, den hat es bei uns immer gegeben, das ist nichts Neues gewesen. Das war auch vielen Menschen bekannt, man hat halt einfach nur nicht darüber geredet. Ich glaube hingegen, dass die neue Entwicklung eine viel gefährlichere ist, weil hier die schreckliche Vergangenheit der NS-Zeit gar keine Rolle mehr spielt. Sondern man ist hier - unter ganz anderen Voraussetzungen - plötzlich bereit, von der Demokratie abzurücken.
Wäre das ein Sujet für Sie?
Für mich nicht, denn ich glaube, meine Filme sind per se alle schon sehr politisch und nehmen zu gewissen Befindlichkeiten Stellung. Ich würde aber keinen Film machen, bei dem ich von Beginn an ein politisches Thema als Grundlage installiere, sondern ich zeige eher Menschen. So habe ich es auch in „Safari“ getan.
Ihre Filme haben immer wieder Diskussionen ausgelöst. Erwarten Sie das auch für „Safari“?
Ich hoffe. Denn ich mache Filme, damit sie Diskussionen auslösen und will dem Zuschauer genug Stoff für Verstörung bieten, damit er aus dem Kino geht und sich darüber den Kopf zerbricht. Meine Filme sollen etwas bewirken, was einen nicht mehr in Ruhe lässt.
Auch in der WZ erschienen.