Sonntag, 24. April 2016

Crossing Europe: Preise für "Babai", "Baden Baden" und "Rio Corgo"

Die 13. Festivalausgabe von Crossing Europe endet heute, Montag, die insgesamt mit 28.500 Euro dotierten Preise wurden aber schon am Sonntagabend im Ursulinensaal des oberösterreichischen Kulturquartiers, der Heimstätte des Festivals, vergeben. "Wer hier in Linz erstklassiges europäisches Kino sehen will, kommt an dieser Filmschau nicht vorbei", ist sich ein Besucher sicher, der von einer "Durchmischung" des Publikums spricht: "Hier sind nicht nur Leute vom Film, sondern auch ganz normale Kinogeher wie ich. Das Festival ist deshalb so populär, weil es sich eben nicht elitär gibt." Und das ist bei weitem keine Einzelmeinung.
"Babai" von Visar Morina
Mitunter zeigt das von Christine Dollhofer seit der Gründung geleitete Filmfestival Crossing Europe recht sprödes Kino, immer aber auch Entdeckungen aus den hintersten Winkeln der Gesellschaft. Das spiegelt sich auch bei den prämierten Filmen: Der Preis für den besten Spielfilm wurde in diesem Jahr geteilt und ging ex aequo an den Kosovaren Visar Morina für dessen Drama "Babai" sowie an die Französin Rachel Lang für "Baden Baden". In "Babai" ("Vater") erzählt Morina in überaus nüchternen Bildern von der Lebenswelt von Nori, eines zehnjährigen Buben im Kosovo vor dem Krieg: Zu Beginn der 1990er Jahre ist das Leben hier nicht gerade rosig, Nori und sein Vater Gezim schlagen sich mit dem Verkauf von Zigaretten durch. Der Verbleib der Mutter ist ein Geheimnis, das der Vater für sich behält. Nach einem Unfall erwacht Nori im Spital, sein Vater hingegen hat sich nach Deutschland abgesetzt. Unter widrigsten Umständen folgt ihm Nori. Es ist die Geschichte einer Flucht und eines Flüchtlings, hochaktuell und doch aus einer anderen Zeit. Regisseur Morina lässt sich in seinem Debütfilm viel Zeit, den hochdramatischen Ereignissen seines Plots mit größter dramaturgischer Ruhe zu begegnen. Die Jury lobte besonders, dass "Babai" von Gefühlen erzählt, ohne dabei in Sentimentalität zu verfallen.
In "Baden Baden" bricht die 26-jährige Ana ihre Zelte bei einer belgischen Filmproduktion ab und zieht zurück in ihre Heimat Straßburg, wo sie dem Trubel eines für sie falschen Lebensweges entkommen will. Sie verordnet sich neue Aufgaben, wie etwa die Renovierung des Badezimmers ihrer Großmutter. Die junge Frau steckt mitten in einem Selbstfindungsprozess, der dem Film auch Momente (schwarzen) Humors verschafft; Regisseurin Rachel Lang pendelt gekonnt zwischen experimentellem Erzählen und emotionalem Drama, am "Grenzbereich zwischen persönlicher Tragödie und Komödie", so die Jury.
Als besten Dokumentarfilm zeichnete man in Linz die schweizerisch-portugiesische Produktion "Rio Corgo" von Maya Kosa und Sergio da Costa aus. Die beiden folgen darin dem Lebenskünstler und ewigen Herumtreiber Silva, der sich als Clown ebenso durchgeschlagen hat wie als Maurer oder Regenschirm-Reparateur. In einem kleinen portugiesischen Städtchen scheint er das Ziel seiner langen Reise gefunden zu haben. Kosa und da Costa zelebrieren ihr Porträt als langsam getaktetes Abbild vom ruhigen Fluss des Lebens.

Matthias Greuling

(Dieser Beitrag ist auch in der Wiener Zeitung erschienen)


Sonntag, 17. April 2016

Bolzano Filmfestival Bozen: 30 Jahre und alles auf Anfang

In Bozen feiert das lokale Filmfestival seinen 30er. Alles soll neu werden, dabei aber auch traditions- und selbstbewusst bleiben - wie für Südtirol typisch.

