Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“ kam als letzter Film
in den Wettbewerb von Cannes, sozusagen eine Nachreichung – in einen
Wettbewerb, der bis zuletzt auf den großen Wurf warten ließ, den man in Cannes
eigentlich erwartet (und auch immer wieder zu sehen bekam). Dieses Jahr kam er
nicht.
"Only Lovers Left Alive" von Jim Jarmusch (Foto: Festival de Cannes) |
Jarmusch, dessen Ruf als Ausnahmeerscheinung im
US-Independentkino von lange zurückliegenden Filmen wie „Stranger than
Paradise“, „Down by Law“ oder „Night on Earth“ herrührt, findet mit der
skurrilen Geschichte um ein Vampir-Pärchen zu alter Hochform zurück. Zwischen
Detroit und Tanger, wo Jarmusch die Handlung ansiedelt, sind der Untergrund-Musiker
und Gitarrensammler Adam (Tom Hiddleston) und seine Frau Eve (Tilda Swinton)
stets darauf bedacht, ihren Konsum von Menschenblut aus sauberen Krankenhaus-Blutkonserven
zu stillen. Man lebt ja schließlich im 21. Jahrhundert, da beißen Vampire keine
Menschen mehr zu Tode! Bis Ava (Mia Wasikowska), die junge Schwester von Eve,
auftaucht, die sich über einen Freund der Vampire hermacht. „You drank Ian! Get out of my house“,
tobt Adam. Familienzank auf Vampirisch.
Jarmusch inszeniert einen überaus leisen und langsamen Film;
nichts hier ist dem vermeintlich zugrunde liegenden (Sub-)Genre des Vampirfilms
geschuldet, alles ist ihm diametral entgegengesetzt erzählt, und selten – schon
gar nicht im verstaubten „Twilight“ – gab es lässigere Blutsauger. Jarmusch durchsetzt
den Film mit unzähligen Anspielungen auf die Film-, TV- und
Literaturgeschichte. Wenn Eva ins Flugzeug steigt – sie fliegt mit der „Air
Lumière“ – dann nennt sie sich gerne Daisy Buchanan, eine schöne Anspielung auf
„Der große Gatsby“. Und weil Vampire ja hunderte Jahre alt werden, gibt es hier
sogar einen kurzen Auftritt von John Hurt in der Rolle von Christopher Marlowe,
der auf Shakespeare schimpfen darf, weil sämtliche Stücke natürlich von ihm
selbst stammten.
Jarmschus „Only Lovers Left Alive“ ist ein
leidenschaftliches Traktat über das Außenseitertum; die Vampire sind Metaphern
für Ausbrecher aus einer kurzsichtig agierenden Gesellschaft. Der Film will
Weitblick, eröffnet ihn aber – auch in seiner musikalischen Untermalung mit
etlichen Vinyl-Raritäten – wirklich nur engmaschig eingeweihten Kennern. Und er
ist ein Jux, wie auch jener von Polanski.
"Venus in Fur" von Roman Polanski (Foto: Festival de Cannes) |
Polanski hat mit „Venus in Fur“ den überraschend launigen
Schlusspunkt des sonst mediokren Wettbewerbs gesetzt. Es ist die Adaption von
David Ives‘ Boulevard-Stück vom Broadway, das wiederum auf Leopold von Sacher-Masochs „Venus
im Pelz“ von 1870 basiert, das seinerzeit einen unglaublichen Skandal auslöste:
Die Macht- und Unterwerfungsphantasien, die Masoch darin veröffentlichte,
begründeten schließlich den Masochismus-Begriff.
Der Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) empfängt bei
einem Casting widerwillig noch eine letzte Schauspielerin (Polanskis Ehefrau
Emmanuelle Seigner), um eine selbst verfasste Adaption des Masoch-Buches für
die Bühne zu besetzen. Bislang waren alle Kandidatinnen ungeeignet, doch Vanda
scheint nicht nur durch ihre perfekte Kenntnis der Rolle wie geschaffen für den
Part. In einer ständig zwischen Rollenauslotung und Inszenierung pendelnden
Leseprobe lassen sich sowohl Amalric als auch Seigner mehr und mehr in die Figuren
der beiden sexuell aufgeladenen Protagonisten fallen, und Vanda kitzelt
peu-a-peu Thomas‘ wahre Phantasien aus ihm heraus; Mehr und mehr vermischen
sich die Bühnenrollen mit den Persönlichkeiten ihrer beiden Darsteller, und bald
wird das Bühnenstück selbst zur sexuellen Obsession. Polanskis Regieeinfälle
dazu reichen von der akzentuiert eingesetzten Musik bis hin zur Lichtstimmung
auf der Bühne, die Vanda zur Verblüffung von Thomas stets der geprobten Szene
anpasst. Kaminfeuer inklusive.
In einer Szene spielt Polanski dann gar auf die gegen ihn
erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs an: Vanda macht Thomas des
Vorwurf, seine Adaption handle von Kindesmissbrauch. Thomas verteidigt sich: „Ist
denn heute alles gleich Kindesmissbrauch? Gibt es gar keine Zwischentöne mehr?“
Bei Polanski klingt das wie Ironie, aber auch wie ein Stück verschämte
Selbstkritik.
Wie schon in „Der Gott des Gemetzels“ wahrt Polanski bei der
Adaption dieses Stücks ebenfalls die Einheit von Zeit und Ort: Ein Film, der in
Echtzeit über eine Pariser Theaterbühne geht; Man mag „Venus in Fur“ schon ab
der allerersten Einstellung, in der eine Kamera zu einem Unwetter über einen
leeren Pariser Boulevard schwebt, bis sie schließlich die Türen zum Theater
aufstößt. Ab diesem Moment beginnt das raffinierte, temporeiche und mit
glänzenden Dialogen ausstaffierte Verführungs- und Obsessionsspiel, das bei
Polanski gar nicht theaterhaft, sondern überraschend filmisch aussieht.
Ob die Späße der Kino-Altmeister auch auszeichnungswürdig
sind? Man wird sehen, wie Steven Spielberg und seine Jury am Sonntag Abend
entscheiden werden. Emmanuelle Seigner ist im Wechsel zwischen Schauspielerin
und Bühnenfigur allerdings derart souverän, dass man ihr den Darstellerinnen-Preis
gönnen würde. Für Jarmusch müsste man einen eigenen Preis erfinden: Jenen für
die wohlschmeckendste Blutkonserve.
Matthias Greuling, Cannes
Dieser Beitrag ist auch auf wienerzeitung.at erschienen.
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