Bislang schwitzte man an der Croisette tagsüber, während man
Abends fror. Das ist nun vorbei, eine Kaltfront setzt das Festival seit heute
unter Wasser: Der Sturm setzte just in dem Moment ein, als David Cronenberg zum
Fototermin erschien – das ist mit Sicherheit Zufall, aber wer die Arbeiten
dieses kanadischen Großmeister des Kinos kennt, weiß, dass auch in ihnen starke
Unwetter vorkommen können, nur sind diese eben psychologischer Natur.
Robert Pattinson, Mia Wasikowska, David Cronenberg, Julianne Moore, John Cusack in Cannes (Foto: Katharina Sartena) |
Cronenbergs neuer Film „Maps to the Stars“ macht seinen
schwachen Vorgänger, das Dauergelaber „Cosmopolis“, vergessen und hat endlich wieder jene Zutaten,
die Cronenberg einst berühmt machten: Es geht stürmisch zu in diesem Film, aber
natürlich nur im Seelenleben seiner Protagonisten (famos gespielt unter anderem
von Julianne Moore, John Cusack, Robert Pattinson und Mia Wasikowska). Cronenberg
zeigt Hollywood von seiner übelsten Sorte: Schauspielerinnen, die daran
zerbrechen, wenn sie eine Rolle nicht bekommen, Therapeuten, die sich dieser
Schauspielerinnen dann annehmen müssen, Agenten, die die Preisverhandlung für
den nächsten Blockbuster führen und Unsummen verlangen, aber auch
fies-durchtriebene Kinderstars, die selbst vor Mord nicht zurückschrecken. Ein
permanentes Unwohlsein bestimmt das Leben der Protagonisten, ein permanentes
Unwohlsein aber auch das der Zuschauer. Meisterhaft, wie Cronenberg hier die
Klischees von der Traumfabrik gegeneinander ausspielt und letztlich aufhebt,
das ganze vor dem Hintergrund einer grausamen, von Riten bestimmten
Inzest-Geschichte zwischen den Kindern eines Geschwisterpaares. Was Cronenberg
in „Maps to the Stars“ gekonnt auf die Spitze treibt, ist nichts weniger als
die Essenz einer Industrie, die sich Unterhaltung auf die Fahnen geschrieben
hat, und der dafür jedes Mittel recht scheint. „Maps to the Stars“ erweist sich
jedenfalls als überaus vielschichtiges Psycho-Drama, das vor allem Julianne
Moore eine grandiose Bühne bietet: Sie gibt als von inneren Zweifeln
zerfressener Hollywoodstar eine der besten Performances ihrer Karriere. Und
vielleicht auch eine der ehrlichsten.
Mark Ruffalo mit Channing Tatum ("Foxcatcher"). Foto: Katharina Sartena |
Ein anderer Wettbewerbsbeitrag, der ausgerechnet als
Sportlerfilm beginnt, erklimmt derzeit die Bestenlisten der anwesenden
Filmkritiker: „Foxcatcher“ von „Capote“-Regisseur Bennett Miller wird allerorts
als fixer Kandidat für die Goldene Palme genannt, auch, weil er viel mehr ist, als
die Geschichte des Ringers Mark Schultz (Channing Tatum), der 1988 für die USA
eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen holen wollte, daheim aber mangels
Popularität an der Sportart keinen Sponsor fand. Dieser taucht dann in Form
eines reichen Gönners auf: Der Erbe des Chemiekonzerns du Pont (ganz ernst
gespielt von Komiker Steve Carell) finanziert Schultz‘ Training, doch
„Foxcatcher“ ist keiner dieser Filme, die den amerikanischen Traum beschwören,
in dem jeder erreichen kann, was er will, solange er dafür nur genug schuftet. „Foxcatcher“
fokussiert nämlich bald auf den Förderer du Pont, der nicht nur ein unsicheres
Auftreten hat, sondern auch unter einem Mutterkomplex leidet (seine Mutter
spielt Vanessa Redgrave). Außerdem ist du Pont schwul, ein No-Go in der
Sportlerszene der damaligen Zeit. „Foxcatcher“ entspinnt sich alsbald zu einem
menschlichen Drama, das zwar vor der Sportlerkulisse spielt, von ihr losgelöst
aber universelle Konflikte verhandelt, die Miller mit großer Stilsicherheit
inszeniert.
Cronenberg und Miller zeigen, dass hinter den jeweiligen
plakativen Sujets ihrer Geschichten (Hollywood und die Sportwelt) durchwegs
tief- und abgründige Geschichten liegen, die es zu erzählen lohnt.
Vorausgesetzt, man beherrscht die Kunst, im Kino ein Unwetter zu entfachen.
Matthias Greuling, Cannes
Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen
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