Von Matthias Greuling aus Bozen

Wer über den Walther-Platz und durch die umliegenden Gässchen der Bozener Altstadt schlendert, muss nach wenigen Minuten den Eindruck gewinnen, die Südtiroler befänden sich tatsächlich in einer einzigartigen und großartigen Lage: Eine Alpenfestung und liebreizende Stadt wie bei vergleichbaren Orten in der Schweiz, gesegnet mit den Vorteilen der Tiroler und der italienischen Kultur gleichermaßen: Hier gibt es italienische Mode, österreichisches Alpen-Flair und einen Hauch Wiener Kaffeehaustradition. Das erste Kaffee am Platz hat über 70 Tageszeitungen - davon kann man sogar in Wien nur träumen. Aber - das muss gesagt sein - hier generiert sich die große Auswahl halt aus dem Mix der Sprachen. Auch kulinarisch setzt sich diese Mischung fort: Ein Speckgröstl schmeckt hier mindestens genauso gut wie ein Ossobuco alla milanese.
Inmitten dieses vielfältigen Alpenidylls im autonomen Südtiroler Gebiet hat sich das Filmfestival Bozen ebenso der Abbildung der Vielfalt verschrieben - und zwar aus dem deutschsprachigen Raum ebenso wie aus Italien. Filmkultur kennt keine Grenzen, dieses Motto lebt man in Bozen.
Festivalchefin Helene Christanell (Foto: K. Sartena)
Die langjährige Leiterin der Filmschau, Helene Christanell, gab zum 30. Geburtstag der bisher als „Filmtage Bozen“ bekannten Schau die Devise aus: „Neuer Name, neues Erscheinungsbild, neue Programmpunkte, mehr Spielstätten“. Das Festival, 1987 vom umtriebigen Filmclub-Bozen-Mitbegründer Martin Kaufmann erfunden, steht bis heute in seiner künstlerischen Verantwortung. Kaufmann hat in seiner Eigenschaft als Filmtage-Erfinder vor allem mit vielen anderen kleinen Filmfestivals kooperiert; man hat sich gegenseitig geholfen über die Jahrzehnte, und heute ist man auch deshalb verdient zu einer Institution geworden. Es geht alles leger zu hier, es braucht keine roten Teppiche und keine Champagner-Empfänge, denn der Südtiroler Wein ist ohnehin eine Klasse für sich. Der ORF berichtet in seiner Südtirol-Heute-Sendung über das Event, ebenso wie lokale italienische Sender. Zur Eröffnung im Capitol Kino gibt es für die Premierengäste Brot und kalte Platte. Das ist bewusst rustikal, gebirgig. Anderswo, sagte Kaufmann in einem Interview, gäbe es „Kaviarbrötchen und was weiß ich alles, bei uns gibt es eben Speck und Schüttelbrot“.
Neuer Name: Früher hieß die Veranstaltung "Bozener Filmtage"
Das Programm der beiden Wettbewerbe (Spiel- und Dokumentarfilm) war eine Mischung aus Festival-Highlights wie „Bella e perduta“ von Pietro Marcello, „Nichts passiert“ mit Devid Striesow oder „Thank You for Bombing“ der österreichischen Regisseurin Barbara Eder, die damit bei der Diagonale Premiere feierte, sowie aus neuen, noch kaum bekannten Filmen wie die deutschen Produktionen „Agnes“ von Johannes Schmid oder „Herbert“ von Thomas Stuber, der am Ende den Spielfilmpreis gewann. Bei den Dokus stand unter anderem „Lampedusa im Winter“ des Wieners Jakob Brossmann auf dem Spielplan (ausgezeichnet als beste Doku), oder auch die Doku „To Make a Comedy is No Fun“ von Robert Kolinsky, der sich darin mit Leben und Werk des tschechischen Oscar-Preisträgers Jiri Menzel auseinandersetzt. Der 77-jährige Menzel war so etwas wie der Star-Gast des Festivals, wo er, der einst von der Filmschule als talentlos abgewiesene Filmemacher, in kleinem Rahmen Anekdoten über das Filmemachen zwischen Oscar und Eisernem Vorhang ausplauderte.
Jiri Menzel (Foto: K. Sartena)
Das Schaufenster, das das Filmfestival Bozen bietet, eröffnet nebenbei auch einen Blick auf die überaus umtriebige regionale Südtiroler Filmförderung, oder besser: Auf all das, was hier auf relativ kleinem Raum für das Filmschaffen getan wird: Neben der Programmreihe „Filme aus Südtirol“, in der sechs aktuelle Produktionen gezeigt werden, bekommt auch die in Bozen ansässige Dokumentarfilmschule ZeLIG breiten Raum im Festivalprogramm. Die Region gerade durch die Betonung ihrer Eigenständigkeit zu stärken, das ist ein Qualitätssiegel für Südtirol geworden. Ein solches Vorgehen könnte durchaus Modellcharakter für andere kleine Märkte haben.

Infos und Preisträger: http://filmfestival.bz.it