Mittwoch, 28. Mai 2014

Cannes: Vorstellung der Mutlosen

Eigentlich hätte es der Abend von Xavier Dolan werden müssen. Der frankokanadische Regisseur, der gerade einmal 25 Jahre alt ist und hier im Wettbewerb mit seinem furiosen Mutter-Sohn-Stück „Mommy“ alle aufrüttelte, hatte schon am roten Teppich vor dem Palais des Festivals publikumswirksam Tränen vergossen, überwältigt vom Zuspruch für sein Werk. Die Tatsache, dass man ihn zur Preisverleihung einlud, konnte eigentlich nur heißen, dass er hier zu den großen Gewinnern zählen würde.
Nuri Bilge Ceylan ist der große Sieger in Cannes (Foto: Katharina Sartena)
Dass Dolan dann doch „nur“ den dritten Preis, den Prix du Jury, aus den Händen von Jury-Präsidentin Jane Campion erhielt, ist eine herbe Enttäuschung. Besonders, weil er ihn mit dem 83-jährigen Regie-Übermenschen Jean-Luc Godard teilen musste, dessen erster Filmessay in 3D, „Adieu au langage“, ebenfalls im Wettbewerb lief. Godard kam nicht nach Cannes, das ließ Dolan dann viel Raum, sich in einer emotionalen, flammenden Rede für die junge Generation an Filmemachern stark zu machen.
Es hätte eigentlich nichts anderes als die Goldene Palme sein dürfen für Dolan. Doch die Palme ging an den türkischen Regisseur Nuri Bilge Ceylan für dessen langsam erzähltes Drama „Winter Sleep“, das ausgiebig in uriger Landschaft schwelgt. Ceylan sei „überfällig“ gewesen für den Preis, und das ist offenbar manchmal Kriterium genug. Auch Haneke bekam seine erste Palme nicht für seinen besten Film „Caché“ (2005), sondern für „Das weiße Band“ (2009).
Wer aber ist dieser Xavier Dolan? Wie kann der Drittplatzierte es schaffen, trotzdem wie der große Sieger dazustehen (Beispiele aus der Politik gibt es hierfür ja genug)? Um die Stimmung bei diesen 67. Filmfestspielen von Cannes zu verstehen, muss man Dolan verstehen.
Sein Charisma ist ausschlaggebend: Ein junger rotziger Hipster aus Quebec, der zwischen jedem Interview seine bunten Designer-Hemden wechselt und der ungestüme, wilde Filme macht. „Mommy“ ist schon sein fünfter Spielfilm, weil er gerne betont: „Ich weiß nicht, wieviel Lebenszeit mir bleibt, also muss ich hier und jetzt kreativ sein“. Seine Homosexualität war Thema seines Debüts „Ich habe meine Mutter getötet“ (2009), seine Filme verhandeln stets sehr persönliche Themen. Mit „Mommy“ hat er nun den  ästhetisch wie erzählerischen Höhepunkt seiner jungen Karriere erreicht.
„Mommy“ ist ein mit viel Verve zugespitzter hysterisch-knalliger Reigen von Eklats: Zwischen seinen beiden Hauptfiguren herrscht Dauerkrieg: Der an ADHS leidende 15-jährige Steve (Antoine-Olivier Pilon) wird aus dem Internat zurück in die Obhut seiner durchgeknallten Mutter (grandios: Anne Dorval) gegeben; schon beim Einzug ins gemeinsame Zuhause fliegen die Fetzen. Die kraftvollen Bilder in quadratischem Bildformat, die Dolan für dieses Beziehungsdrama findet, verunmöglichen jede Beschreibung: Sie sind eine Wucht, weil sie die Essenz von Emotionen wiedergeben. Wer kann das sonst noch?
Bis zu dem Zeitpunkt, als „Mommy“ in Cannes lief, entpuppte sich die 67. Ausgabe als schnarchfades Sammelsurium von Altherren-Kino: Neue Arbeiten von Ken Loach („Jimmy’s Hall“) und Mike Leigh („Mr. Turner“, Darstellerpreis für Timothy Spall als Maler William Turner)  waren zwar anständig gemacht, Innovation sieht aber anders aus. Julianne Moore glänzte hingegen in David Cronenbergs immerhin mystisch-abgründigem „Maps to the Stars“ und erhielt den Preis als beste Schauspielerin. Fragwürdig hingegen die Prämierung von Bennett Miller als bester Regisseur für „Foxcatcher“. Da zumindest wäre Dolan besser aufgehoben gewesen, wenn es schon nicht für die Palme reichte.
In Cannes geht man inzwischen gerne auf Nummer Sicher, zeigt die neuen Filme der eigenen Zöglinge, auch wenn sie bloß durchschnittlich sind. Selbst Godards filmische Phantasien sind schon im Vorfeld Gewohnheit, auch wenn niemand ihren Inhalt versteht. Einzig die Dardenne-Brüder (die schon zwei Palmen haben), legten mit „Deux jours, une nuit“ ein von Marion Cotillard famos interpretiertes Drama rund um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise vor. Der Film ging überraschend gänzlich leer aus.
Ebenfalls überraschend: Der „Grand Prix du Jury“ für die italienische Produktion „La Meraviglie“ von Alice Rohrwacher. Dieser Film erzählt von einer kauzigen Familie, die in der Provinz Honig macht und deren Vater sich anfangs weigert, bei einem von Monica Bellucci angepriesenen Wettbewerb für lokale Agrarprodukte mitzumachen. Rohrwachers autobiografische Arbeit ist nicht ohne Fehler, sie feiert geradezu das Imperfekte: Sie drehte auf Film, weil das eine ganz eigene Textur ergibt, die in der digitalen Kinowelt längst verschwunden ist. „La Meraviglie“  will ein  „handgemachter“ Film sein, einer, der mindestens ebenso gut schmeckt, wie der handgemachte Honig seiner Protagonisten.

