In Locarno gewinnt die Entschleunigung: Lav Diaz‘ 338 Minuten langer
Film „Mula sa kung ano ang noon“ erhielt den Goldenen Leoparden
"Mula sa kung ano ang noon" von Lav Diaz (Foto: Festival Locarno) |
Eine Frau fährt auf einem Fluss in einem einfachen Boot. Es
treibt langsam den Flusslauf hinab, die Frau macht einen unglücklichen
Eindruck. Minutenlang verharrt die Kamera auf ihr, das schwarzweiße Bild
bekommt dadurch etwas Monumentales, obwohl es keine Monumente abbildet.
Wie alles in „Mula sa kung ano ang noon“ ist auch diese
Szene geprägt von einer unheilvollen Vorahnung: Regisseur Lav Diaz wurde für
sein 338 Minuten langes Klage-Epos soeben in Locarno mit dem Hauptpreis, dem
Goldenen Leoparden, ausgezeichnet. Für einen Film, der Historisches verhandelt,
aber auch eine Zustandsbeschreibung des menschlichen Daseins an sich ist.
Die Handlung spielt 1972 auf den Philippinen. Geschlachtete
Kühe säumen den Weg, blutüberströmte Leichen allerorten, brennende Häuser. Das
Land steht kurz vor der Diktatur: Ferdinand Marcos putschte sich damals mit
Bombenterror und Repressalien an die Macht, verhaftete Oppositionelle und
erklärte im September 1972 das Kriegsrecht. Just jene Zeit untersucht Lav Diaz
in ruhigen, schwarzweißen Bildern, die das Unheil zum Teil vorausahnen lassen,
zum Teil schon in aller Brutalität abbilden.
„Der Film basiert auf meinen Erinnerungen an meine
Kindheit“, sagt Regisseur Lav Diaz. „Es geht um die zwei Jahre, bevor das
Kriegsrecht auf den Philippinen deklariert wurde. Diese Zeit markierte die
dunkelste Stunde in der Geschichte meiner Heimat. Alles in dem Film schöpfe ich
aus Erinnerungen, alle Figuren sind echt, alle Bilder habe ich so oder ähnlich
miterlebt“.
Die Jury von Locarno hat somit nicht nur ein
gesellschaftlich relevantes, sehr persönliches Filmkunstwerk prämiert, sondern
auch eines der Langsamkeit: Die 338 Minuten Spielzeit erfordern Sitzfleisch,
dennoch erweist sich „Mula sa kung ano ang noon“ aber als überaus zugänglich.
Ein Sieg der Entschleunigung in einer immer schneller werdenden Medienwelt.
Zu den weiteren Preisträgern beim 67. Filmfestival von
Locarno gehören der Portugiese Pedro Costa (Regiepreis für seinen Film „Cavalo
Dinheiro“) sowie der US-Amerikaner Alex Ross Perry (Spezialpreis der Jury für
„Listen Up Philip“).
Matthias Greuling, Locarno
Alle Preisträger unter www.pardo.ch
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