Mittwoch, 1. August 2012

Locarno setzt die Trends


Locarno Film Festival, 1.-11.8. 2012
Locarno feiert 2012 das gleiche Jubiläum wie nur zwei Monate zuvor das Festival von Cannes: Beide Filmschauen sind 65 Jahre alt. Locarno spielt durchaus in einer Liga mit Cannes, auch wenn es als das kleinste A-Festival gilt. Doch sonst sind die Gemeinsamkeiten rar. Denn während in Cannes vor allem der filmische Kommerz in Form großer Blockbuster-Premieren und am Marché du Film gefeiert wird, hat Locarno seine Nische im Wettstreit der prestigeträchtigen Festivals woanders gefunden. Es ist ein Festival geblieben, das Entdeckungen zulässt, und das in seiner programmatischen Kompromisslosigkeit auf diese Weise schon etlichen Karrieren auf die Sprünge geholfen hat. „Das Festival von Locarno gilt seit seiner Gründung als mutig und offen gegenüber neuen ästhetischen Entwicklungen, geografischen Verschiebungen sowie jungen Filmemachern. Im Rahmen seiner 65. Durchführung zeigen wir, dass der Inhalt des Festivals das ganze Kino und nichts als Kino ist, darin eingeschlossen dessen bemerkenswerte Geschichte, Stars und Künstler ebenso wie seine vielversprechende Zukunft mit neuen Autoren“, definiert es Olivier Père, der künstlerische Leiter des Festivals.

NICHT VON BROT ALLEIN

Aber Père, heuer in seinem dritten Amtsjahr, weiß, dass ein Festival nicht von Brot allein leben kann, weshalb er im Vorjahr neben etlichen Genre-Filmen auch Blockbuster wie „Cowboys & Aliens“ oder „Super 8“ auf die Piazza Grande holte. Auch dieses Jahr buhlte er erneut um große US-Produktionen wie „The Bourne Legacy“ und „Total Recall“, die auf der Piazza vor 8000 Zuschauern laufen hätten sollen. Die genannten Filme sind nun doch nicht in Locarno zu sehen, was aber nichts mit dem Unwillen der Studios zu tun hat, sondern mit Terminproblemen. Die US-Studios haben Locarno nämlich längst als funktionierende Plattform für ihre Filme erkannt, denn wo sonst ließen sich Blockbuster besser launchen als beim größten Open-Air-Kino der Welt?
"Starlet" von Sean Baker (Foto: Festival Locarno)
Das Festival will diesen Spagat beibehalten, will aber nicht zu viel Unterhaltungsware, denn letztlich steht es mehr für das cineastische Kleinod denn für Kommerz-Kracher. Auf der Piazza Grande sind doch einige Studiotitel der mittleren Größenordnung zu sehen, etwa „Ruby Sparks“ von Fox oder „Magic Mike“, der neue Film von Steven Soderbergh. „Bachelorette“,  der Sundance-Hit der Weinsteins, ist auch dabei. Amerikanische Independent-Ware.
Aber selbst im internationalen Wettbewerb, der hier fernab der Piazza in den Kinos der kleinen Stadt am Lago Maggiore gespielt wird, finden sich vermehrt US-Produktionen. Es sind dies vor allem Klein- und Kleinst-Titel, die mit wenig Budget realisiert wurden und die Handschriften junger Independent-Filmer tragen. Insgesamt sechs US-Filme treten um den Goldenen Leoparden an, darunter Sean Bakers „Starlet“, Craig Zobels „Compliance" und Bob Byingtons „Somebody Up There Likes Me“, die allesamt beim South by Southwest Film Festival in Austin, Texas, ihre Premiere feierten. Das Festival gilt als Mekka und Startpunkt vieler Independent-Karrieren.

INSIDER-TIPP FÜR FILMEINKÄUFER

"Compliance" von Craig Zobel (Foto: Festival Locarno)
Branchenintern ist Locarno deshalb ein Insider-Tipp für viele Filmeinkäufer geworden: Hier lassen sich noch junge, unverbrauchte Talente entdecken, das Interesse an den „Industry Days“ steigt stetig. Cannes und Venedig sind indes künstlerisch stark auf ihre Linie eingeschworen; die Wettbewerbe werden zumeist von „Stammgästen“ bestritten, von den Großen des Weltkinos. In Locarno, dessen Jury heuer vom Cannes-Gewinner und Avantgarde-Erzähler Apichatpong Weerasethakul geleitet wird, tauchen hingegen immer wieder neue Namen auf. Besonders außerhalb des Wettbewerbs, in den Reihen „Cineasti del presente“ und „Pardi di domani“, herrscht die pure Anarchie des Kinos: Erzählerisches Neuland und cineastische Experimente finden sich hier zuhauf. Weniger in Cannes oder Venedig, sondern hier muss nach den neuen Trends im Weltkino gesucht werden. Denn hier werden sie gemacht.
Matthias Greuling

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