Bleibt noch Dolan. Der hat sich sichtlich bemüht, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Am Tag vor der Verleihung hat er im Interview noch lauthals verkündet, er würde die Goldene Palme verdienen. Auch als Signal an eine junge Generation von Filmschaffenden. Die alten Herren in Cannes sahen das schon bei der Programmierung des Wettbewerbs eindeutig anders. Das ist schade, denn Dolan hat Recht. Doch er wird wiederkommen, wenn es seine Lebenszeit erlaubt.

Matthias Greuling, Cannes

Dieser Beitrag ist auch in der Furche erschienen.

Donnerstag, 22. Mai 2014

Xavier Dolan könnte mit "Mommy" die Palme holen

"Mommy" von Xavier Dolan. (Foto: Festival de Cannes)
Cannes hat einen neuen Stern am Himmel: Der kanadische Jung-Regisseur Xavier Dolan ist gerade erst 25 Jahre alt, und doch schon ein „alter Hase“ im Filmgeschäft: Seit gut sechs, sieben Jahren dreht er Filme, mit schöner Regelmäßigkeit, aber immer in jugendlich ungestümer Weise. Jetzt steht er mit „Mommy“ im Wettbewerb um die Goldene Palme, und nicht wenige sehen in ihm den sicheren Sieger dieser bislang von den Alt-Stars des Weltkinos beherrschten Szenerie: Dolan hat sein Mutter-Sohn-Drama gekonnt und mit viel Verve zugespitzt auf einen hysterisch-knalligen Reigen von Eklats: Zwischen seinen beiden Hauptfiguren herrscht sozusagen Dauerkrieg: Der an ADHS leidende 15-jährige Steve (Antoine-Olivier Pilon) wird aus dem Internat zurück in die Obhut seiner durchaus als durchgeknallt zu bezeichnenden Mutter (grandios: Anne Dorval) gegeben; die will es dem Jüngling nicht leicht machen, und schon beim Einzug ins gemeinsame Zuhause fliegen die Fetzen. Zu einer stotternden Nachbarin (Suzanne Clément) entsteht ein wechselseitiges Verhältnis, das allen nützt: Steve wird ein Stück zugänglicher, die Nachbarin bringt bald auch ganze Sätze ohne Stottern heraus. Die kraftvollen Bilder, die Dolan für dieses Beziehungsdrama findet, verunmöglichen jede Beschreibung: Sie sind eine Wucht, weil sie die Essenz von Emotionen wiedergeben. Wer kann das sonst noch?
Dolan ist einer der jungen Wilden des Weltkinos. Ihn kümmern keine Konventionen, denn die zwischenmenschlichen Barrieren im Umgang miteinander löst er in „Mommy“ vollständig auf. Alles muss schnell, ungestüm, roh und furios passieren, immer am Limit, immer an der äußerten vorstellbaren Grenze. Dem entgegen setzt Dolan in „Mommy“  ein eng begrenztes Bildformat von 1,25:1, das entspricht 5:4 (das alte TV hatte 4:3). Das Bild ist mehr hoch als breit, nur stellenweise weitet es sich auf volle die Breite, und zwar dann, wenn Steve endlich auch einmal in seinem Leben Freude empfindet; ein simpler visueller Trick zwar, aber er ist effektiv.
Xavier Dolan hat ein hohes Tempo im Erzählen, ebenso wie in der Zeitspanne, in der er neue Filme dreht. Dolan erinnert nicht nur deshalb an Fassbinder, der seine kurze Lebenszeit mit sehr vielen Filmen füllte. Dolan vergleicht das Filmemachen mit einer Droge: „Man will immer mehr davon. Ich weiß nicht, wieviel Lebenszeit ich haben werde, also will ich jetzt und hier kreativ sein“. 

