Es sind vielleicht zehn Filme, wenn überhaupt. Zehn Filme
von insgesamt 88 in ihrer Filmografie, die Jane Birkin als wirklich gelungen
empfindet. Mit dabei sind jene drei, die sie mit Jacques Rivette gedreht hat,
natürlich "Blow Up" (1966) von Antonioni, mit dem sie berühmt wurde,
aber auch "La fille prodigue" (1981) von Jacques Doillon, mit dem
Birkin eine gemeinsame Tochter, die Sängerin Lou Doillon hat. Auch Charlotte
Gainsbourg ist eine ihrer Töchter, sie entstammt ihrer Beziehung mit Serge Gainsbourg,
die elf Jahre hielt und während der Jane unzählige Lieder aufnahm, darunter das
bekannteste des Duos, "Je t’aime… moi non plus". Ihre älteste
Tochter, die Fotografin Kate Berry - aus Birkins Ehe mit dem Komponisten John
Barry - starb 2013 nach einem Fenstersturz aus ihrer Wohnung im vierten Stock.
Selbstmord-Spekulationen stehen bis heute im Raum.
Jane Birkin (Foto: Katharina Sartena) |
Im Dezember 2016 wird Jane Birkin 70 Jahre alt, sie ist eine
vom Schicksal gezeichnete Frau, die auch einen schmerzhaften
Krankenhausaufenthalt hinter sich hat, erzählt sie. Aber sie strahlt großen
Optimismus aus, Gefühl und Freude, viel Güte, und auch Schmerz. Ihre Stimme
versagt bei jedem zweiten Satz, Frau Birkin ist derzeit nicht bei Kräften.
Im Gespräch aber holt sie weit aus, wenn es darum geht, alte
Erinnerungen zu teilen. Die Chansons, die Filme, und der ganze Stolz: Die
Töchter. "Charlotte ist eine Schauspielerin durch und durch, sie würde
alles wagen vor der Kamera", sagt sie. "Ich kenne niemanden, der
derart weit für seine Kunst gehen würde". Gemeint sind damit auch die drei
fordernden Auftritte von Gainsbourg in Lars von Triers Filmen.
"Was Charlotte im Film ist, ist Lou in der Musik. Sie
investiert ihre ganze Kraft da hinein. Und auch Kate war so energisch in der
Fotografie. Sie war ein großes Talent, denn in ihren Bildern holte sie das
Innerste aus den Menschen heraus, die sie fotografierte".
Jane Birkin hat den Tod ihrer Tochter nicht überwunden, das
kann man sehen. Aber sie lebt weiter, weil es gar nicht anders geht. In Locarno
überreicht man ihr den Goldenen Ehrenleoparden fürs Lebenswerk, und das hat
immer den Beigeschmack eines Abschieds, so, als wäre der Künstler schon fertig
mit dem, was er zu sagen hat. "Ich sehe das anders", sagt Jane
Birkin. "Denn schließlich ist das mein erster Preis überhaupt". Der
erste Preis? Das kann nicht sein. "Doch, das ist so. Es sei denn, ich habe
etwas Entscheidendes vergessen".
Wir recherchieren nach, und es stimmt: Drei Mal war sie für
den César nominiert, das französische Pendant zum Oscar, aber geklappt hat es
nie. Dafür hat Tochter Charlotte diesen Preis schon zwei Mal gewonnen. Und den
Schauspielerpreis in Cannes, für Lars von Triers "Antichrist".
"Was für ein Talent sie ist! In dem Film musste sie ihrem Mann einen
Schraubstock durch die Wade drehen und sein bestes Stück misshandeln. Eine
fordernde Rolle", scherzt sie voller Stolz für ihre Tochter.
So viel Lob Jane Birkin für ihre Kinder übrig hat, so viel
Selbstkritik gibt es auch: "Ich kann mich selbst nie auf der Leinwand
anschauen. Einerseits, weil ich meine Stimme beim Sprechen nicht hören will,
andererseits, weil ich ständig nur die Fehler sehe", sagt Birkin. So kam
es, dass sie kaum eine Filmpremiere in ihrem Leben wirklich durchgesessen hat.
"Mir fehlte immer schon der Mut, mich selbst anzusehen. Ich bin auf die
Bühne, habe die Leute begrüßt und bin dann wieder hinten raus". Sich selbst
nicht ansehen zu können, eine Berufskrankheit von Schauspielern? "Ja, das
glaube ich schon", sagt Jane Birkin. "Aber ganz abgesehen davon:
Niemand sitzt eine Premiere durch. Man geht nach der Begrüßung. Unter uns
gesagt: Das machen alle Schauspieler so".
Matthias Greuling, Locarno
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