Ist es Komödie, ist es Tragödie? So genau weiß man das bei „A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence“ (etwa „Eine Taube saß auf einem Zweig und dachte über das Leben nach“) des schwedischen Regisseurs Roy Andersson nicht. Sicher ist nur: Vieles in diesem Wettbewerbsbeitrag, das komisch sein könnte, ist zum Weinen, vieles, das uns trübe stimmen sollte, bringt zum Lachen. Und nach der Pressevorstellung am Dienstag in Venedig wusste man nicht nur, dass damit der Wettbewerb zur Hälfte des Festivals durchwegs anzog, sondern auch, dass es jetzt einen echten Favoriten gab.
Roy Andersson (Mitte) mit seinen Darstellern. (Foto: Katharina Sartena) |
Roy Andersson vollendet mit seinem neuen Film „eine Trilogie darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein“, wie er im Vorspann betont. Der Regisseur hatte seine filmischen Tableaus bereits in „Songs from the Second Floor“ und „You, the Living“ als ziemlich unverwechselbar in der Arthaus-Szene etabliert, und mit „A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence“ setzt er seinem schnoddrigen Mix aus Stillleben und Nummernrevue die Krone auf.
Andersson folgt zwei Handels-Vertretern durch Göteborg, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihren Kunden mit ihren Produkten zu „helfen, ein bisschen Spaß zu haben“, die ihre Verkaufsgespräche in stets entfärbtem Dekor aber so lakonisch und ernst vortragen, als seien sie auf einem Begräbnis. Sie bieten Dracula-Gebisse mit extra langen Zähnen feil, einen Lachsack haben sie auch im Programm, und eine gruselige Gummi-Maske. Die beiden dienen Andersson als Verbindungsglied zwischen seinen beinahe schon sketchartigen Miniaturen, die sich sehr langsam zu einem Ganzen fügen. Wenn zu Beginn ein Mann durch ein naturhistorisches Museum von Exponat zu Exponat wandert, so gibt das die Struktur des folgenden Films vor: Der Zuschauer wird die kommenden 100 Minuten das gleiche tun. „A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence“ hat 39 Szenen, also 39 Exponate. „Meine Ambition war es, dass jede dieser Szenen dem Publikum eine künstlerische Erfahrung bieten kann“, sagt Andersson.
Anderssons tragikomische Versuchsanordnung über das Leben und seine absurden Momente, über Stillstand und über den Tod ist dank seiner visuellen Umsetzung auch ein Forschungsobjekt am Menschsein: Die statische Kamera kommt nie näher als drei, vier Meter an die Protagonisten heran, man ist ihnen somit niemals zu nahe, kann sie dennoch eingehend observieren und hat auch den Eindruck, ein Gemälde zu betrachten. Andersson ließ sich für die Arbeit an seinem Film von Bildern von Otto Dix, Georg Scholz und Bruegel inspirieren.
Innerhalb dieses Rahmens entwickelt Andersson eine komplexe, zugleich simpel wirkende Mise-en-scène, die stetig mit den Erwartungen des Zuschauers bricht und so trotz minutenlanger Einstellungen die Aufmerksamkeit erhält. „A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence“ gehört schon allein seiner Präzision wegen zu den stärksten Arbeiten dieses Festivals. Und auch inhaltlich: Was hier vor der Kamera passiert, ist so absurd, dass es keine Entsprechung kennt. Der Film hat außerdem eine Moral: Komödie und Tragödie, das lernen wir hier in diesem surrealen Setting, liegen manchmal nur Millimeter auseinander. Und dann sind wieder Kilometer dazwischen. Wie im echten Leben eben.
Matthias Greuling, Venedig
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