Die Szenen zwischen Steve und seiner Mutter sind jedenfalls von solcher Energie und Intensität, dass sie keine Entsprechung im neueren Kino finden. Man kann, aber man muss diesen Film nicht mögen, um ihm zu attestieren, dass er wohl die bislang größte Berechtigung unter allen Mitbewerbern hat, sich heuer mit der Goldenen Palme zu schmücken. Dolan selbst würde das als Signal werten: „Es wäre eine Auszeichnung für die Jungen und für ihren Weg, mit Filmen Geschichten zu erzählen.“

Matthias Greuling, Cannes

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Alte Herren bilden Legenden: Cannes feiert seine Ikonen

Sophia Loren unter Fotografen in Cannes (Foto: Katharina Sartena)
Es ist die Woche der Kinolegenden in Cannes: Die glänzenden Namen der Vergangenheit lässt man hier an der Croisette gerne aufleben, zumal viele von ihnen letztlich für den Ruf dieses weltbekannten Festivals mitverantwortlich sind.
Da ist zum einen Marcello Mastroianni, der vom diesjährigen Festivalplakat herunterlächelt und so wie ein Patron über die 67. Ausgabe der Festspiele wacht. Dann sind da die betagten Legenden wie etwa Sophia Loren, die vom Festival als Ehrengast eingeladen wurde und hier eine Lecture über die großen Tage des Kinos hielt. Die Loren wird im September 80, zeigte sich aber in jugendlicher Vergnügtheit am roten Teppich. Für die Fotografen hatte sich die Loren sogar den Spaß gemacht, sich selbst in deren Mitte fotografieren zu lassen.
Nicht minder gut gelaunt gab sich Cathérine Deneuve, ebenfalls schon 70, aber niemals arbeitsmüde: Sie kam zur Premiere des außer Konkurrenz laufenden neuen Films von André Téchiné, der bei der Kritik (zurecht) durchfiel. Deneuve nahm’s gelassen und zündete sich beim Fototermin partout eine Zigarette an.
Auch Gérard Depardieu gehört zur alten Garde der Kinogrößen: Er spielt in Abel Ferraras neuem Film „Welcome to New York“ die Hauptrolle, der sich um einen Sex-Skandal, angelehnt an den Fall Dominique Strauss-Kahn, dreht. Der Film wurde nicht nach Cannes eingeladen, und so organisierten die Produzenten kurzerhand selbst ein Screening in einem der Kinos der Stadt. Der Film kommt auch nicht in die Kinos, sondern wurde von Ferrara zum Gratis-Download ins Netz gestellt. Über den offiziellen roten Teppich ging Depardieu dann trotzdem, auch, weil er eine Art französisches Nationalheiligtum ist.
Und dann ist da nicht zuletzt „Nouvelle Vague“-Legende Jean-Luc Godard, dessen neuer Film-Essay „Adieu au langage“ (sein erster in 3D) im Wettbewerb läuft. Allein: Von Godard gibt es in diesem Jahr keine Fotos, denn der 83-jährige Wahlschweizer ist erst gar nicht nach Cannes gereist, sondern schickte nur seine Schauspieler. Jemand wie er setzt sich dem Gekreische einfach nicht mehr aus.
Vielleicht ist Godards Fernbleiben gar nicht so schlecht für das Festival, und auch ein Zeichen. Schließlich hat man mehr und mehr das Gefühl,  es regiere hier ein elitärer Altherren-Club, der die immer gleichen Regisseure einlädt (Ken Loach, Mike Leigh, David Cronenberg, etc.) und sich mehr u
Catherine Deneuve raucht gern. (Foto: Katharina Sartena)

nd mehr selbst zu feiern scheint. Die Essenz von Cannes ist da schnell nur mehr noch seine eigene Reproduktion, wenn man nicht bald mehr auf junge Impulse im Wettbewerb setzt.

Jane Campion, bislang die einzige Frau, die eine Goldene Palme gewann, hätte mit ihrer Jury am Samstag die Möglichkeit, das Bild von Cannes als führendes, innovatives Filmfestival wieder zurecht zu rücken, indem sie die Preise entsprechend vergibt. Naomi Kawases Film „Futatsume no mado“ aus Japan wäre ein Kandidat (und die zweite Palme für eine Frau), aber an den Schwergewichten der traditionsbewussten Auswahl wird schwer vorbeizukommen sein: Die Dardenne-Brüder liegen gut im Rennen, aber auch der Türke Nuri Bilge Ceylan. Sie sind auch nicht mehr die jüngsten, aber immerhin haben ihre Arbeiten Qualität und nicht den Charakter eines filmischen Museums. 

Matthias Greuling, Cannes

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Dienstag, 20. Mai 2014

Die Dardenne-Brüder sind in Cannes auf Palmen-Kurs

Mit „Deux jours, une nuit“ könnten die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne die Goldene Palme holen – zum bereits dritten Mal. Maßgeblich daran beteiligt: Hauptdarstellerin Marion Cotillard.

