Allein: Alberto Barbera, dieser adrette Herr, der die Mostra
seit zwei Jahren leitet, hat inmitten des unspektakulärer werdenden Settings
seiner Filmschau einen ansehnlichen Wettbewerb zusammengetragen, der sich wahrhaft
sehen lassen konnte. Denn dass die (infra-)stukturellen Schwächen des Festivals
sich normalerweise auch im Programm niederschlagen, trifft diesmal zumindest
nicht zu.
"La Jalousie" von Philippe Garrel (Foto: La Biennale di Venezia) |
Das hat auch damit zu tun, dass Barbera nicht auf Effekthascherei
bei Filmen setzt und somit relativ leicht jeden Griff ins Klo vermeiden konnte.
Im Gegenteil: Auch als spröde bekannte Filmemacher zeigen hier neue Werke
voller Anmut, voller neuer Ideen, oder zumindest voller dramaturgischer Reife.
Philippe Garrel zum Beispiel. Der hat mit „La jalousie“ (Die Eifersucht) ein
zwar kurzes, aber famoses Schwarz-weiß-Abstrakt über das (Miss-)Trauen in der
Liebe gedreht, das ebenso unspröde wie geerdet daherkommt: Garrels Sohn Louis spielt
einen Kindsvater, dessen neue Freundin ihn betrügt, auch, weil sie selbst ihrer
rasenden Eifersucht ihm gegenüber Luft machen will. Es ist ein französischer
Film, wie er im Lehrbuch stehen könnte, mit Beziehungsgesprächen in der Küche,
mit langen Einstellungen, mit intensiven Blicken und mit unprätentiösen Pariser
Stadtansichten. Und doch fern jeder Konvention: „La jalousie“ erinnert über
weite Strecken an die Filme der Nouvelle Vague, nicht an den sich danach daraus
gebildeten Stil französischer Beziehungsdramen. Garrel ist visuell und
dramaturgisch radikaler, das macht den Reiz dieser großen Arbeit aus.
Ambivalent mag man zu einer Arbeit stehen, die hier im Wettbewerb
als Dokumentarfilm angekündigt war, sich vorderhand aber schnell wie
US-Propaganda ausnimmt. „The Unknown Known“ von Errol Morris gibt einem der
umstrittensten Kriegsherren unserer Tage breiten Raum zur Selbstglorifizierung:
Donald Rumsfeld darf darin beinahe unkommentiert erläutern, warum Bush nach
9/11 den Planeten in Kriege und Chaos stürzte, sei es in Afghanistan oder im
Irak, und wieso das alles genau so richtig war; Rumsfeld war (gemeinsam mit
Dick Cheney) der Strippenzieher hinter Bush, der die Pläne ausheckte. Bald
schon steht er als Mastermind einer US-Weltmachtsfantasie da, die er mit seinem
sympathischen Auftreten und seinem telegenen Aussehen wie selbstverständlich weglächelt.
Und doch ist diese „Doku“ bei genauerem Hinsehen raffiniert durchtrieben: Genau
deshalb, weil sie scheinbar nicht die „richtigen“ Fragen stellt, animiert sie
den Zuschauer zu innerer Gegenwehr; Rumsfeld liefert sich selbst mehr und mehr
aus, ohne es zu merken; er verbleibt in seinem Duktus des charmanten, aber
uneinsichtigen Showman, der – ganz amerikanisch – nie gelernt hat,
selbstrefelxiv oder gar selbstkritisch zu sein, und der am Ende bei
aufmerksamen Zusehern über diese Überheblichkeit stolpert.
"The Unknown Known" von Errol Morris. (Foto: La Biennale di Venezia) |
Formal hoch interessant ist die Arbeit „Die Frau des
Polizisten“ des deutschen Regisseurs Philip Gröning. Er verhandelt in 59
Einzelkapiteln und drei Stunden Spielzeit das Schicksal einer Ehefrau und
dessen Auswirkungen auf ihre Familie. Die Kapitel sind von unterschiedlicher
Länge, machen davon bloße Miniaturen ohne offensichtlichen Sinn, aber zusammen
verdichten sie sich zu einem erschreckend detailreichen Bild von häuslicher Gewalt:
Die Familie – ein Mann, seine Frau, ein gemeinsames Kind -, die hier im Zentrum
steht, gibt nur langsam preis, wie es um sie bestellt ist; wie im echten Leben
eben auch, wenn man hinter die Fassaden jahrelang als Vorzeigepaare wahrgenommener
Mitmenschen blicken kann.
Auch „Sacro GRA“ von Gianfranco Rosi, ein Dokumentarfilm
über die Anwohner der römischen Ringstraße – ein Leben an der Autobahn –
überzeugte im Wettbewerb. Die Doku findet allerlei Lebensrealität, die man vom
italienischen Kino kaum mehr gewöhnt ist: Dort ist oft alles schrill, laut,
opulent und betont lebensbejahend; doch das Land steckt in einer Krise, und das
fängt Rosi mit seiner Kamera – bewusst oder unbewusst – mit ein: Ein
Kaleidoskop der Befindlichkeiten einer Nation, die es sich eigentlich nicht mehr
leisten kann, mit stolz geschwellter Brust ihren Patriotismus zur Schau zu
stellen. Die große Asbest-Grube vor dem Casino am Lido ist nur ein Grund dafür.Matthias Greuling, Venedig
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