Freitag, 15. März 2013

Diagonale 2013: Kein Megatrend im österreichischen Film

Schon beim Frühstück wird hier über Film diskutiert: Die Filmschau Diagonale, bei der heute, Samstag, Preisgelder von mehr als 100.000 Euro vergeben werden, lockt nicht nur Grazer Publikum oder die heimische Filmbranche an, sondern auch internationale Gäste. Einige von ihnen sind Programmierer anderer Festivals und halten Ausschau nach geeigneten Produktionen, die sie einladen könnten. Das ist Teil des Festivalbetriebs, und mitunter der Startschuss für lange Festivalkarrieren. Es ist die Wurzel dessen, was man gemeinhin als das „österreichische Filmwunder“ bezeichnet: Ohne Networking bliebe auch der beste Film vermutlich weitgehend ungesehen.
 
"Das Haus meines Vaters" von Ludwig Wüst. Foto: Diagonale
Filme wie „Talea“ von Katharina Mückstein oder „Soldate Jeanette“ von Daniel Hoesl stehen nicht nur dank geschickter Festivalplatzierungen (Hoesl gewann in Rotterdam) hoch im Kurs (die „Wiener Zeitung“ berichtete) – sie gehören auch zu den Favoriten bei der Preisverleihung. Und sie sind ein Indiz dafür, wie uneinheitlich sich das Diagonale-Programm dieses Jahr zeigt – im positiven Sinne. Einen Megatrend gibt es im jüngeren österreichischen Filmschaffen nämlich nicht: Trotz des viel beschworenenen „Wunders“ sind die meisten Filmemacher hier Individualisten geblieben, die weniger „österreichische“ denn viel mehr „eigenwillige“ Filme machen.

Die Eigenwilligen


Ludwig Wüst ist so ein Eigenwilliger. Seine Filme „Koma“ oder „Tape End“ sind Ausdruck eines radikalen Kinos, das gerne mit seiner spröden Darreichungsform spielt. Für Wüst, ein gebürtiger Bayer, der jahrelang vor allem am Theater inszenierte, sind auch seine Filme Bühnen; es gibt kaum Schnitte, sondern lange, bis zur Penetranz ausgereizte Takes. Dabei sind seine Stücke nie theatralisch oder bühnenhaft, sondern in Schauspielerführung und Dialogen zutiefst filmisch. Eine Verschränkung, die sonst selten gelingt. Bei Wüsts neuer Arbeit „Das Haus meines Vaters“ aber funktioniert sie perfekt. Ein Mann (Nenad Smigoc) kehrt in das Dorf seiner Jugend zurück, trifft dort auf eine einstige, ihm sehr zugeneigte Schulkollegin (Martina Spitzer), die ihn durch das verlassene Haus seiner Eltern führt. Er entdeckt im heruntergekommenen Chaos allerhand, was ihn an seine Kindheit denken lässt; Erinnerungen offenbar, die ihm gar nicht gefallen. Wüst thematisiert das Hinter-Sich-Lassen von Vergangenheit, das Zudecken unangenehmer Wahrheiten, das Negieren von eigenen Befindlichkeiten; „Das Haus meines Vaters“ ist famos gespieltes Minimalismuskino, das gerade durch seine reduzierte Handlung eine starke Sogwirkung entfaltet.
"Der Blick in den Abgrund", Barbara Eder (Foto: Diagonale)
Bei den Dokumentarfilmen hat die Diagonale etliche Arbeiten im Programm, die sich mit der Normalität in Extremsituationen befassen. Barbara Eder etwa unternimmt in „Der Blick in den Abgrund“ den Versuch, die Arbeit von Profilern auf ihre Alltagsrealität hin zu untersuchen. Die kriminalistische Suche nach dem Bösen setzt diese Menschen unter Druck, auch, weil ihre Tätigkeit längst zum TV-Klischee verkommen ist: Kein Genre funktioniert im Fernsehen besser als der Krimi.
Die Normalität des Gerichtsvollziehers zeigt „Schulden GmbH.“ von Eva Eckert. Sie ist bei Pfändungen, Zwangsversteigerungen und Schuldnerberatungen dabei, und blickt auf Fälle, die die Strenge des Gesetzes zu spüren kriegen; wer einmal in die Schuldenfalle gerät, findet nur schwer wieder heraus. Menschlichkeit, das zeigt dieser Film, hat gegen das Gesetz keine Chance.
Matthias Greuling
Dieser Beitrag ist zuerst in der "Wiener Zeitung" erschienen.

Diagonale 2013: Innovatives Kino über den (Un-)Wert des Kontinuierlichen

Auf Herrn Manfred ist Verlass. Der (mittlerweile pensionierte) Barkeeper eines Grazer Innenstadthotels kehrt einmal im Jahr in seinen früheren Beruf zurück, um die Gäste der Diagonale mit dem von ihm kreierten „Kalaschnikov“ zu versorgen. Ein kleiner Shot aus Wodka, Kahlua und Zitrone, der es beim Filmfestival längst zum Kultgetränk gebracht hat. Jeder hier hat einen der Festivalabende schon einmal mit ein paar Kalaschnikovs beendet. Es ist wie ein Ritual.
 