Marion Cotillard (Foto: Katharina Sartena)


Cannes-Festivalchef Thierry Frémaux hat „Deux jours, une nuit“ von den Brüdern Jean-Pierre und Luc Dardenne als „belgischen Western“ bezeichnet, und das, obwohl die Dardenne-Brüder sich sonst nicht gerade durch spektakuläre Showdowns auszeichnen, sondern eher durch stilles, vielschichtiges Kino über die sozialen Verhältnisse ihrer Filmfiguren. Dieser feinfühlige Umgang mit komplexen Lebensverhältnissen hat den Dardennes bereits zwei Mal die Goldene Palme eingebracht (für „Rosetta“ und „The Child“).
Diesmal ist Marion Cotillard die Hauptfigur im neuen Dardenne-Drama: Sie spielt eine Frau aus der Arbeiterklasse, die nur ein Wochenende Zeit hat, um für den Erhalt ihres Jobs zu kämpfen. Gemeinsam mit ihrem Mann zieht sie umher, um ihre Chefs davon zu überzeugen, auf ihre Boni zu verzichten; nur so würde ihr Arbeitsplatz weiter bestehen. Die Dardenne-Brüder beschäftigen sich mit „Deux jours, une nuit“ mit der Wirtschaftskrise, die Europa in den letzten Jahren fest im Griff hatte, und mit den Auswirkungen der Krise auf die Menschen. Sie legen ein hochqualitatives Drama voller Intensität vor, das famos gespielt ist. Durchaus ein Kandidat für die Goldene Palme.

„Die Krise hat die Solidarität unter den Menschen nicht gesteigert. Solidarität muss aufgebaut werden, sie entsteht nicht von selbst“, sagte Luc Dardenne in Cannes. „Solidarität ist eine moralische Entscheidung. Wie man in unserem Film sieht, gibt es doch noch Menschen, die diese Entscheidung im Sinne ihrer Mitmenschen treffen“.
Marion Cotillard in Cannes. (Foto: Katharina Sartena)
Für Marion Cotillard ist es die erste Zusammenarbeit mit den Dardenne-Brüdern. „Sie verlangen einem viel ab, aber es lohnt sich“, sagt Cotillard. „In ihren Filmen gibt es so viel Wahrheitsgehalt, so viel Realismus und so viele Überraschungen“. Cotillards Figur in „Deux jours, une nuit“ ist einmal mehr eine Frau, die es im Leben nicht leicht hat. Schon öfter hat Cotillard solche Frauenrollen gespielt, zuletzt etwa in „Rust & Bones“ als beinamputierte Waltrainerin. „Ich liebe komplexe Figuren“, sagt sie. „Ich sehe, wie diese Frauen um ihr Überleben kämpfen und dabei Dinge an sich entdecken, von denen sie gar nicht wussten, dass es sie gibt. Mich berühren Menschen, die trotz widriger Umstände ihr Leben meistern. Das lehrt mich viel über das Menschsein“.
Für Cotillard ist der Schlüssel zur Arbeit mit den Dardennes die sorgfältige Vorbereitung gewesen; „Nichts an diesem Film wurde improvisiert, hier wurde alles genau geplant“, sagt Cotillard. „Das ist überhaupt die Voraussetzung dafür, wenn man wahrhaftiges Kino machen will“.
Jean-Pierre und Luc Dardenne küssen ihren Star. (Foto: Katharina Sartena)
Dass Cotillard mit ihren 38 Jahren nicht nur zu Frankreichs größten Filmstars gehört, sondern nebenbei auch für ihre Schönheit gepriesen wird, ist für sie kein Nachteil, wie sie betont: „Schönheit und Sozialrealismus sind kein Widerspruch im Kino, finde ich. Ich bin außerdem wandelbar: Ich kann auf der Leinwand schön sein, aber auch hässlich. Wandelbarkeit ist in meinem Job kein Nachteil“.

Diese Wandelbarkeit möchte Cotillard in Hinkunft gerne noch intensivieren: „Ich möchte gerne endlich mal in einem Actionfilm mitspielen“, sagte sie. Und: „Mich fasziniert schon lange die Idee, einmal einen Mann zu spielen. Das wäre sicher aufregend“.

Matthias Greuling, Cannes

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Cronenberg & Bennet in Cannes: Im Kino scheint nicht nur die Sonne

