"Oktober November" (Foto: Viennale) |
Was man bei Filmstudenten als gravierenden Fehler werten würde, benutzt Spielmann geschickt, um den Bruch in der Persönlichkeit Sonjas (und im weiteren Verlauf den Bruch in ihrer gesamten Familie) zu symbolisieren. Dieser kleine Schnitt ist der Zugang zu dieser emotional aufgeladenen Geschichte: Sie erzählt von einem alten Vater (Peter Simonischek), der mürrisch geworden ist, in seinem Dorfgasthof im tiefsten Niederösterreich. Davon, wie seine Tochter Sonja es nach draußen, in die große weite (Schein-)Welt trieb, nach Berlin, wo sie als Schauspielerin in mittelmäßigen TV-Filmen mitwirkt, die ihr ihre gesamte Energie rauben. Sonja hat es „zu etwas gebracht“, aber sie selbst spürt, dass das eine Lüge ist. Ihre Schwester Verena (Ursula Strauss) hat einen anderen, den gegenteiligen Lebensweg eingeschlagen; sie ist zuhause beim Vater geblieben, hat ihm im Wirtshaus assistiert und wird mit der Enge, die ihr die beschränkte Entfaltungsmöglichkeit am Land vorschreibt, nicht fer
tig. Zwei Gegenpole, zwei Lebensentwürfe, die in „Oktober November“ aufeinander treffen, als Sonja in das kleine Dorf, ihre Heimat, zurückkehrt. Der Vater hat einen Herzanfall, sein Arzt (Sebastian Koch) verordnet ihm Bettruhe. Die Familie steht plötzlich seltsam geeint vor dem späteren Totenbett des Patriarchen. Die Tage und Wochen des Wartens, bevor er aus dem Leben scheidet, entspinnen sich zu einerseits nervenaufreibenden Aufarbeitungen der familiären Vergangenheit, andererseits zu einer in den Protagonisten wachsenden Selbstreflexion über eigene Versäumnisse und schmerzhafte Eingeständnisse des eigenen Scheiterns.
Mit großer Sorgfalt hält Götz Spielmann seine Erzählung möglichst simpel. Doch bald entwickelt sich die wachsende Agonie aller Beteiligten zu einer äußerst komplexen und vielschichtigen Auseinandersetzung mit familiären Banden und Zusammenhalt, mit Verdrängung und mit dem Tod. Die wunderbaren Bilder einer herbstlichen Landschaft, getaucht in sanfte Sonnenstrahlen, die Kameramann Martin Gschlacht mit großer Präzision fotografierte, strahlen zugleich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus, je nachdem, in welcher Verfassung dieser Film betrachtet wird; „Oktober November“ ist kein intellektuelles Kino, sondern eines, das die Sinne anspricht; Wenn das hervorragend agierende Ensemble in ihren Figuren zueinander findet, dann bleibt doch ein großer Rest aus beklemmender Leere in ihren Seelen. Diese Leere kann nur füllen, was man Heimat nennt: Kein Ort, sondern ein Seelenzustand, in dem es nur ums Spüren geht. Und um das Gespürt werden.
Matthias Greuling
31.10., 18.00, Gartenbau
3.11., 13.30, Urania
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