Dieter Kosslick ist beleidigt. Er will in seiner Funktion als Berlinale-Chef „nicht mehr so viele Witze reißen, denn die Spaßbremsen mögen das ja nicht“, ätzte er bei der Programmvorstellung der diesjährigen Berlinale, die heute, Donnerstag, eröffnet wird. Die „Spaßbremsen“, das ist eine Vielzahl von Leuten. Da sind einmal die 79 Regisseurinnen und Regisseure, die im November in einem offenen Brief an die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) appelierten, bei der Neuausschreibung des Berlinale-Chefpostens, der 2019 vakant wird, Transparenz walten zu lassen. Das sind außerdem diejenigen, die fordern, dass Kosslick, nach 17 Jahren im Amt, lieber gar keine Berlinale-Tätigkeit mehr ausüben soll, auch nicht die eines neu zu schaffenden „Präsidenten“. Und dann sind da noch die Leute in den eigenen Reihen, die Kosslick mit seinem charmant-untergriffigen Humor sogar der Belästigung bezichtig haben.
Cecile de France mit Dieter Kosslick (Foto: Katharina Sartena) |
Mit einem Wort: Kosslick steht im Eck, und er ist verbittert darüber. Zumal bei den Unterzeichnern des Briefes auch von Kosslick lange geförderte Filmemacher wie Fatih Akin („Aus dem Nichts“), Christian Petzold („Barbara“) und Maren Ade („Toni Erdmann“) dabei waren.
Ende Mai feiert Kosslick seinen 70. Geburtstag, und wäre somit ohnehin schon lange pensionsreif. Aber die Vertragsgestaltung und das Hängen am Job eines Kulturmanagers, der gerne und sehr medienwirksam die George Clooneys, Richard Geres, Meryl Streeps und Jane Fondas über den roten Teppich lobt, sind halt dann doch gute Argumente zum Bleiben gewesen.
Das hatte aber auch zur Folge, dass die Berlinale ein wenig erstarrt ist in ihren Traditionen, denn wirkliche Innovationen in der Programmierung, mit neuen Filmreihen und ungewöhnlichen Zugängen, sucht man vergebens. Kosslicks Lieblings-Erfindung, die Filmreihe „kulinarisches Kino“, kann wohl kaum als ernster Beitrag zur Reflexion des Weltkinos verstanden werden, eher zum in Berlin zwischen Döner und Currywurst dringend notwendigen Umdenken in der Frage, was gut schmeckt und was nicht.
Kosslick übt sich trotz aller Kritik an seiner Person einstweilen in Zurückhaltung; er spricht lieber davon, wie wichtig das Kino ist, um sich selbst besser kennen zu lernen, anstatt auf die Vorwürfe seiner Gegner einzugehen. Auch das ist, aus seiner Sicht, eine berechtigte Reaktion: Schließlich war es Kosslick, der die Berlinale ab 2001 zu einem Festival mit klarer Ausrichtung gemacht hat: Hier zählt das politische, aufrührerische Kino, hier gewinnen Filme aus dem Iran, aus Ungarn oder aus der Türkei den Goldenen Bären, ganz einfach, weil Kosslick es für relevant hält, in die Nischen zu blicken und dort nach Juwelen zu suchen. Das ist immer seine große Qualität gewesen, und auch: Darüber nicht zu vergessen, dass die Besucher seiner Filmschau vor allem die großen Stars aus nächster Nähe sehen wollen. Durch seine Beziehungen konnte er sämtliche Weltstars nach Berlin holen, aber die Ausbeute wird immer schwächer: Heuer sind an großen Namen, die einer wirklich breiten Masse bekannt sind, nur wenige in der Stadt: Robert Pattinson kommt, ebenso Mia Wasikowska, dann Rupert Everett, Joaquin Phoenix, Peter Simonischek und Musiker Ed Sheeran, der der Premiere einer Musik-Doku über ihn beiwohnen will. Man sieht: Name Dropping fällt zusehends schwer, noch vor zehn Jahren wäre die Liste vier Mal so lang gewesen.
Doch der Schwund an Stars - und auch an erstklassigen Filmen - hat gar nicht so sehr mit der Berlinale (und schon gar nicht mit Kosslick) zu tun, sondern liegt auch an den drastischen Veränderungen in der Filmbranche: Die Streamingdienste Netflix und Amazon übernehmen rasend schnell die Funktion, die früher (Independent-)Studios innehatten, mit dem Unterschied, dass sie ihre Filme nach den Festival-Premieren gleich als Stream anbieten wollen, ohne Umweg über das Kino. Die Festivals sind zwar froh, dass Altmeister wie Woody Allen oder Jim Jarmusch mit Hilfe dieser Dienste weiterhin ihre Filme drehen können, aber es ist ein zweischneidiges Schwert: Filmfestivals, die das Kino zelebrieren - und die Berlinale gehört neben Cannes und Venedig dazu - tun nicht gut daran, diesen magischen Kinomythos gegen das Streamen von Filmen am Handy oder Tablet auszuspielen - das wäre gegen ihre Natur. Auch deshalb herrscht seit zwei, drei Jahren eine auffallende Flaute im Arthaus- und Kunstkino, weil die Festivals und die Streaminganbieter noch nicht den rechten Dialog zueinander gefunden haben dürften.
Leidtragende ist im konkreten Fall die Berlinale, die zwischen den noch immer prestigeträchtigeren und zu wärmeren Jahreszeiten veranstalteten Festivals von Cannes und Venedig aufgerieben zu werden droht. Das Damoklesschwert, das über ihr schwebt, heißt: Provinzfestival.
Und doch darf man sich bei der 68. Ausgabe der Berlinale in diesem Jahr auf fein anmutendes Kino freuen: Etwa auf Wes Andersons Eröffnungsfilm, „Isle of Dogs“, einen Animationsfilm, in dem ein Hund eine zentrale Rolle spielt. Oder auf „3 Tage in Quiberon“ mit Marie Bäumer als Romy Schneider. Oder auf Cédric Kahns Drogendrama „La prière“ und Gus van Sants „Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“. Kosslick würde sagen: Ist doch prima. Und ja, ist es.
Matthias Greuling
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