Bislang schwitzte man an der Croisette tagsüber, während man Abends fror. Das ist nun vorbei, eine Kaltfront setzt das Festival seit heute unter Wasser: Der Sturm setzte just in dem Moment ein, als David Cronenberg zum Fototermin erschien – das ist mit Sicherheit Zufall, aber wer die Arbeiten dieses kanadischen Großmeister des Kinos kennt, weiß, dass auch in ihnen starke Unwetter vorkommen können, nur sind diese eben psychologischer Natur.
Robert Pattinson, Mia Wasikowska, David Cronenberg, Julianne Moore,
John Cusack in Cannes (Foto: Katharina Sartena)
Cronenbergs neuer Film „Maps to the Stars“ macht seinen schwachen Vorgänger, das Dauergelaber „Cosmopolis“,  vergessen und hat endlich wieder jene Zutaten, die Cronenberg einst berühmt machten: Es geht stürmisch zu in diesem Film, aber natürlich nur im Seelenleben seiner Protagonisten (famos gespielt unter anderem von Julianne Moore, John Cusack, Robert Pattinson und Mia Wasikowska). Cronenberg zeigt Hollywood von seiner übelsten Sorte: Schauspielerinnen, die daran zerbrechen, wenn sie eine Rolle nicht bekommen, Therapeuten, die sich dieser Schauspielerinnen dann annehmen müssen, Agenten, die die Preisverhandlung für den nächsten Blockbuster führen und Unsummen verlangen, aber auch fies-durchtriebene Kinderstars, die selbst vor Mord nicht zurückschrecken. Ein permanentes Unwohlsein bestimmt das Leben der Protagonisten, ein permanentes Unwohlsein aber auch das der Zuschauer. Meisterhaft, wie Cronenberg hier die Klischees von der Traumfabrik gegeneinander ausspielt und letztlich aufhebt, das ganze vor dem Hintergrund einer grausamen, von Riten bestimmten Inzest-Geschichte zwischen den Kindern eines Geschwisterpaares. Was Cronenberg in „Maps to the Stars“ gekonnt auf die Spitze treibt, ist nichts weniger als die Essenz einer Industrie, die sich Unterhaltung auf die Fahnen geschrieben hat, und der dafür jedes Mittel recht scheint. „Maps to the Stars“ erweist sich jedenfalls als überaus vielschichtiges Psycho-Drama, das vor allem Julianne Moore eine grandiose Bühne bietet: Sie gibt als von inneren Zweifeln zerfressener Hollywoodstar eine der besten Performances ihrer Karriere. Und vielleicht auch eine der ehrlichsten.
Mark Ruffalo mit Channing Tatum ("Foxcatcher"). Foto: Katharina Sartena
Ein anderer Wettbewerbsbeitrag, der ausgerechnet als Sportlerfilm beginnt, erklimmt derzeit die Bestenlisten der anwesenden Filmkritiker: „Foxcatcher“ von „Capote“-Regisseur Bennett Miller wird allerorts als fixer Kandidat für die Goldene Palme genannt, auch, weil er viel mehr ist, als die Geschichte des Ringers Mark Schultz (Channing Tatum), der 1988 für die USA eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen holen wollte, daheim aber mangels Popularität an der Sportart keinen Sponsor fand. Dieser taucht dann in Form eines reichen Gönners auf: Der Erbe des Chemiekonzerns du Pont (ganz ernst gespielt von Komiker Steve Carell) finanziert Schultz‘ Training, doch „Foxcatcher“ ist keiner dieser Filme, die den amerikanischen Traum beschwören, in dem jeder erreichen kann, was er will, solange er dafür nur genug schuftet. „Foxcatcher“ fokussiert nämlich bald auf den Förderer du Pont, der nicht nur ein unsicheres Auftreten hat, sondern auch unter einem Mutterkomplex leidet (seine Mutter spielt Vanessa Redgrave). Außerdem ist du Pont schwul, ein No-Go in der Sportlerszene der damaligen Zeit. „Foxcatcher“ entspinnt sich alsbald zu einem menschlichen Drama, das zwar vor der Sportlerkulisse spielt, von ihr losgelöst aber universelle Konflikte verhandelt, die Miller mit großer Stilsicherheit inszeniert.
Cronenberg und Miller zeigen, dass hinter den jeweiligen plakativen Sujets ihrer Geschichten (Hollywood und die Sportwelt) durchwegs tief- und abgründige Geschichten liegen, die es zu erzählen lohnt. Vorausgesetzt, man beherrscht die Kunst, im Kino ein Unwetter zu entfachen.


Matthias Greuling, Cannes

Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen

Montag, 19. Mai 2014

Expendables 3: Stallone, Schwarzenegger & Co. rollen mit Panzern nach Cannes

Sylvester Stallone, Mel Gibson, Antonio Banderas (Foto: Katharina Sartena)
Cannes ist ja bekannt dafür, außerhalb des Filmfestivals eine Hochburg von eher betagten Touristen zu sein. Dass nun aber auch das Filmfestival den Altersschnitt gehörig angehoben hat, liegt zuallererst an den am Wochenende anwesenden Stargästen: Die alte Garde von Action-Stars – von Sylvester Stallone bis Arnold Schwarzenegger – gaben sich am roten Teppich an der Croisette die Ehre. Der Grund war ein Promotion-Auftritt für den im Sommer anlaufenden Action-Film „The Expendables 3“ – mit dieser Filmreihe hat Franchise-Mastermind Stallone bereits zweimal Kapital aus gegerbter alter Lederhaut geschlagen, indem er eine Reihe illustrer Alt-Stars vor seiner Kamera versammelte. Inklusive himself, versteht sich.
Diesmal also Teil 3, und Cannes dient der betagten Crew als bevorzugte Launching-Plattform für ihre filmischen Altherren-Späße. An der Croisette rollten sogar Panzer auf, die die Herrschaften zu einer großen Menge Schaulustiger vor das Carlton Hotel eskortierten.  Und so waren neben Stallone auch Arnold Schwarzenegger, Dolph Lundgren, Harrison Ford, Wesley Snipes, Antonio Banderas, Jason Statham und Mel Gibson in Cannes zu Gast und rührten kräftig die Werbetrommel für den Film, der im August 2014 auch in Österreich in die Kinos kommen wird.
Dass man in Cannes dafür sogar Panzer aufrollen ließ, um den Action-Kracher zu präsentieren, mag den einen oder anderen Kriegsgegner mit Feinfühligkeit für die derzeitige europaweite Besorgnis nachdenklich stimmen, aber für einen guten PR-Gag sind sich die Amerikaner eben nie zu schade.
Stallone und Co. (aber nicht Schwarzenegger, der sofort nach dem PR-Termin zu Dreharbeiten abreiste) tauchten dann auch überraschend bei der Gala-Premiere zu Tommy Lee Jones Wettbewerbsbeitrag „The Homesman“ auf – und zwar erst nach Jones und seiner Crew (das Premieren-Filmteam trifft traditionell eigentlich erst als letztes am roten Teppich auf, ehe der Film beginnt).