"Talea" von Katharina Mückstein. Foto: Diagonale
Wenn Rituale und Kontinuitäten fehlen, dann gerät der Mensch aus dem Gleichgewicht. Das zeigt sich in Graz nicht nur im diesmal verregneten Wetter (sonst sitzt man hier um diese Zeit in der Sonne), sondern auch im Programm. Eine Reihe von Erstlingsfilmen, aber auch die Arbeiten arrivierter Filmemacher befassen sich mit diesem Thema, darunter auch die Debütantin Katharina Mückstein, die an der Wiener Filmakademie bei Haneke Regie studiert hat.  In „Talea“ erzählt sie die einfache und doch menschlich komplizierte Geschichte der 14-jährigen Jasmin (talentiert: Sophie Stockinger) und ihrer gerade aus der Haft entlassenen Mutter Eva (Nina Proll). Die Annäherung zwischen den beiden ist geprägt von der Absenz jeglicher Kontinuität, die ein Kind in Jasmins Alter so dringend nötig hätte. Bei einer Reise aufs Land versuchen sie, sich zu finden: Ihre Nähe zueinander entwickelt sich aber nur recht zaghaft. Mückstein setzt ihre unspektakuläre filmische Identitätssuche in beinahe schon bedrückend schöne, dichte Bilder um, in denen ihre beiden Darstellerinnen wie in einer Blase kurz die Welt um sich herum vergessen und jede Angst vor einer Zukunft ohne Kontinuität absorbieren.
All das, was zu den landläufig als lebensnotwendig erachteten Kontinuitäten gehört, führt ein anderer Erstlingsregisseur in seinem Debüt „Soldate Jeanette“ ad absurdum: Daniel Hoesl zeigt die einst vermögende Fanni (Johanna Orsini-Rosenberg) beim Abstreifen jeglichen Reichtums; sie wird zwangsdelogiert, weil sie mit der Miete im Rückstand ist. Sie wird mehr und mehr die Sicherheit, die ihr das Vermögen gab, durch eine andere Art von Lebenskontinuität ersetzen: Zum Glück braucht es keine materiellen Güter – eine alte Weisheit, die Hoesl aber in eine innovative Erzählstruktur taucht, die sich angenehm radikal von dem von Stuck und Konservativismus geprägten, muffigen Wien abhebt. „Soldate Jeanette“, begonnen ohne Drehbuch, für nur 65.000 Euro realisiert und mittlerweile Preisträger beim Filmfestival Rotterdam, ist ein stilistischer Durchbruch zu neuen Ufern. Hoesls Frauenfiguren haben eine Intensität wie jene bei Fassbinder, und sie spucken dem Materialismus mit ganzer Kraft ins Gesicht. Wider die Kontinuität im Sinne der Wiederholung immer gleicher Fehler, das bedeutet: Sich wirklich treu zu bleiben.
Treu bleibt sich auch Caspar Pfaundler. Er zeigt in „Gehen am Strand“ die Befindlichkeit der Studentin Anja (einnehmend: Elisabeth Umlauft), die mit der Finalisierung ihrer Diplomarbeit hadert und sich zunehmend sozial isoliert. Die Isolation erhält lebensbedrohlichen Charakter, eine Reise ans Meer bietet Anja die Chance auf eine Rückkehr ins „normale“ Leben. Pfaundler ist gewohnt sensibel im Vortrag seiner simplen Geschichte. Wie er auch schon in seinem letzten Film „Schottentor“ mit größtmöglicher Präzision versucht hat, existenzielle Nöte einzufangen, gelingt ihm das auch hier vortrefflich.
Zwei Dokus sprechen auf der Diagonale vom Kontinuum des eigenen Willens:  „Schlagerstar“ von Marco Antoniazzi und Gregor Stadlober folgt dem Volksmusiker Marc Pircher durch Bierzelte, Autogrammstunden, Lederhosenromantik. Keine Musiksparte macht mit Konzerten und CD-Verkäufen mehr Geld als die Volksmusik, aber der Traum, den Pircher lebt, ist hart erkämpft: Lächeln und gute Laune sind obligatorisch, und zwar 24 Stunden täglich, kontinuierlich. Die Doku macht sich über ihren Protagonisten niemals lustig, auch wenn vieles hier belächelt werden könnte.
"Robert Tarantino" von Houchang Allahyari. Foto: Diagonale
Ähnlich ist das in Houchang Allahyaris „Robert Tarantino“, einer Doku über einen leidenschaftlichen Wiener Trash-Filmer, die ebenfalls den Respekt wahrt und sich nicht über die Splatter-Horror-Filme lustig macht, die „maximal 40 Euro kosten, für das bisserl Kunstblut“. Sein Künstlername ist seinen Vorbildern Robert Rodriguez und Quentin Tarantino geschuldet, in deren Liga er so gerne spielen würde. Allahyari hat den Traum von Hollywood aber schnell heruntergebrochen auf die ursprünglichste Sehnsucht nach Kontinuität: Robert Tarantino verliebt sich in die Hauptdarstellerin seines neuesten Films. Eine unerhörte Liebe, ein großer Schmerz.
Ein Kalaschnikov von Herrn Manfred könnte über einen solchen Schmerz hinweghelfen. Aber nicht kontinuierlich, sondern nur vorübergehend.
Matthias Greuling
Dieser Beitrag ist zuerst in der "Wiener Zeitung" erschienen.