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Locarno Film Festival, 1.-11.8. 2012 |
Locarno feiert 2012 das gleiche Jubiläum wie nur zwei Monate
zuvor das Festival von Cannes: Beide Filmschauen sind 65 Jahre alt. Locarno
spielt durchaus in einer Liga mit Cannes, auch wenn es als das kleinste A-Festival
gilt. Doch sonst sind die Gemeinsamkeiten rar. Denn während in Cannes vor allem
der filmische Kommerz in Form großer Blockbuster-Premieren und am Marché du
Film gefeiert wird, hat Locarno seine Nische im Wettstreit der
prestigeträchtigen Festivals woanders gefunden. Es ist ein Festival geblieben,
das Entdeckungen zulässt, und das in seiner programmatischen
Kompromisslosigkeit auf diese Weise schon etlichen Karrieren auf die Sprünge
geholfen hat. „Das Festival von Locarno gilt seit seiner Gründung als mutig und
offen gegenüber neuen ästhetischen Entwicklungen, geografischen Verschiebungen
sowie jungen Filmemachern. Im Rahmen seiner 65. Durchführung zeigen wir, dass
der Inhalt des Festivals das ganze Kino und nichts als Kino ist, darin
eingeschlossen dessen bemerkenswerte Geschichte, Stars und Künstler ebenso wie
seine vielversprechende Zukunft mit neuen Autoren“, definiert es Olivier Père,
der künstlerische Leiter des Festivals.
NICHT VON BROT ALLEIN
Aber Père, heuer in seinem dritten Amtsjahr, weiß, dass ein
Festival nicht von Brot allein leben kann, weshalb er im Vorjahr neben etlichen
Genre-Filmen auch Blockbuster wie „Cowboys & Aliens“ oder „Super 8“ auf die
Piazza Grande holte. Auch dieses Jahr buhlte er erneut um große US-Produktionen
wie „The Bourne Legacy“ und „Total Recall“, die auf der Piazza vor 8000
Zuschauern laufen hätten sollen. Die genannten Filme sind nun doch nicht in
Locarno zu sehen, was aber nichts mit dem Unwillen der Studios zu tun hat,
sondern mit Terminproblemen. Die US-Studios haben Locarno nämlich längst als
funktionierende Plattform für ihre Filme erkannt, denn wo sonst ließen sich
Blockbuster besser launchen als beim größten Open-Air-Kino der Welt?
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"Starlet" von Sean Baker (Foto: Festival Locarno) |
Das Festival will diesen Spagat beibehalten, will aber nicht
zu viel Unterhaltungsware, denn letztlich steht es mehr für das cineastische
Kleinod denn für Kommerz-Kracher. Auf der Piazza Grande sind doch einige
Studiotitel der mittleren Größenordnung zu sehen, etwa „Ruby Sparks“ von Fox
oder „Magic Mike“, der neue Film von Steven Soderbergh. „Bachelorette“,
der Sundance-Hit der Weinsteins, ist auch
dabei. Amerikanische Independent-Ware.
Aber selbst im internationalen Wettbewerb, der hier fernab
der Piazza in den Kinos der kleinen Stadt am Lago Maggiore gespielt wird,
finden sich vermehrt US-Produktionen. Es sind dies vor allem Klein- und
Kleinst-Titel, die mit wenig Budget realisiert wurden und die Handschriften
junger Independent-Filmer tragen. Insgesamt sechs US-Filme treten um den
Goldenen Leoparden an, darunter Sean Bakers
„Starlet“, Craig Zobels
„Compliance" und Bob Byingtons
„Somebody Up There Likes Me“, die allesamt
beim South by Southwest Film Festival in Austin, Texas, ihre Premiere feierten.
Das Festival gilt als Mekka und Startpunkt vieler Independent-Karrieren.
INSIDER-TIPP FÜR FILMEINKÄUFER
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"Compliance" von Craig Zobel (Foto: Festival Locarno) |
Branchenintern ist Locarno deshalb ein Insider-Tipp für
viele Filmeinkäufer geworden: Hier lassen sich noch junge, unverbrauchte
Talente entdecken, das Interesse an den „Industry Days“ steigt stetig. Cannes
und Venedig sind indes künstlerisch stark auf ihre Linie eingeschworen; die Wettbewerbe
werden zumeist von „Stammgästen“ bestritten, von den Großen des Weltkinos. In
Locarno, dessen Jury heuer vom Cannes-Gewinner und Avantgarde-Erzähler
Apichatpong Weerasethakul geleitet wird, tauchen hingegen immer wieder neue
Namen auf. Besonders außerhalb des Wettbewerbs, in den Reihen „Cineasti del
presente“ und „Pardi di domani“, herrscht die pure Anarchie des Kinos:
Erzählerisches Neuland und cineastische Experimente finden sich hier zuhauf. Weniger
in Cannes oder Venedig, sondern hier muss nach den neuen Trends im Weltkino
gesucht werden. Denn hier werden sie gemacht.
Matthias Greuling
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