Maria Hofstätter als Anna Maria in "Paradies: Glaube" (Foto: Stadtkino) |
Eine Frau, sie heißt Anna Maria (Maria Hofstätter), will die
Sünde von der Erde nehmen und wandert mit ihren hölzernen Madonnenstatuen von
Haustür zu Haustür, um die Gottlosen dahinter zur Umkehr zu bringen. Sie tut
dies mit Nachdruck; aber sie hat kaum Erfolg. Niemand von all jenen, die Seidl hier
mit seiner Kamera besucht, hält viel von der katholischen Lehre, nicht das in
wilder Ehe lebende, ältere Paar, nicht die junge Russin, die ihren Gott im
Alkohol gefunden hat. Auch nicht der Messie in seiner Unordnung, der nur mehr am Totenbett der Mutter Platz für
die Wandermadonna hat und nicht einmal das Vater Unser auswendig kann.
Die eigentliche Erzählung in „Paradies: Glaube“ findet aber im Eigenheim der Predigerin statt; dort lebt
sie allein, bis ihr lange Zeit verschwundener Ehemann, ein Muslim aus Ägypten
(Nabil Saleh), plötzlich wieder auftaucht. Er sitzt im Rollstuhl, ist auf ihre
Hilfe angewiesen, und bald schon wird Anna Maria, die sich erst nach seinem
Verschwinden ihrer Liebe zu Jesus hingab, einen regelrechten Kleinkrieg gegen
ihren Mann führen. Er will ihre Zuneigung, sie will in Keuschheit leben,
allerhöchstens nur mehr Gott selbst an ihr Fleisch lassen. Interessant, wie
Seidl den Muslimen hier als durchaus gemäßigt zeichnet, während seine
fanatische Ehefrau den katholischen Glauben als radikal-fundamentale
Lebensaufgabe begreift.
Seidl verhandelt hier die Rangelei zweier großer
Weltreligionen anhand ihrer kleinsten denkbaren Einheit: Die Familie ist in
allen Religionen heilig, und „in allen Religionen hättest du die Pflicht, als
Ehefrau abzuwaschen und zu putzen“, sagt ihr der erzürnte Ehemann. Später
beschimpft er sie als Hure, „eine Hure, wie alle in Österreich“. Der Muslim
wird vom Rollstuhl aus all ihre in jedem Raum montierten Kreuze von den Wänden
schlagen und auch das Foto von Papst Benedikt XVI. in der Küche. Sie wird ihm dafür
den Rollstuhl verstecken und ihren Herrn
anrufen: „Warum strafst du mich so?“
"Wir sind treu bis in den Tod" (Foto: La Biennale di Venezia) |
Dazwischen blitzt immer wieder auch Fanatismus auf. In der
Bibelrunde skandiert Anna Maria mit anderen Gläubigen „Wir sind die Sturmtruppe
des Glaubens“ und „Wir sind treu bis in den Tod. Wir schwören, dass Österreich
wieder katholisch wird“.
Man kann „Paradies: Glaube“ als Provokation auffassen, als ein Ausspielen
der Religionen gegeneinander, als eine gewitzt-einfallsreiche
Sadisten-Beziehung voller (Selbst-)Folter, die ihre Methoden unter dem
Deckmantel des Glaubens legitimiert. Aber das wäre nur die Oberfläche. Denn
darunter liegt, wie so oft bei Seidl, nicht bloße Provokation, sondern ein
ganzer Fragenkatalog, den er stellen will. Es wäre zu einfach, den Film als
provokantes, aber simples Pamphlet für die Fragen unserer Zeit abzutun; dafür
zeigen seine Figuren zu viele Ambivalenzen in ihrem Verhältnis zueinander, und
in ihrem Verhältnis zu Gott. Nein, hier sind es Verzweiflungstäter, die
zwischen Gottvertrauen und Lebenslust hin- und hergerissen scheinen und die zur
Stillung ihrer natürlichen Triebe gerne auch mal mit Jesus am Kreuze zu Bett
gehen und sich damit selbstbefriedigen. Wenig überraschend orteten nach der
Pressevorstellung einige italienische Medien aufgrund dieser Szene bereits
einen handfesten Skandal.
Stilistisch arbeitet Seidl noch intensiver als in „Paradies:
Liebe“ mit der von ihm so geliebten Cadrage, in der er seine Figuren zentriert
anordnet. Aber wie auch in „Liebe“ ist der ursprünglich als Einteiler angelegte
Episodenfilm, den Seidl auf drei Filme ausbreitet, voller repetitiver Elemente, langatmig fast, wenig
effizient in seiner Erzählstruktur. Bei „Glaube“ erscheint dies aber als nachvollziehbares
Stilmittel, denn auch die Predigt des immer gleichen Gottglaubens kennt die
Elemente der penetranten Wiederholung. Die visuelle Form von „Paradies: Glaube“
illustriert damit perfekt die von Anna Maria leidenschaftlich gelebte Askese,
die sich in der quälenden Langsamkeit des Films manifestiert.
Seidl hat mit „Paradies:Glaube“ aber auch eine sehr
persönliche Geschichte erzählt: „Ich bin stark katholisch geprägt, entstamme
einem sehr religiösen Elternhaus, habe christliche Internatsschulen besucht.
Aber in meiner Jugend habe ich rebelliert gegen die Autorität, die
Verlogenheit, die Scheinmoral der Kirche“. Eine Abrechnung mit dem katholischen
Glauben ist der Film dennoch nicht geworden. Seidl: „Wir leben in einer Gesellschaft, die über
Jahrhunderte katholisch geprägt war. Ich trage die urchristlichen Werte in mir.
Davon kann man kann sich nicht lösen.“
Matthias Greuling, Venedig
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