Für das Festival von Cannes, das in diesem Jahr mit dem bislang schwächsten Wettbewerb sein vielen Jahren aufwartet, ist die Publicity der „Expendables“ zumindest ein kurzfristiger Schub an Medienaufmerksamkeit. Schlagzeilen allein machen aber noch keine Relevanz.
Matthias Greuling, Cannes

Sonntag, 18. Mai 2014

Cannes: Tommy Lee Jones und Hilary Swank im Western-Fieber / The Homesman

Grimmig schauen kann er wirklich gut. Tommy Lee Jones hat seinen Gesichtsausdruck sogar zu seinem Markenzeichen gemacht. Was also läge näher, als gealterter Outlaw in einem Western die Hauptrolle zu spielen? Viel Mimik braucht es dafür nicht.
Tommy Lee Jones hat mit „The Homesman“ seine zweite Regiearbeit fürs Kino mit nach Cannes gebracht, nachdem er hier bereits 2005 mit „The Three Burials of Melquiades Estrada“ für Aufsehen sorgte: Sein damaliges Regiedebüt strotzte vor frischen Ideen und ungewöhnlichen Zugängen – was die Erwartungen für „The Homesman“ zusätzlich in die Höhe trieb.
Tommy Lee Jones mit Hilary Swank (Foto: Katharina Sartena)



Als Outlaw George Briggs trifft Jones in „The Homesman“ 1850 auf die alleinstehende Siedlerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), die mit seiner Hilfe drei verrückt gewordene Frauen quer durchs Land in ein Sanatorium bringen will. Die Unwegsamkeiten unterwegs sind vorprogrammiert. Die Story basiert auf dem Roman von Glendon Swarthout, der durchaus Western-Erfahrung hat: Er schrieb auch die Vorlage zu John Waynes letztem Film „The Shootist“ (1976). 
Tommy Lee Jones in Cannes (Foto: Katharina Sartena)
Die Tatsache, dass Luc Besson bei „The Homesman“ als Produzent fungierte, ist ein Zeichen für Zugänglichkeit: Und so löst Jones dieses Versprechen in Personalunion von Autor, Regisseur und Hauptdarsteller sichtlich genussvoll ein: Jones weiß um sein Talent, in kraftvollen Szenen die Handlung voranzutreiben und gönnt sich auch die eine oder andere (gar nicht eitle) Großaufnahme. Der Western changiert zwischen dem genreüblichen Gewaltpotenzial und Elementen der schwarzen Komödie, kommt aber auch nicht ganz ohne Gefühl daher: Der Mix ist Tommy Lee Jones beinahe schon superb geglückt. „The Homesman“ rückt den 67-jährigen Oscar-Preisträger Tommy Lee Jones in Cannes durchaus in die Nähe eines Preises.
Das Filmteam in Cannes (Foto: Katharina Sartena)
„Es ist ein Film über die Anfänge der Vereinigten Staaten. Und da haben sie ausgerechnet einen französischen Produzenten dafür gebucht“, sagte ein heiterer Luc Besson vor der Presse in Cannes.  „Der Film zeigt ein Amerika, das wir so nicht kennen. Alles ist sehr exotisch. Fast wie in einem Kurosawa-Film“.  Jones recherchierte für den Look seines Films hauptsächlich in altem Bildmaterial aus der Zeit um 1850. „Wir sahen uns alte Fotografien an, und forschten nach, wie man damals mit Geisteskrankheiten umging. Zum Beispiel verabreichte man Schizophrenen Eiswasser als Therapie“, erzählt Tommy Lee Jones, der gar nicht einmal so sicher ist, ob „The Homesman“ als waschechter Western durchgeht: „Wir wollten einfach den bestmöglichen Film machen. Wir haben nicht viel über das Genre nachgedacht, sondern wollten einen Film drehen, der von der Geschichte der USA erzählt, und zwar aus einem sehr persönlichen Blickwinkel“.

