Armin Mueller-Stahl ist ein wenig müde. Schließlich ist er,
gemeinsam mit seiner Frau, gerade erst 1.200 Kilometer mit dem Auto gefahren.
Von Berlin nach Locarno, um sich hier seinen goldenen Ehrenleoparden abzuholen,
für sein Lebenswerk. Doch hinter dem müden Antlitz stechen seine blitzblauen
Augen hervor. „Ich fahre sehr gerne mit dem Auto“, sagt der 83-jährige
Schauspieler. „Erst kürzlich bin ich mit meiner Frau in Amerika von Key West
bis Los Angeles gefahren. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit lehne ich ab: Rein
in die Maschine, abheben, landen. Das ist sehr langweilig“.
Armin Mueller-Stahl beim Gespräch, gesehen von Katharina Sartena. |
Armin Mueller-Stahl braucht diese Selbstbestimmung, dieses
Freiheitsgefühl. Schließlich hat der 1930 in Tilsit geborene Schauspieler bis
1980 in der DDR gelebt und Karriere gemacht, ehe seine Ausreise nach
Westdeutschland genehmigt wurde. „Wenn Sie wissen, Sie werden überwacht, dann
hören Sie irgendwann auf, darüber nachzudenken“, sagt er. Freiheit, das ist für
Mueller-Stahl das Entdecken der Welt, ohne Grenzen, ohne Limits. „Und ich
genieße es, dass meine Frau mit dabei ist, denn dann muss ich ihr nicht
erklären, was ich alles gesehen habe“.
Dass Armin Mueller-Stahl bereits 2006 mit der Schauspielerei
aufgehört und sich seither verstärkt der Malerei zugewandt hat, hindert die
Organisatoren beim Filmfestival in Locarno allerdings nicht daran, ihn für sein
Lebenswerk auszuzeichnen. „Dass ich hier einen Preis fürs Lebenswerk bekomme,
nun ja. So einen Preis bekomme ich schon zum fünften Mal!“, lacht
Mueller-Stahl. „Das macht mich ein bisschen nachdenklich, denn ich bin ja noch
immer unterwegs. Sorry! Aber man kriegt so einen Preis und weiß, dass man etwas
im Leben gemacht hat, das nicht ganz verkehrt war."
Armin Mueller-Stahl beim Gespräch, gesehen von Katharina Sartena. |
Immerhin war Mueller-Stahl schon in seinen DDR-Zeiten ein
gefeierter Star. „Ich war fünf Mal beliebtester Schauspieler der DDR? Das mag
sein, ich habe es nicht gezählt. Aber da war ich noch ein hübscher Junge. Das
ist lange her, damals war ich sozusagen der Brad Pitt der DDR“, lacht er.
Überhaupt ist Mueller-Stahl von seiner Erscheinung her ein fröhlicher Mensch.
Beim Interview in einem Luxus-Hotel in Ascona gibt es keine Spur von
Alterspessimismus. Sondern nur die Gewissheit, auf ein reiches Leben zurück zu
blicken. „Ich spüre keine Angst in Bezug auf das Altern. Ich weiß: Die Zukunft
ist nicht mehr unendlich. Und ich weiß auch, wie mein eigenes Ende aussehen
wird. Es wird so aussehen wie Ihres. Das ist die einzige wirkliche
Gerechtigkeit auf diesem Planeten“, meint Armin Mueller-Stahl. „Angst spüre ich
hingegen bei Vorgängen, die in die Nähe von Krieg führen. Die merkwürdigen
Unsicherheiten, die es derzeit auf der Welt gibt. Die Technik und die Computer,
das sind die Geister, die wir riefen, die wir aber nicht in den Griff kriegen.
Der Irak, Syrien, die Ukraine. Es ist in der Welt scheußlich wie schon lange
nicht“.
Trotzdem hat Armin Mueller-Stahl für sich eine Methode
gefunden, mit der Welt ins Reine zu kommen. Er nennt das Glück, und es ist ein
flüchtiges Gefühl. „Glück ist kein Dauerzustand, sondern besteht nur aus
Momenten. Ein Glücksmoment ist zum Beispiel, jetzt hier zu sitzen, auf diesen tollen
grünen Garten zu schauen und von dieser hübschen Fotografin fotografiert zu
werden“, lacht er.
|
Armin Mueller-Stahl blickt gern zurück auf seine lange
Karriere; er lobt Fassbinder, weil der den stärksten Einfluss auf ihn gehabt
hat: „Wir beide waren nicht wie Brüder, sondern eher wie Vater und Sohn, und
ich war der Vater“. Auch an seine Zeit in Amerika denkt er gern: „Ich habe mit
knapp 60 dort meine dritte Karriere begonnen, ohne ein Wort Englisch zu
beherrschen. Ich spreche heute noch miserabel Englisch. Das hat damit zu tun,
dass ich in Amerika immer nur Ausländer gespielt habe, die gebrochenes Englisch
sprachen, entweder jiddisch gefärbt oder russisch“. Er imitiert einige seiner
Filmdialoge, sichtlich mit Freude.
Dennoch hat er mit dem Film abgeschlossen: „Das Filmedrehen
ist in meinem Fall ein Auslaufmodell. Das habe ich übermäßig lange getan, es
hat mein Leben dominiert. Ich drehe nicht mehr, obwohl gerade ein Angebot auf
meinem Tisch liegt, eine Auschwitz-Geschichte. Aber ich habe abgesagt. Die amerikanischen
Produzenten versuchten mich zu locken und verdoppelten meine Gage. Geld
interessiert mich schon, aber nicht so, dass ich plötzlich meine Contenance
verliere.“ Sind Schauspieler überbezahlt? „100-prozentig, wenn Sie die Stars
ansehen. Zehn oder 20 Millionen für einen Film zu bekommen, das ist doch
idiotisch“.
Armin Mueller-Stahl widmet sich nun lieber seinen anderen
Talenten, die bisher „immer außen vor blieben: Bei der Malerei bin ich endlich
die Fesseln des Films los. Beim Film ist man abhängig, vom Drehbuch, vom
Partner, vom Wetter, vom Regisseur, vom Kameramann. Die Malerei ist der einzige
Moment, wo ich wirklich fliege. Ich bin frei. Gelingt es mir nicht, übermale
ich es. Das genieße ich.“ Mueller-Stahl sagt auch noch, die Malerei fiele ihm leicht.
„Ich dachte immer, was mir leicht fällt, ist nichts wert, eine These, die
natürlich verkehrt ist. Das Zeichnen fällt mir wirklich sehr leicht.
Schauspielerei ist viel komplizierter“.
Hat Armin Mueller-Stahl im Alter also doch seine wahre
Berufung gefunden? „Ja, das hoffe ich sehr“, sagt er ruhig. „Es wurde ja auch
Zeit“.
Matthias Greuling, Locarno
Dieser Beitrag erschien auch in der Wiener Zeitung
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen