Schon beim Frühstück wird hier über Film diskutiert: Die Filmschau
Diagonale, bei der heute, Samstag, Preisgelder von mehr als 100.000 Euro
vergeben werden, lockt nicht nur Grazer Publikum oder die heimische Filmbranche
an, sondern auch internationale Gäste. Einige von ihnen sind Programmierer
anderer Festivals und halten Ausschau nach geeigneten Produktionen, die sie
einladen könnten. Das ist Teil des Festivalbetriebs, und mitunter der
Startschuss für lange Festivalkarrieren. Es ist die Wurzel dessen, was man
gemeinhin als das „österreichische Filmwunder“ bezeichnet: Ohne Networking
bliebe auch der beste Film vermutlich weitgehend ungesehen.
"Das Haus meines Vaters" von Ludwig Wüst. Foto: Diagonale |
Filme wie „Talea“ von Katharina Mückstein oder „Soldate
Jeanette“ von Daniel Hoesl stehen nicht nur dank geschickter
Festivalplatzierungen (Hoesl gewann in Rotterdam) hoch im Kurs (die „Wiener
Zeitung“ berichtete) – sie gehören auch zu den Favoriten bei der
Preisverleihung. Und sie sind ein Indiz dafür, wie uneinheitlich sich das
Diagonale-Programm dieses Jahr zeigt – im positiven Sinne. Einen Megatrend gibt
es im jüngeren österreichischen Filmschaffen nämlich nicht: Trotz des viel
beschworenenen „Wunders“ sind die meisten Filmemacher hier Individualisten
geblieben, die weniger „österreichische“ denn viel mehr „eigenwillige“ Filme
machen.
Die Eigenwilligen
Ludwig Wüst ist so ein Eigenwilliger. Seine Filme „Koma“
oder „Tape End“ sind Ausdruck eines radikalen Kinos, das gerne mit seiner
spröden Darreichungsform spielt. Für Wüst, ein gebürtiger Bayer, der jahrelang
vor allem am Theater inszenierte, sind auch seine Filme Bühnen; es gibt kaum
Schnitte, sondern lange, bis zur Penetranz ausgereizte Takes. Dabei sind seine
Stücke nie theatralisch oder bühnenhaft, sondern in Schauspielerführung und
Dialogen zutiefst filmisch. Eine Verschränkung, die sonst selten gelingt. Bei
Wüsts neuer Arbeit „Das Haus meines Vaters“ aber funktioniert sie perfekt. Ein
Mann (Nenad Smigoc) kehrt in das Dorf seiner Jugend zurück, trifft dort auf
eine einstige, ihm sehr zugeneigte Schulkollegin (Martina Spitzer), die ihn
durch das verlassene Haus seiner Eltern führt. Er entdeckt im
heruntergekommenen Chaos allerhand, was ihn an seine Kindheit denken lässt;
Erinnerungen offenbar, die ihm gar nicht gefallen. Wüst thematisiert das
Hinter-Sich-Lassen von Vergangenheit, das Zudecken unangenehmer Wahrheiten, das
Negieren von eigenen Befindlichkeiten; „Das Haus meines Vaters“ ist famos
gespieltes Minimalismuskino, das gerade durch seine reduzierte Handlung eine
starke Sogwirkung entfaltet.
"Der Blick in den Abgrund", Barbara Eder (Foto: Diagonale) |
Bei den Dokumentarfilmen hat die Diagonale etliche Arbeiten
im Programm, die sich mit der Normalität in Extremsituationen befassen. Barbara
Eder etwa unternimmt in „Der Blick in den Abgrund“ den Versuch, die Arbeit von
Profilern auf ihre Alltagsrealität hin zu untersuchen. Die kriminalistische
Suche nach dem Bösen setzt diese Menschen unter Druck, auch, weil ihre
Tätigkeit längst zum TV-Klischee verkommen ist: Kein Genre funktioniert im
Fernsehen besser als der Krimi.
Die Normalität des Gerichtsvollziehers zeigt „Schulden
GmbH.“ von Eva Eckert. Sie ist bei Pfändungen, Zwangsversteigerungen und
Schuldnerberatungen dabei, und blickt auf Fälle, die die Strenge des Gesetzes
zu spüren kriegen; wer einmal in die Schuldenfalle gerät, findet nur schwer
wieder heraus. Menschlichkeit, das zeigt dieser Film, hat gegen das Gesetz
keine Chance.
Matthias Greuling
Dieser Beitrag ist zuerst in der "Wiener Zeitung" erschienen.
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