Dass man bei einem Western nicht umhin kommt, aus anderen Vorbildern des Genres zu zitieren, weiß Regisseur Jones natürlich. „Aber Norman Mailer hat einmal gesagt: Gute Künstler versuchen zu kopieren, geniale Künstler versuchen zu stehlen. Ich versuche zu stehlen.“
Matthias Greuling, Cannes

Cannes: Jessica Hausners Meisterstück AMOUR FOU

Jessica Hausner hat einen Film über die Liebe gedreht, aber es ist keine naive Schwärmerei über romantische Gedanken oder gar eine von Lust und Leidenschaft getragene "Amour Fou", wie der gleichlautende Filmtitel suggerieren könnte.

Jessica Hausner (Mitte) in Cannes. Foto: Katharina Sartena
Vielmehr befasst sich Hausner in "Amour Fou" mit dem eigentlichen Wortsinn dieses Ausdrucks: "Es geht darum, dass die Liebe verrückt ist. Dass man selbst von sich überrascht wird, wenn man in den unterschiedlichen Phasen seines Lebens an die wahre, ewige Liebe glaubt, die sich dann am Ende als Trugschluss herausstellt", sagt Hausner im Gespräch in Cannes.

Hausner erzählt von den letzten Wochen im Leben des Dichters Heinrich von Kleist, der 1811 im Alter von 34 Jahren Mord und Selbstmord beging, indem er die vermeintlich todkranke Henriette Vogel erschoss und anschließend sich selbst. Kleist, der in seinen adeligen Kreisen stets als Außenseiter galt, weil er weder mit einer politischen, noch einer militärischen Laufbahn Erfolg hatte, sondern sich als Dichter versuchte, begibt sich auf die Suche nach einer Frau, die bereit wäre, in bedingungsloser Liebe zu ihm mit ihm gemeinsam zu sterben; eine absurd klingende Versuchsanordnung, die sich Kleist hier unterzieht, zumal die von ihm gefragten Damen allesamt an der psychischen Normalität ihres Gegenübers zu zweifeln beginnen.

Erst als bei Henriette Vogel ein todbringendes Geschwür festgestellt wird, entschließt sie sich, Kleists Ruf zum Selbstmord zu folgen – was wiederum diesem nicht recht scheint, weil die Motivation zum Sterben doch eher aus der unbedingten Liebe zu ihm komme müsse, nicht aus einer Krankheit.

"Ich hatte schon vor zehn Jahren die Idee zu einem Film, in dem ein Paar aus Liebe Doppelselbstmord beging. Doch erst als ich auf Kleists Geschichte stieß, schien mir die Idee schlüssig", sagt Hausner. "Ich fand es sehr grotesk, dass Kleist einfach mehrere Frauen gefagt hatte, ob sie sich mit ihm umbringen wollen. Das war seine romantische, völlig übertriebene Idee, die letztlich banal und auch lächerlich erscheint".

Hausner hat für "Amour Fou", der in Cannes in der Reihe "Un certain regard" nun seine Weltpremiere feierte, ein sehr streng durchkomponiertes filmisches Konzept entwickelt, innerhalb dessen sich die Handlung durchwegs in eine komische Richtung entwickeln kann. Nicht umsonst nennt Hausner den Film eine "romantische Komödie". Mit der präzisen Kamera von Martin Gschlacht legt Hausner nicht nur die Sitten und Umgangsformen der damaligen Zeit offen, sondern transportiert in dieser Strenge auch die Beziehungsgeflechte der Personen zueinander: Niemand hier wird zu emotional, außer in seinem sprachlichen Ausdruck. Die Poesie findet in den Worten statt, in den Taten aber kaum. Wunderbar feinsinnig spürt Hausner dem Bedürfnis nach Liebe nach, das sich zu keiner Zeit gewandelt hat; nur die Ausdrucksform dieses Bedürfnisses ist mit der Zeit gegangen.

Zugleich ist "Amour Fou" ein detailliert recherchiertes, liebevoll ausgestattetes Bildnis einer Bevölkerungsschicht, die ihr Selbstverständnis daraus bezog, die "herrschende Klasse" zu sein: Die Aufweichung dieses Anspruchs durch neue Steuern, die erstmals auch den Adel treffen sollten, bildet den gesellschaftspolitischen Hintergrund des Films.

Die große Ruhe, mit der Hausner ihren Film inszeniert, findet nicht nur Ausdruck in den zahllosen elegant geführten Konversationen, sondern auch in den allgegenwärtigen Lieder- und Musikabenden, die zu den beliebtesten Unterhaltungen der damaligen Zeit gehörten. Die optische Strenge des Films korrespondiert hier perfekt mit dem Gefühl der Protagonisten, in ihrer biedermeierartigen Zurückgezogenheit gefangen zu sein.


"Amour Fou" ist Hausners bislang klügste, durchdachteste Arbeit; ein Film über das romantische Konzept von der Liebe, und wie es scheitert. Man hätte diesen Film durchaus gerne auch im Wettbewerb um die Goldene Palme gesehen.

