Irgendwann in „Birdman“ dreht Riggan Thomson (Michael Keaton) in seiner Garderobe völlig durch und schlägt alles kurz und klein. Schminkkoffer fliegen, Spiegel klirren, Regale stürzen. Eine Stimme aus dem Off flüstert ihm allerlei Gewissensbisse zu, Riggan selbst hat gerade schlechte Kritiken einstecken müssen, und das ist das Schlimmste im Leben eines Schauspielers: Von der Presse geprügelt zu werden und darob am Ende in der Versenkung zu verschwinden.
Edward Norton (Foto: Katharina Sartena) |
Dabei wollte Riggan doch nur sein Comeback an einer Broadway-Bühne feiern, mit einem von ihm bearbeiteten Stück, unter seiner Regie und mit ihm selbst in der Hauptrolle. Doch ein neues Ensemblemitglied (Edward Norton) erweist sich als egoistischer Selbstdarsteller und stiehlt Riggan die Show im eigenen Stück.
Weil Riggan ohnehin ein gebrochener Schauspieler ist, der seit Jahren nicht von seiner Rolle als Actionheld „Birdman“ loskommt, verdichten sich hier seine Selbstzweifel und die stetig zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt wechselnden Stimmungen zu einem gefährlichen Cocktail aus Selbsthass und Zerstörungswut. Das eigene Ego ist die größte Qual.
Alejandro Gonzalez Inarritu („Amores Perros“, „Babel“) hat mit „Birdman“ (hier im Wettbewerb zu sehen) seine erste Komödie gemacht, wie er in Venedig betonte. „Ich dachte, es wäre nach all den Dramen einmal an der Zeit, am Set eines Filmes auch lachen zu dürfen“, so Inarritu in Venedig. Zugleich ist „Birdman“ aber auch eine millimetergenaue Untersuchung des Schauspieler-Selbstverständnisses zwischen Größenwahn und Wahnsinn. Selten hat ein Film so eindringlich vermittelt, was auf dem Weg von den ersten Proben bis zur Premiere im Inneren dieser sensibelsten aller Künstler vorzugehen scheint. Und das ist, wohlgemerkt, nicht zum Lachen.
Emma Stone (Foto: Katharina Sartena) |
Mit ein Grund für diese eindringliche Analyse ist die Machart des Films. „Birdman“ sieht aus, als bestünde er aus nur einer einzigen Einstellung. Die stets entfesselte Steadycam fängt minutenlange Takes ein, die durch „unsichtbare“ Schnitte an wenig auffälligen Stellen verbunden wurden. „Das klingt vielleicht sehr simpel als Konzept“, gibt Inarritu zu. „Dem voraus gehen aber detaillierte, umfangreiche Proben, damit dann auch wirklich alles klappt, wenn die Kamera läuft“. Für Emma Stone, die im Film Michael Keatons Tochter spielt, „eine besondere Herausforderung, so lange Takes zu spielen. Ich würde den Film am liebsten gleich noch einmal drehen“, sagte sie.
Michael Keaton und Edward Norton liefern sich sowohl auf der Broadway-Bühne als auch hinter deren Kulissen oscarreife Schlagabtäusche, sodass man sicher sein darf: diese beiden werden bei den Academy Awards 2015 nicht unberücksichtigt bleiben. Vor allem für Keaton ist der Riggan Thomson aus „Birdman“ auch eine selbstironische Rolle: Keaton hatte 1989 und 1992 in Tim Burtons beiden Batman-Verfilmungen den Superhelden gespielt. „Auch an mir haftete diese Rolle sehr lange“, sagte Keaton. „Aber ich konnte damit umgehen. Und schließlich waren diese Filme damals quasi die Blaupause für heutige Superhelden-Movies“. Keaton war darin – anders als sein unglücklicher Held „Birdman“ – ein vielschichtiger Charakter und wurde zu einer Ikone der Popkultur. Das von sich zu behaupten, wäre nicht einmal egoistisch.
Matthias Greuling, Venedig
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