Matthias Greuling, Cannes

Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Nicole Kidman eröffnet Cannes 2014 mit GRACE OF MONACO

Tim Roth mit Nicole Kidman (Foto: Katharina Sartena)
Nicole Kidman bewies in Cannes, dass sie zu den ganz Großen des Hollywood-Geschäfts gehört: Das sieht man daran, dass man in dieser Liga zu absoluter Perfektion tendiert, zumindest vom Anspruch her. Und so sieht die 46-jährige Australierin beim Fototermin natürlich blendend aus – ein bisschen Botox war da womöglich schon im Spiel, jedenfalls aber ein guter Make-up-Artist. Doch es ist nur ein schmaler Grat von der Perfektion zur fratzenhaften Lachnummer – die kann Kidman (noch) gekonnt umschiffen. Es ist nicht leicht für Hollywood-Diven, zu altern. Denn ihre Schönheit ist ihr Geschäftsmodell.

Kidman aber geht damit recht salopp um. Immerhin spielt sie in dem Cannes-Eröffnungsfilm „Gracce of Monaco“ niemand geringeren als die einstige Fürstin von Monaco, Grazia Patrizia. Die hieß im bürgerlichen Leben Grace Kelly und war einer der größten Filmstars ihrer Zeit, bevor sie  Fürst Rainier heiratete, um ihren Wunsch nach einer Familie zu stillen. Dass sie in Monte Carlo nicht immer glücklich war, zeigt nun dieser Film von Olivier Dahan. Allein, dass die Kidman mit 46 Jahren Grace Kelly spielt, als diese 33 war, zeugt vom großen Selbstbewusstsein, dass man in dieser umkämpften Branche haben muss. Kidman hat es. Mit Recht.
Nicole Kidman in Cannes (Foto: Katharina Sartena)

Um den Film gab es im Vorfeld viele Negativ-Schlagzeilen: Harvey Weinstein wollte den Film partout nicht in den USA herausbringen, weil er mit dem Schnitt nicht einverstanden war. Das hat sich mittlerweile erledigt; er und Dahan haben sich doch noch geeinigt. Weniger friedlich fiel das Urteil der monegassischen Fürstenfamilie aus, die „Grace of Monaco“ ablehnt, weil der Film „historisch ungenau“ sei. Der Fürst und seine Familie blieben der Cannes-Premiere deshalb demonstrativ fern.

„Ich finde das sehr schade“, sagte Nicole Kidman in Cannes. „Denn der Film greift Grace und die Familie nicht an. Er ist fiktionalisiert worden, klar. Aber wenn sie den Film sehen würden, würden sie begreifen, dass wir darin nur in großer Liebe und Bewunderung für Grace Kelly schwelgen“.

Für Kidman war es ein Novum, „als Hollywood-Star einen anderen Hollywood-Star zu spielen. Es gab schon viele Rollen, in denen ich eine tatsächlich lebende Person dargestellt habe“, sagt Kidman. „Aber noch nie einen Star und noch nie eine Prinzessin“. Sechs Monate lang habe Kidman für die Rolle alle Filme von Grace Kelly studiert, vor allem jene drei, die sie mit Alfred Hitchcock drehte: „Bei Anruf Mord“ (1954), „Das Fenster zum Hof“ (1955) und „Über den Dächern von Nizza“ (1956). „‘Das Fenster zum Hof‘ ist mein absoluter Lieblingsfilm mit Grace“, erzählt Kidman.

Hitchcocks Filme definieren darob auch den visuellen Stil des Films, bestätigt Regisseur Olivier Dahan. „Der Film ist kein Bio-Pic, sondern ein Porträt. Und zugleich auch ein Film über das Kino selbst, denn ich erzähle über eine leidenschaftliche Schauspielerin“, so Dahan. „Der Film sollte komplex und zugänglich zugleich sein“. Ein Spagat, der leider nicht wirklich gelang – zu schleppend inszeniert, zu wenig spürbare Leidenschaft für seine Hauptfigur.
Nicole Kidman mit Paz Vega (Foto: Katharina Sartena)

Dabei hätte ein Grace-Kelly-Porträt durchaus Stoff für großes Kino geboten, meint auch Nicole Kidman: „Grace Kelly gewann sehr jung einen Oscar und dann verließ sie Hollywood, um eine Familie zu gründen. Bald aber merkt sie, dass die Leidenschaft fürs Filme Drehen noch ganz stark in ihr steckt. Ich kann das sehr gut nachvollziehen: Man kann sich seiner wahren Leidenschaft im Leben nicht entziehen, wenn man ein kreativer Mensch ist“.

Eine Gemeinsamkeit, die Kidman an sich und Grace Kelly entdeckt haben will. „Es gibt überhaupt etliche Parallelen zwischen mir und Grace Kelly“, findet Kidman. „Es gibt aber auch Unterschiede: Ich habe zum Beispiel keinen Prinzen geheiratet“, lacht sie in Anspielung auf ihren Ehemann Keith Urban. Zumindest sei er doch ein kleiner Prinz für sie, nämlich „einer vom Lande“.
Matthias Greuling, Cannes